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mit Ausnahme von drei Paragraphen, gilt als
Verfassungsgesetz.
VII. Staatsrechtliche Wedentung der Ver-
fassungsbestimmungen (Konslikt in BWayern
und Preußen). Es tritt bei Vergleichung der
vorstehenden Verfassungsbestimmungen ein Unter-
schied hervor zwischen denjenigen, welche aus dem
alten Steuerbewilligungsrecht der Stände heraus,
an dieses anknüpfend, das Recht der neuen, ver-
fassungsmäßigen Stände (Kammern) entwickeln,
und solchen, welche aus dem sog. konstitutionellen
Prinzip das Recht der Mitwirkung der Kammern
herausbilden. Es ergibt sich ferner ein mit dem
vorstehenden zusammentreffender Unterschied darin,
daß einzelne Verfassungen die Zustimmung der
Kammern zum Voranschlag an die Form eines
Gesetzes, des Etatsgesetzes, binden (der konstitu-
tionelle Standpunkt), während bei andern die ein-
fache Bewilligung oder Nichtbewilligung der Re-
gierungsforderungen wie bei den alten Ständen
vorgesehen ist. Bei den letzteren lesen wir von
Begründung der Abänderung der Vorlage, von
Verhandlungen zwischen den Kammern unterein-
ander und beider mit der Regierung, um Ver-
ständigung nachträglich herbeizuführen; bei den
ersteren ist dieses durch die Form des Gesetzes aus-
geschlossen. Es wird zur Klarstellung der ganzen
Frage dienen, wenn aus Konfliktszeiten im Ver-
fassungsleben zweier Hauptvertreter verschiedener
Richtungen berichtet wird, aus der Geschichte
Bayerns und derjenigen Preußens.
In Bayerr ist das Budget auch formell kein
Gesetz; das ständische Steuerbewilligungsrecht ist
die Grundlage der Mitwirkung der Kammern.
Über die Bedeutung dieser Mitwirkung kam es
1840 zu einem Streit zwischen Kammer und Re-
gierung. Die Regierung hatte 1837 das Aus-
gabenbudget unter Einstellung von Ziffern ver-
öffentlicht, welchen in dieser Höhe die Stände
nicht zugestimmt hatten. Die im Jahr 1840 vor-
gelegten Nachweisungen über das Jahr 1837/38
gaben der Kammer Gelegenheit, Verwahrung ein-
zulegen. Man nahm folgenden Standpunkt ein:
Die Kammer hat das Steuerbewilligungsrecht,
während der König alle Rechte der Staatsgewalt
in sich vereinigt. Bei dem Budget wird dieses
Recht insofern beschränkt, als die Prüfung des
Budgets durch die Stände die Grundlage bildet
für die Höhe der Steuerbewilligung; durch deren
Umfang wird die Möglichkeit, Ausgaben zu
machen, beschränkt. Es muß also ein Überein-
kommen stattfinden zwischen dem König und den
Ständen zur Ordnung der Finanzen. Von seiten
der Stände berief man sich auf die seit 1819 statt-
gehabte Praxis. Von seiten der Regierung bestritt
man, daß den Ständen ein Bewilligungsrecht be-
züglich der einzelnen Staatsausgaben zustehe. Die
Spezialisierung bei den Vorlagen sei freiwillig
von der Staatsregierung vorgenommen, begründe
kein Bewilligungsrecht im einzelnen. Anderseits
liege die Verpflichtung der Stände vor, die di-
Staatshaushalt.
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rekten Steuern nach Maßgabe des Budgetbedürf-
nisses zu bewilligen, und nur insoweit seien ge-
ringere Bewilligungen statthaft, als erweislich der
geringere Betrag zur Deckung der „ordentlichen
beständigen und bestimmt vorherzusehenden Aus-
gaben einschließlich Reservefonds“ ausreiche. Eine
nur bedingte Bewilligung würde verfassungswidrig
sein. Auch bestand Streit wegen Verwendung der
Überschüsse, welche nach Ansicht der Kammer den
Charakter von indebite bezahlten Steuern tragen;
sie seien also bei Neubewilligungen in Berücksich-
tigung zu ziehen. Die Regierung behandelte die
Überschüsse als „vorhandene Vorräte“ und dem-
gemäß als Staatsgut, und zwar als solches, dessen
Veräußerung nicht verboten sei. Außerdem wurde
darauf hingewiesen, daß die außerordentlichen und
unvorhergesehenen Ausgaben aus den bestehenden
Staatseinkünften zu decken seien, und daß die
Stände hierbei nur im Fall außerordentlicher
Auflagen mitzuwirken hätten.
Am 12. Juli 1843 wurde von der Reichs-
ratskammer zur Beilegung aller dieser Streit-
punkte das „Verfassungsverständnis“ angenom-
men, nachdem die Staatsregierung mit Ermäch-
tigung des Königs ihr Einverständnis ausgesprochen
hatte. Auch in dem Finanzausschuß des Abgeord-
netenhauses wurde das Einverständnis, mit Aus-
nahme eines Punktes, festgestellt. Die zum Aus-
druck gebrachte Rechtsüberzeugung hat folgenden
Hauptinhalt: Steuerbewilligung und Prüfung
des Budgets sind zu unterscheiden. Budgetauf-
stellung ist Akt der Verwaltung unter Beobachtung
der bestehenden Gesetze. Der bayrische Landtag
hat dem Budget gegenüber ein Recht der Prüfung,
aber nicht der Zustimmung. Letzteres Recht besteht
mur bei der Frage der Steuerbewilligung. Beruht
aber die letztere auf der Prüfung des Budgets,
auf der Anerkennung der Notwendigkeit gewisser
Ausgaben, so entsteht eine gewisse Gebundenheit
der Regierung in Bezug auf die Verwendung der
Mittel. Der Eingang des bayrischen Finanz-
gesetzes lautet: „Wir haben mit dem Beirat, und
soviel die Erhebung der direkten und die Ver-
änderung der indirekten Steuern betrifft, mit der
Zustimmung der Kammern . über Staats-
einnahmen und -ausgaben .. beschlossen.“
Der Landtag hat also alle andern Einnahmen
außer den oben erwähnten Steuern als feststehend
zu behandeln; ebenso muß er alle gesetzlich not-
wendigen Ausgaben als feststehend annehmen,
d. h. nicht nur alle zivilrechtlichen, sondern auch
die staatsrechtlich notwendigen, zur Erfüllung des
Staatszwecks unumgänglichen Ausgaben. Immer-
hin bleibt noch ein erhebliches Feld übrig, auf
welchem man auf Verständigung zwischen den
Kammern unter sich und zwischen diesen und der
Regierung angewiesen ist. Die Lösung der Schwie-
rigkeiten wird erleichtert durch den Standpunkt der
Kontinuität, wonach eine einmal zwischen Regie-
rung und Landtag als unwandelbar anerkannte
Ausgabe nicht wieder einseitig zurückgezogen wer-
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