Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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schaft (Gebietshoheit) eines bestimmten Staats 
erstreckt. Es ist der wichtigste Gegenstand des 
völkerrechtlichen Eigentums in dem Sinn, daß der 
Staat auf diesem Gebiet allein herrscht, demnach 
die Einwirkung iedes andern Staats auf dasselbe 
rechtlich ausgeschlossen ist. Das Staatsgebiet ist 
entweder ein geschlossenes, wenn es aus einem 
einzigen Stück, oder ein nicht geschlossenes, wenn 
es aus mehreren Stücken besteht, welche vonein- 
ander entfernt sind. Die kleineren, von andern 
Staaten umschlossenen Stücke eines Staats wer- 
den vom Standpunkt des letzteren aus Enklaven, 
von demjenigen der ersteren aus Exklaven ge- 
nannt, z. B. der deutsche Staatswald in den 
französischen Vogesengemeinden Raon-les-l'Eau 
und Raon-sur-Plaine. Auch die Kolonien eines 
Staats bilden völkerrechtlich einen Teil seines 
Gebiets, staatsrechtlich braucht das aber nicht der 
Fall zu sein, wie z. B. die deutschen Schutzgebiete 
nicht ein Teil des Reichsgebiets sind. Ausnahms- 
weise können mannigfache Umstände (z. B. gemein- 
same Eroberung, Unklarheit der Grenze zweier 
Staaten usw.) auch dahin führen, daß ein Teil 
des Gebiets ungeteilt der Herrschaft mehrerer 
Staaten unterliegt (Kondominium); Schleswig- 
Holstein und Lauenburg gehörten z. B. nach dem 
Wiener Frieden vom 30. Okt. 1864 Osterreich 
und Preußen, Samoa von 1889 bis 1899 
Deutschland, England und Nordamerika. 
Das Staatsgebiet wird durch seine Grenzen 
von den Gebieten der Nachbarstaaten getrennt. 
Die Grenzen sind gedachte Linien, die durch 
äußere Zeichen kenntlich gemacht werden. Diese 
läußeren Zeichen sind teils künstliche, z. B. Grenz- 
steine, Wälle, teils natürliche, z. B. Gebirge, 
Flüsse. Bildet ein Gebirge die Grenze, so läuft 
die als Grenze gedachte Linie, wenn nichts anderes 
bestimmt ist, dem Gebirgskamm, der Wasserscheide 
entlang. Ein Fluß kann in verschiedener Weise 
die Grenze bilden. Es kann das Bett des Flusses 
ganz dem einen Staat gehören, so daß dann der 
Uferrand die Grenze bildet. Gehört aber der Fluß 
beiden Staaten, dann gilt die entlang der Mitte 
des Flusses gezogene Linie als Grenze, wenn nicht 
vertragsmäßig, wie dies namentlich bei schiffbaren 
Flüssen in der Regel der Fall ist, die Grenzlinie 
längs des sog. Talwegs, der Mitte des tiefsten 
Stromlaufs, gezogen wird (z. B. rücksichtlich der 
Weichsel gemäß dem Wiener Kongreß). Verläßt 
der Fluß sein Bett, so bleibt doch die alte Grenze 
bestehen. Die gegenwärtig bestehenden Grenzen 
der Staaten beruhen teils auf unvordenklichem 
Besitz, teils auf Verträgen, namentlich Friedens- 
verträgen. Zweifelhaft befundene Grenzen werden 
durch Grenzregulierungsverträge festgestellt, als 
mangelhaft erkannte durch Grenzrektifikationen 
verbessert. 
Einen Teil des Staatsgebiets bilden auch die 
Flüsse, die auf demselben entspringen, bis zu 
dem Punkt, wo sie dasselbe verlassen, und die 
Flüsse, die dasselbe durchfließen, innerhalb der 
Staatslexikon. IV. 3. u. 1. Aufl. 
Staatsgebiet. 
  
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Grenzen des Staats sowie die Grenzflüsse in der 
oben angegebenen Ausdehnung, deren Benutzung 
z. B. zur Fischerei durch Verträge unter den Grenz- 
staaten geregelt wird. Flüsse, die sich ihrem ganzen 
Lauf nach auf dem Gebiet eines Staats befinden, 
unterliegen rücksichtlich ihrer Benutzung ausschließ- 
lich der Hoheit dieses Staats. Flüsse hingegen, 
welche die Gebiete mehrerer Staaten durchfließen 
und sich in das Meer ergießen, sind zwar auch 
Bestandteile der von ihnen durch'lossenen Gebiete, 
was aber ihre Benutzung, zu Schiffahrtszwecken 
anbetrifft, so sind sie allen Staaten gemeinsam 
(internationale Flüsse). Dieser Grundsatz wurde 
zuerst im Pariser Vertrag vom 30. Mai 1814 
für den Rhein aufgestellt und in der Wiener 
Kongreßakte vom 19. Juni 1815, Art. 108/116, 
auf alle oben bezeichneten Flüsse ausgedehnt und 
zunächst für den Rhein und seine Nebenflüsse 
(Neckar, Main, Mosel) und für die Schelde aus- 
geführt. Durch den Pariser Vertrag vom 30. März 
1856, durch welchen die Türkei in das europäische 
Konzert Aufnahme fand, wurde der bezeichnete 
Grundsatz auch auf die Donau in Anwendung 
gebracht und die diesbezüglichen Bestimmungen 
als ein Teil des europäischen Völkerrechts erklärt. 
Zugleich wurde aber auch in Überschreitung des 
durch den Wiener Kongreß gezogenen Rahmens 
Gunächst nur für zwei Jahre, seitdem aber immer 
wieder verlängert) eine aus Vertretern der Ver- 
tragsstaaten bestehende Kommission zu dem Zweck 
eingesetzt, um die für die Schiffbarkeit der Donau- 
mündungen und der angrenzenden Meeresteile not- 
wendigen Arbeiten zu bezeichnen und vornehmen 
zu lassen (Europäische Donaukommission). Durch 
den Berliner Vertrag vom 26. Febr. 1885 wurden 
ferner die afrikanischen Flüsse Niger und Kongo 
gemäß den Grundsätzen des Wiener Kongresses 
der Schiffahrt aller Nationen geöffnet und dies 
ebenfalls als Teil des europäischen Völkerrechts 
erklärt. 
Die Freiheit der Schiffahrt beginnt auf den 
internationalen Flüssen seewärts an der Ausmün- 
dung in die See, wo das Wasser des Flusses das 
Küstengebiet verläßt und in die offene See ge- 
langt usqu'à la mer = jusque dans la mer), 
und endet landeinwärts dort, wo die Schiffahrt 
aufhört, vom Meer aus regelmäßig betrieben zu 
werden, welcher Punkt in der Regel vertrags- 
mäßig bestimmt ist (z. B. für die Donau der Ein- 
fluß der Iller, für den Rhein die Schweizer 
Grenze). Jeder Uferstaat übt zwar auf seinem 
Gebiet Polizei und Gerichtsbarkeit aus, in Be- 
ziehung auf die Schiffahrt bilden aber alle Ufer- 
staaten eine Gesamtheit, welche die Beteiligung 
der einzelnen an den Erhaltungs= und Korrektions- 
arbeiten für die Schiffahrt vertragsmäßig zu regeln 
und die für die daraus entspringenden Kosten zu 
entrichtenden Schiffahrtsgebühren, welche für alle 
Flaggen gleich sein müssen, zu bestimmen hat. 
Wird ein solcher internationaler Fluß infolge von 
territorialen Veränderungen national (z. B. der 
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