Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

1477 
mit Ausnahme von drei Paragraphen, gilt als 
Verfassungsgesetz. 
VII. Staatsrechtliche Wedentung der Ver- 
fassungsbestimmungen (Konslikt in BWayern 
und Preußen). Es tritt bei Vergleichung der 
vorstehenden Verfassungsbestimmungen ein Unter- 
schied hervor zwischen denjenigen, welche aus dem 
alten Steuerbewilligungsrecht der Stände heraus, 
an dieses anknüpfend, das Recht der neuen, ver- 
fassungsmäßigen Stände (Kammern) entwickeln, 
und solchen, welche aus dem sog. konstitutionellen 
Prinzip das Recht der Mitwirkung der Kammern 
herausbilden. Es ergibt sich ferner ein mit dem 
vorstehenden zusammentreffender Unterschied darin, 
daß einzelne Verfassungen die Zustimmung der 
Kammern zum Voranschlag an die Form eines 
Gesetzes, des Etatsgesetzes, binden (der konstitu- 
tionelle Standpunkt), während bei andern die ein- 
fache Bewilligung oder Nichtbewilligung der Re- 
gierungsforderungen wie bei den alten Ständen 
vorgesehen ist. Bei den letzteren lesen wir von 
Begründung der Abänderung der Vorlage, von 
Verhandlungen zwischen den Kammern unterein- 
ander und beider mit der Regierung, um Ver- 
ständigung nachträglich herbeizuführen; bei den 
ersteren ist dieses durch die Form des Gesetzes aus- 
geschlossen. Es wird zur Klarstellung der ganzen 
Frage dienen, wenn aus Konfliktszeiten im Ver- 
fassungsleben zweier Hauptvertreter verschiedener 
Richtungen berichtet wird, aus der Geschichte 
Bayerns und derjenigen Preußens. 
In Bayerr ist das Budget auch formell kein 
Gesetz; das ständische Steuerbewilligungsrecht ist 
die Grundlage der Mitwirkung der Kammern. 
Über die Bedeutung dieser Mitwirkung kam es 
1840 zu einem Streit zwischen Kammer und Re- 
gierung. Die Regierung hatte 1837 das Aus- 
gabenbudget unter Einstellung von Ziffern ver- 
öffentlicht, welchen in dieser Höhe die Stände 
nicht zugestimmt hatten. Die im Jahr 1840 vor- 
gelegten Nachweisungen über das Jahr 1837/38 
gaben der Kammer Gelegenheit, Verwahrung ein- 
zulegen. Man nahm folgenden Standpunkt ein: 
Die Kammer hat das Steuerbewilligungsrecht, 
während der König alle Rechte der Staatsgewalt 
in sich vereinigt. Bei dem Budget wird dieses 
Recht insofern beschränkt, als die Prüfung des 
Budgets durch die Stände die Grundlage bildet 
für die Höhe der Steuerbewilligung; durch deren 
Umfang wird die Möglichkeit, Ausgaben zu 
machen, beschränkt. Es muß also ein Überein- 
kommen stattfinden zwischen dem König und den 
Ständen zur Ordnung der Finanzen. Von seiten 
der Stände berief man sich auf die seit 1819 statt- 
gehabte Praxis. Von seiten der Regierung bestritt 
man, daß den Ständen ein Bewilligungsrecht be- 
züglich der einzelnen Staatsausgaben zustehe. Die 
Spezialisierung bei den Vorlagen sei freiwillig 
von der Staatsregierung vorgenommen, begründe 
kein Bewilligungsrecht im einzelnen. Anderseits 
liege die Verpflichtung der Stände vor, die di- 
Staatshaushalt. 
  
1478 
rekten Steuern nach Maßgabe des Budgetbedürf- 
nisses zu bewilligen, und nur insoweit seien ge- 
ringere Bewilligungen statthaft, als erweislich der 
geringere Betrag zur Deckung der „ordentlichen 
beständigen und bestimmt vorherzusehenden Aus- 
gaben einschließlich Reservefonds“ ausreiche. Eine 
nur bedingte Bewilligung würde verfassungswidrig 
sein. Auch bestand Streit wegen Verwendung der 
Überschüsse, welche nach Ansicht der Kammer den 
Charakter von indebite bezahlten Steuern tragen; 
sie seien also bei Neubewilligungen in Berücksich- 
tigung zu ziehen. Die Regierung behandelte die 
Überschüsse als „vorhandene Vorräte“ und dem- 
gemäß als Staatsgut, und zwar als solches, dessen 
Veräußerung nicht verboten sei. Außerdem wurde 
darauf hingewiesen, daß die außerordentlichen und 
unvorhergesehenen Ausgaben aus den bestehenden 
Staatseinkünften zu decken seien, und daß die 
Stände hierbei nur im Fall außerordentlicher 
Auflagen mitzuwirken hätten. 
Am 12. Juli 1843 wurde von der Reichs- 
ratskammer zur Beilegung aller dieser Streit- 
punkte das „Verfassungsverständnis“ angenom- 
men, nachdem die Staatsregierung mit Ermäch- 
tigung des Königs ihr Einverständnis ausgesprochen 
hatte. Auch in dem Finanzausschuß des Abgeord- 
netenhauses wurde das Einverständnis, mit Aus- 
nahme eines Punktes, festgestellt. Die zum Aus- 
druck gebrachte Rechtsüberzeugung hat folgenden 
Hauptinhalt: Steuerbewilligung und Prüfung 
des Budgets sind zu unterscheiden. Budgetauf- 
stellung ist Akt der Verwaltung unter Beobachtung 
der bestehenden Gesetze. Der bayrische Landtag 
hat dem Budget gegenüber ein Recht der Prüfung, 
aber nicht der Zustimmung. Letzteres Recht besteht 
mur bei der Frage der Steuerbewilligung. Beruht 
aber die letztere auf der Prüfung des Budgets, 
auf der Anerkennung der Notwendigkeit gewisser 
Ausgaben, so entsteht eine gewisse Gebundenheit 
der Regierung in Bezug auf die Verwendung der 
Mittel. Der Eingang des bayrischen Finanz- 
gesetzes lautet: „Wir haben mit dem Beirat, und 
soviel die Erhebung der direkten und die Ver- 
änderung der indirekten Steuern betrifft, mit der 
Zustimmung der Kammern . über Staats- 
einnahmen und -ausgaben .. beschlossen.“ 
Der Landtag hat also alle andern Einnahmen 
außer den oben erwähnten Steuern als feststehend 
zu behandeln; ebenso muß er alle gesetzlich not- 
wendigen Ausgaben als feststehend annehmen, 
d. h. nicht nur alle zivilrechtlichen, sondern auch 
die staatsrechtlich notwendigen, zur Erfüllung des 
Staatszwecks unumgänglichen Ausgaben. Immer- 
hin bleibt noch ein erhebliches Feld übrig, auf 
welchem man auf Verständigung zwischen den 
Kammern unter sich und zwischen diesen und der 
Regierung angewiesen ist. Die Lösung der Schwie- 
rigkeiten wird erleichtert durch den Standpunkt der 
Kontinuität, wonach eine einmal zwischen Regie- 
rung und Landtag als unwandelbar anerkannte 
Ausgabe nicht wieder einseitig zurückgezogen wer- 
47“
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.