Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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Zuzugeben ist, daß die Volksvertretung ihr 
Recht mißbrauchen kann. Trotzdem aber hat man 
davon Abstand genommen, verfassungsmäßig fest- 
zustellen, was zu geschehen habe, wenn der Etat 
nicht zu stande kommt. Wenn deshalb hier von 
einer Lücke gesprochen wird, so hat man in der 
Verfassung diese Lücke nicht ausfüllen wollen. Die 
Staatsregierung, in Erfüllung ihrer Aufgabe, das 
Budget zu vereinbaren und nicht ohne dieses 
Ausgaben zu machen, hat die Pflicht, von andern 
verfassungsmäßigen Mitteln Gebrauch zu machen, 
und diese sind (nach Rönne): „Wechsel der Re- 
präsentation der Krone durch ihre verantwortlichen 
Minister, Auflösung des Abgeordnetenhauses, Ver- 
änderung des Bestands des Herrenhauses“. 
Hiermit sind die Ansichten von zwei Haupt- 
vertretern entgegengesetzter Richtungen zur Dar- 
stellung gelangt. Laband nimmt für seine Auf- 
fassung in Anspruch: Gneist, v. Gerber, G. Meyer, 
Seligmann u. a. H. Schulze tritt mit der Be- 
schränkung bei, daß er es nicht richtig findet, dem 
Etatsgesetz eine über die Grenze der Finanzperiode 
hinausreichende Gültigkeit zuzuschreiben, und eben- 
so nicht, daß man den Zustand des nicht zustande 
gekommenen Etatsgesetzes wie einen normalen, der 
seine Regel hat, ansieht, und nicht vielmehr als 
einen abnormen, verfassungswidrigen, „in welchem 
die Regierung nur nach dem Gebot des Notstands 
die Staatswirtschaft weiter zu führen berechtigt 
ist". Als Gegner seiner Ansicht führt an und 
kritisiert Laband: Jellinek, Arndt, v. Martitz, 
Zorn, Hänel. 
Es ist aus den im vorstehenden Abschnitt ab- 
gedruckten Verfassungsbestimmungen der einzelnen 
deutschen Staaten ersichtlich, wie man bemüht ist, 
durch vorläufige Gültigkeit des alten Etats auf 
eine gewisse Zeit, durch besondere Modalität bei Be- 
rechnung der Stimmen, indem beide Kammern 
zusammengezählt werden, und ähnliches, den Kon- 
flikt zu vermeiden; die Möglichkeit desselben aber, 
bei hartnäckigem beiderseitigem Verharren auf 
demselben Standpunkt, ist nicht ausgeschlossen. 
Das Deutsche Reich hat ferner den Standpunkt 
der preußischen Verfassung angenommen, der Ver- 
abschiedung des Etats nämlich durch ein Gesetz. 
Hier also könnten dieselben theoretischen Streit- 
fragen aufgeworfen werden wie bei der preußischen 
Verfassung. 
Es dürfte wohl nicht zu der Aufgabe dieses 
Artikels gehören, für die eine oder die andere der 
von bedeutenden Autoritäten aufgestellten Theorien 
abschließend Stellung zu nehmen. Der praktische 
Politiker wird indessen dem Standpunkt beipflich- 
ten, daß, wenn eine Verfassung eine volle Aus- 
füllung der sog. Lücke enthielte, die darin bestehen 
soll, daß für den Fall der Nichtübereinstimmung 
zwischen Staatsregierung und Volksvertretung 
nicht vorgesehen ist, was an die Stelle der Zu- 
stimmung der letzteren zu treten hat, daß dann an 
die Stelle eines hochwichtigen politischen Rechts 
der Volkspertretung eine sachlich wohl ganz ein- 
Staatshaushalt. 
  
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flußreiche, aber an letzter Stelle ohne durch- 
greifende Bedeutung bleibende Mitwirkung an der 
Verwaltungstätigkeit des Staats hinsichtlich der 
Finanzen treten würde. Wenn man aber ferner 
erwägt, daß ein Richter, der bei strittigen Punkten 
zwischen Staatsregierung und Volksvertretung zu 
entscheiden hätte, nicht vorhanden, auch nicht wohl 
denkbar ist, so wird man zu dem Ergebnis kommen, 
daß das pflichtmäßige Bewußtsein beider Teile, 
das Wohl des Staats. fördern zu sollen, die Er- 
kenntnis, daß der Konflikt dieses Wohl auf das 
schwerste verletzt, den Weg zu einer Verständigung 
suchen und finden lassen muß, wenn auch eine ge- 
wisse Zeit bis zum Ausgleich der Gegensätze er- 
forderlich ist. Ohne diesen Abschluß würde die 
Existenz des Staats auf dem Spiel stehen. 
VIII. Finanzbehörden. Es kann nicht die 
Aufgabe sein, bis in frühere Zeiten zurückgreifend 
eine Darstellung der zur Durchführung des Staats- 
haushalts getroffenen Einrichtungen, insbesondere 
der Behördenorganisationen zu bieten. Es möge 
im allgemeinen darauf hingewiesen werden, wie in 
früheren Zeiten in ein und derselben Behörde 
Verwaltungsaufgaben verschiedenster Art vereinigt 
waren, in der Hauptsache nach Provinzen, nach 
einzelnen Landesteilen getrennt. Die Natural-= 
wirtschaft des Mittelalters brachte dies naturgemäß 
mit sich. Die Durchführung der Geldwirtschaft, 
die Trennung der staatlichen Finanzverwaltung 
von der Hofhaltsverwaltung der Fürsten, die 
straffere Zentralisation des Staatswesens in den 
absoluten Monarchien führte auch zu einem Zu- 
sammenfassen der für die Finanzverwaltung haupt- 
sächlich tätigen Behörden, wie solche heute in den 
Finanzministerien in allen größeren Staaten ihren 
Mittelpunkt finden. 
Die Finanzbehörden im engeren Sinn sind die- 
jenigen, deren Aufgabe es ist, die eigentlichen Ein- 
nahmen — Steuern, Zölle, Gebühren aller Art 
— zu erheben, welche mit einer staatswirtschaft- 
lichen, gewerblichen oder gewinnbringenden Tätig- 
keit (wie Post, Eisenbahn, Forstverwaltung usw.) 
nicht in Beziehung stehen, sondern in Ausübung 
des Staatshoheitsrechts eingefordert werden. Ein 
großer Teil der Einnahmen, um so größer natür- 
lich, je ausgedehnter die Staatsbetriebe sind, 
werden durch die Behörden dieser Betriebe ver- 
mittelt und fließen von hier der allgemeinen 
Staatskasse zu. Erst dann tritt auch hier die Fi- 
nanzverwaltung in unmittelbare Tätigkeit. Die 
Finanzverwaltung hat sodann weiter die Aufgabe, 
den einzelnen Verwaltungszweigen die erforder- 
lichen Mittel zugehen zu lassen. 
Für Preußen ist die Zeit Friedrich Wil- 
helms I. (1713/40) von großer Bedeutung für 
die Ordnung des Finanzwesens und die Organi- 
sation der Behörden. Die zuerst bestehenden beiden 
kollegialischen Behörden „General-Finanzdirek- 
torium“ und „General-Kriegskasse“ vereinigte der 
König 1722 zu dem „General-Ober-Finanz- 
Kriegs-- und Domänendirektorium“. 1723 wurde
	        
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