Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

1481 
daß das Budget nicht rechtzeitig zustande kommen 
sollte, konnte man sich auch nicht einigen, da eine 
Verständigung über die Zeitdauer der weiteren 
Gültigkeit des letzten Budgets nicht erzielt wurde. 
Eine königliche Botschaft vom 7. Jan. 1850 er- 
füllte zwar nicht den Wunsch der Zweiten Kammer 
nach Streichung der Worte des § 109 betr. 
Forterhebung der Steuern, kam aber in anderer 
Weise entgegen durch die Bestimmung, daß die 
Finanzgesetze zuerst der Zweiten Kammer vor- 
gelegt werden sollten. In den Motiven zu der 
Botschaft ist ausgesprochen, „daß der Zweiten 
Kammer .. ein überwiegender Einfluß auf Fi- 
nanzfragen eingeräumt werde“. Indem sodann 
eine nähere Feststellung der Befugnisse dieser 
Kammer und der Garantie für den regelmäßigen 
Fortgang der Regierung vorbehalten wird, heißt 
es, es sei anzunehmen, „daß einerseits die Zweite 
Kammer durch die ihr im § 99 eingeräumte wich- 
tige, mittels der gegenwärtig vorgeschlagenen Ande- 
rung noch verstärkte Befugnis befriedigt, anderseits 
die Regierung durch den Patriotismus dieser 
Kammer vor dem Land schädlichen Verlegenheiten 
bewahrt sein werde“. 
Die königliche Verordnung vom 31. Jan. 
1850 publizierte die Verfassungsurkunde. Schon 
am Ende desselben Jahrs trat der Fall ein, daß 
der Etat für 1851 vor Beginn dieses Jahrs 
nicht vereinbart war. Ein Antrag aus der Mitte 
des Abgeordnetenhauses ging dahin, zu erklären, 
daß ohne Zustimmung der Kammern das könig- 
liche Staatsministerium „nach Art. 99 der Ver- 
fassungsurkunde nicht berechtigt ist, für das mit 
dem 1. Jan. cr. begonnene Etatsjahr Ausgaben 
anweisen oder leisten zu lassen“. Das Staats- 
ministerium hatte die Fortleistung der laufenden 
Verwaltungsausgaben schlechthin, die des Extra- 
ordinariums unter gewissen Beschränkungen ange- 
ordnet, da aus der im Art. 109 sanktionierten 
Forterhebung der Steuern von selbst die Befugnis 
zur Verwendung folge. Von der Rechten wurde 
dieser Standpunkt geteilt; die große Mehrheit in- 
dessen stand auf dem Boden des erwähnten An- 
trags. Das Ministerium erklärte, sein Beschluß 
sei eine innere Angelegenheit des Ministeriums, 
auf seine Verantwortlichkeit gefaßt, zur Fort- 
führung der Staatsverwaltung nötig und wolle 
in keiner Weise das Recht der Kammern zur Fest- 
stellung des Etats beeinträchtigen. Diese Er- 
klärung führte die Verständigung herbei. Im 
Jahr 1852 wurde im Herrenhaus ein Antrag 
eingebracht, dem Art. 99 folgenden Zusatz zu 
geben: „Der Ausgabenetat zerfällt in den ordent- 
lichen, welcher die zu dauernden Staatszwecken er- 
forderlichen Bedürfnisse umfaßt, und in den außer- 
ordentlichen Etat. Zur Abänderung des ordent- 
lichen Ausgabenetats ist die Übereinstimmung 
der Staatsregierung und der beiden Kammern 
erforderlich und werden die in demselben ent- 
haltenen Ausgaben, bis diese Einigung erfolgt ist, 
fortgeleistet.“ Es sollte dadurch vermieden werden, 
Staatshaushalt. 
  
1482 
daß eine der legislativen Gewalten es in Händen 
habe, einseitig die Ausgaben in Frage zu stellen 
und dadurch den Gang der Staatsverwaltung zu 
hemmen. Man wies darauf hin, daß auch der 
außerordentliche Etat der Kammern noch Möglich- 
keit genug biete, Einfluß zu üben. Im Herren- 
haus wurde der Antrag mit Unterstützung seitens 
der Regierung angenommen, im Abgeordneten- 
haus verworfen. Auch fernere Versuche, die Be- 
stimmungen des Art. 99 abzuschwächen, blieben 
ohne Erfolg, bestätigten vielmehr, nach Ansicht der 
Vertreter desselben, nur die große Bedeutung in 
dem Sinn, daß von der Zweiten Kammer ge- 
strichene Etatspositionen aus dem Staatshaus- 
haltsgesetz ausgeschlossen seien, und daß bei Ver- 
werfung des Budgets durch das Herrenhaus es 
der Staatsregierung an jedem Rechtstitel zur 
Leistung irgend einer Ausgabe fehle. 
Die im Jahr 1860 in das Leben gerufene 
Militärorganisation hatte die Zustimmung der 
Zweiten Kammer nicht gefunden. Es waren zu- 
nächst nur in Form einmaliger Bewilligungen 
Mittel zur Verfügung gestellt; die Bewilligung 
im ordentlichen Etat war nicht zu erreichen. Noch 
1862 hatte der Vertreter des Ministeriums die 
Nichtberechtigung zur Fortleistung nicht bewilligter 
Ausgaben anerkannt. Der neue Ministerpräsident 
(v. Bismarck) nahm aber den Standpunkt ein, 
daß nicht dem Abgeordnetenhaus allein ein aus- 
schließliches Steuer= oder Ausgabenbewilligungs- 
recht zustehe, daß für das Budget die Uberein- 
stimmung der drei Faktoren der Gesetzgebung 
erforderlich sei, und daß, wo diese nicht zu er- 
reichen, ein Notrecht der Staatsregierung eintrete 
zur Weiterführung der Verwaltung. Ohne ent- 
scheiden zu wollen, welche der verschiedenen Theo- 
rien hinsichtlich des Rechts und der Pflicht zur 
Fortführung der Verwaltung richtig sei, erklärte 
der Ministerpräsident, „es reiche für ihn die Not- 
wendigkeit hin, daß der Staat existiere, und daß 
er es nicht darauf ankommen lasse, wenn man die 
Kassen schließe". Diese Anschauungen wurden 
scharf bekämpft. Ein Vertreter der oben aus- 
geführten Auslegung des § 99 (Reichensperger) 
geht nur so weit entgegen, daß es allerdings 
Pflicht der Staatsregierung sei, „die Existenz 
des Staats sicherzustellen, also die Kassen nicht 
zu schließen, vielmehr die zu jener Sicherstellung 
der Staatsexistenz absolut notwendigen sowie 
die im positiven Recht begründeten Ausgaben auf 
ihre persönliche Verantwortlichkeit zu leisten“. 
Es wird aber dabei nachdrücklich die Berechtigung 
der Weiterleistung der Militärausgaben trotz des 
ausdrücklichen entgegenstehenden Votums der 
Kammer bestritten. Tatsächlich wurde 1861 der 
letzte Staatshaushaltsetat festgestellt, und bis 
zum Jahr 1866 dauerte das etatslose Verhältnis. 
Erst im Jahr 1866 kam (am 14. Sept.) ein Ge- 
setz über die Erteilung der Indemnität zu stande, 
nachdem in der Thronrede vom 5. Aug. 1866 
ausgesprochen war: „Die Staatsausgaben, welche
	        
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