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Zuzugeben ist, daß die Volksvertretung ihr
Recht mißbrauchen kann. Trotzdem aber hat man
davon Abstand genommen, verfassungsmäßig fest-
zustellen, was zu geschehen habe, wenn der Etat
nicht zu stande kommt. Wenn deshalb hier von
einer Lücke gesprochen wird, so hat man in der
Verfassung diese Lücke nicht ausfüllen wollen. Die
Staatsregierung, in Erfüllung ihrer Aufgabe, das
Budget zu vereinbaren und nicht ohne dieses
Ausgaben zu machen, hat die Pflicht, von andern
verfassungsmäßigen Mitteln Gebrauch zu machen,
und diese sind (nach Rönne): „Wechsel der Re-
präsentation der Krone durch ihre verantwortlichen
Minister, Auflösung des Abgeordnetenhauses, Ver-
änderung des Bestands des Herrenhauses“.
Hiermit sind die Ansichten von zwei Haupt-
vertretern entgegengesetzter Richtungen zur Dar-
stellung gelangt. Laband nimmt für seine Auf-
fassung in Anspruch: Gneist, v. Gerber, G. Meyer,
Seligmann u. a. H. Schulze tritt mit der Be-
schränkung bei, daß er es nicht richtig findet, dem
Etatsgesetz eine über die Grenze der Finanzperiode
hinausreichende Gültigkeit zuzuschreiben, und eben-
so nicht, daß man den Zustand des nicht zustande
gekommenen Etatsgesetzes wie einen normalen, der
seine Regel hat, ansieht, und nicht vielmehr als
einen abnormen, verfassungswidrigen, „in welchem
die Regierung nur nach dem Gebot des Notstands
die Staatswirtschaft weiter zu führen berechtigt
ist". Als Gegner seiner Ansicht führt an und
kritisiert Laband: Jellinek, Arndt, v. Martitz,
Zorn, Hänel.
Es ist aus den im vorstehenden Abschnitt ab-
gedruckten Verfassungsbestimmungen der einzelnen
deutschen Staaten ersichtlich, wie man bemüht ist,
durch vorläufige Gültigkeit des alten Etats auf
eine gewisse Zeit, durch besondere Modalität bei Be-
rechnung der Stimmen, indem beide Kammern
zusammengezählt werden, und ähnliches, den Kon-
flikt zu vermeiden; die Möglichkeit desselben aber,
bei hartnäckigem beiderseitigem Verharren auf
demselben Standpunkt, ist nicht ausgeschlossen.
Das Deutsche Reich hat ferner den Standpunkt
der preußischen Verfassung angenommen, der Ver-
abschiedung des Etats nämlich durch ein Gesetz.
Hier also könnten dieselben theoretischen Streit-
fragen aufgeworfen werden wie bei der preußischen
Verfassung.
Es dürfte wohl nicht zu der Aufgabe dieses
Artikels gehören, für die eine oder die andere der
von bedeutenden Autoritäten aufgestellten Theorien
abschließend Stellung zu nehmen. Der praktische
Politiker wird indessen dem Standpunkt beipflich-
ten, daß, wenn eine Verfassung eine volle Aus-
füllung der sog. Lücke enthielte, die darin bestehen
soll, daß für den Fall der Nichtübereinstimmung
zwischen Staatsregierung und Volksvertretung
nicht vorgesehen ist, was an die Stelle der Zu-
stimmung der letzteren zu treten hat, daß dann an
die Stelle eines hochwichtigen politischen Rechts
der Volkspertretung eine sachlich wohl ganz ein-
Staatshaushalt.
1490
flußreiche, aber an letzter Stelle ohne durch-
greifende Bedeutung bleibende Mitwirkung an der
Verwaltungstätigkeit des Staats hinsichtlich der
Finanzen treten würde. Wenn man aber ferner
erwägt, daß ein Richter, der bei strittigen Punkten
zwischen Staatsregierung und Volksvertretung zu
entscheiden hätte, nicht vorhanden, auch nicht wohl
denkbar ist, so wird man zu dem Ergebnis kommen,
daß das pflichtmäßige Bewußtsein beider Teile,
das Wohl des Staats. fördern zu sollen, die Er-
kenntnis, daß der Konflikt dieses Wohl auf das
schwerste verletzt, den Weg zu einer Verständigung
suchen und finden lassen muß, wenn auch eine ge-
wisse Zeit bis zum Ausgleich der Gegensätze er-
forderlich ist. Ohne diesen Abschluß würde die
Existenz des Staats auf dem Spiel stehen.
VIII. Finanzbehörden. Es kann nicht die
Aufgabe sein, bis in frühere Zeiten zurückgreifend
eine Darstellung der zur Durchführung des Staats-
haushalts getroffenen Einrichtungen, insbesondere
der Behördenorganisationen zu bieten. Es möge
im allgemeinen darauf hingewiesen werden, wie in
früheren Zeiten in ein und derselben Behörde
Verwaltungsaufgaben verschiedenster Art vereinigt
waren, in der Hauptsache nach Provinzen, nach
einzelnen Landesteilen getrennt. Die Natural-=
wirtschaft des Mittelalters brachte dies naturgemäß
mit sich. Die Durchführung der Geldwirtschaft,
die Trennung der staatlichen Finanzverwaltung
von der Hofhaltsverwaltung der Fürsten, die
straffere Zentralisation des Staatswesens in den
absoluten Monarchien führte auch zu einem Zu-
sammenfassen der für die Finanzverwaltung haupt-
sächlich tätigen Behörden, wie solche heute in den
Finanzministerien in allen größeren Staaten ihren
Mittelpunkt finden.
Die Finanzbehörden im engeren Sinn sind die-
jenigen, deren Aufgabe es ist, die eigentlichen Ein-
nahmen — Steuern, Zölle, Gebühren aller Art
— zu erheben, welche mit einer staatswirtschaft-
lichen, gewerblichen oder gewinnbringenden Tätig-
keit (wie Post, Eisenbahn, Forstverwaltung usw.)
nicht in Beziehung stehen, sondern in Ausübung
des Staatshoheitsrechts eingefordert werden. Ein
großer Teil der Einnahmen, um so größer natür-
lich, je ausgedehnter die Staatsbetriebe sind,
werden durch die Behörden dieser Betriebe ver-
mittelt und fließen von hier der allgemeinen
Staatskasse zu. Erst dann tritt auch hier die Fi-
nanzverwaltung in unmittelbare Tätigkeit. Die
Finanzverwaltung hat sodann weiter die Aufgabe,
den einzelnen Verwaltungszweigen die erforder-
lichen Mittel zugehen zu lassen.
Für Preußen ist die Zeit Friedrich Wil-
helms I. (1713/40) von großer Bedeutung für
die Ordnung des Finanzwesens und die Organi-
sation der Behörden. Die zuerst bestehenden beiden
kollegialischen Behörden „General-Finanzdirek-
torium“ und „General-Kriegskasse“ vereinigte der
König 1722 zu dem „General-Ober-Finanz-
Kriegs-- und Domänendirektorium“. 1723 wurde