Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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kann nur durch Ubereinstimmung der drei Faktoren 
festgesetzt werden; Oktroyierung im Weg könig- 
licher Verordnung ist ausgeschlossen. Der Art. 99 
enthält keine ausdrückliche Bestimmung darüber, 
welche Rechtsgrundsätzeüber staatsrechtliche Grenzen 
des Bewilligungsrechts zu gelten haben. Es ist 
aber nach allgemeinen Grundsätzen und auch mit 
Rücksicht auf den Eid, der die Beobachtung der 
Gesetze vorschreibt, festzuhalten, daß die Feststel- 
lung des Etats dem geltenden Recht entsprechen 
muß. Keiner der Faktoren kann einseitig, ohne 
daß in UÜbereinstimmung mit den übrigen be- 
stehende Gesetze abgeändert oder aufgehoben wer- 
den, direkt oder indirekt gegen solche Gesetze im 
Etat Beschlüsse fassen. Es ist ein großer Teil der 
Einnahmen und Ausgaben, welcher der willkür- 
lichen Beschlußfassung dadurch entzogen ist. So 
sind ihr entzogen z. B. unter den Einnahmen 
diejenigen aus dem privatrechtlichen Erwerb des 
Staats, ferner die indirekten Steuern usw.; unter 
den Ausgaben Matrikularbeiträge an das Reich, 
Aufwendung für die nach Gesetz bestehenden Be- 
hörden usw. Ebensowenig können Ausgaben ver- 
weigert werden, welche auf rechtlich feststehenden 
Verpflichtungen beruhen. Immerhin kann aber 
die Volksvertretung für die nicht auch ihrer Höhe 
nach, wenn auch sonst gesetzlich feststehenden Aus- 
gaben in Bezug auf den Betrag bindend beschließen. 
In betreff aller sonstigen Ausgaben, namentlich der 
nur nützlichen, tritt das freie Bewilligungsrecht 
bzw. Verweigerungsrecht ein, indem durch den 
Ausdruck „Feststellung des Etats“ dieses Recht 
mit gedeckt ist. Auch unterliegt der Beschlußfassung 
der Volksvertretung die Frage, „ob der Fall einer 
gesetzlichen bzw. rechtlichen Verpflichtung des Staats 
zu der in Rede stehenden Leistung vorliegt“. Zu- 
gleich mit dem Etat muß auch die Deckung der 
durch die Einnahmen nicht gedeckten Ausgaben 
erfolgen, entweder im Etat selbst oder durch ein 
gleichzeitiges besonderes Finanzgesetz, wodurch die 
Stellung des Herrenhauses mehr gewahrt wird. 
Im Anschluß an den oben in seinen Haupt- 
zügen mitgeteilten Konflikt von 1862 bis 1866 
entwickelt Rönne die nachfolgend dargelegte An- 
sicht, welche von derjenigen Labands in wesent- 
lichen Punkten abweicht. Ausgeschlossen ist, daß 
an Stelle des „Gesetzes“, durch welches der Staats- 
haushalt festzustellen ist (Art. 99), eine „königliche 
Verordnung“ tritt. Der Etat wird „für jedes 
Jahr festgestellt", mithin kann aus dem für ein 
bestimmtes Jahr festgestellten Etat nicht die Er- 
mächtigung hergeleitet werden, in irgend einer 
Weise für einen längeren Zeitraum die Bestim- 
mungen desselben in Anwendung zu bringen. Der 
Voranschlag der Einnahmen und Ausgaben bildet 
einen Bestandteil des Gesetzes und wird damit für 
die Staatsregierung verbindlich. Freilich ist er 
dies nicht in dem Sinn eines Befehls, die im Etat 
eingesetzten Einnahmen in der angegebenen Höhe 
einzunehmen und die Ausgaben in der angegebenen 
Höhe zu leisten. Aber die Feststellung des Etats 
Staatshaushalt. 
  
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ist auch nicht ein bloßer Verwaltungsakt. Die 
Bedeutung des Art. 99 ist vielmehr, daß der durch 
ein Gesetz festzustellende Voranschlag für die Staats- 
regierung die formelle Ermächtigung zur Erhebung 
der Einnahmen und Leistung der Ausgaben ent- 
hält, daß nur das zustande gekommene Staats- 
haushaltsgesetz für die Staatsregierung die staats- 
rechtliche Vollmacht bildet und die verfassungs- 
mäßige Berechtigung begründet, die vereinbarten 
Ausgaben zu leisten. Unbestritten ist, daß ein 
großer Teil der eingestellten Einnahmen und Aus- 
gaben materiell bereits in andern Gesetzen be- 
gründet ist, und daß die Ausübung des Budget- 
rechts hierin seine Schranken zu erkennen hat. 
Wenn aber auch der „Staat“ teilweise vom Etat 
unabhängiges Recht zu Einnahmen, Pflichten zur 
Ausgabe hat, so folgt hieraus nicht ein gleiches 
für die jeweilige Staatsregierung und die verant- 
wortlichen Minister. Die Reglung der Einnahmen 
und Ausgaben für das Etatsjahr ist der gesetz- 
gebenden Gewalt übertragen;rst durch das Staats- 
haushaltsgesetz erhält die Staatsregierung Instruk- 
tion und staatsrechtliche Ermächtigung. 
Hinsichtlich der Forterhebung der bestehenden 
Steuern und Abgaben gibt zwar der Art. 109 ein 
selbständiges, durch das Budget nur verstärktes 
Recht, aber mit Bezug auf die Staatsausgaben 
gibt es nirgendwo eine Bestimmung, welche die 
Staatsregierung ohne Budgetgesetz ermächtigte, 
solche zu leisten. Verfassungsmäßig ist die Staats- 
regierung zu Ausgaben nicht berechtigt, wenn ihr 
durch das Budget die Ermächtigung dazu nicht 
übertragen ist. Wird die Ausgabe ohne diese ge- 
leistet, so ist der Zustand ein verfassungswidriger. 
Dieser kann nur beseitigt werden durch nachträg- 
liche Vereinbarung zwischen den gesetzgebenden 
Faktoren bzw. durch Indemnitätserklärung von 
seiten der Kammer gegenüber dem verfassungs- 
widrigen Verfahren der Regierung. Wenn man 
nun von anderer Seite meint, diese Auffassung 
sei um dessentwillen nicht aufrecht zu erhalten, 
weil sie zu weitgehenden Konsequenzen führe, so. 
daß man dieser wegen dazu kommen müsse, dem 
Etat die Eigenschaft eines Gesetzes abzusprechen, 
und es handle sich nur um eine Verständigung 
hinsichtlich des Voranschlags im Hinblick auf Not- 
wendigkeit und Angemessenheit, wenn daher die 
Rechtslage dieselbe sein solle bei dem Nichtzustande- 
kommen des Etats wie bei Etatsüberschteitungen, 
so schwinde die Bedeutung des Art. 99 vollständig. 
Die Regierung selbst habe es dann durch Nicht- 
bestätigung des von der Kammer abgeänderten 
Etats in der Hand, den budgetlosen Zustand her- 
beizuführen, und ihre Pflicht beschränke sich dann 
auf eine nachträgliche Rechnungslegung in Ge- 
mäßheit des § 104. Rönne sagt an dieser Stelle: 
(Diese Lehre) „mißachtet einfach das verfassungs- 
mäßige Budgetrecht — das wichtigste Recht der- 
Volksvertretung — und gestaltet dasselbe zu einem 
Zerrbild, welches als das gerade Gegenteil des 
Budgetrechts erscheint“.
	        
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