Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

1497 
ausgeübt durch die Kammern, le contröle ad- 
ministratif, welche die Verwaltung selbst besorgt, 
und le contröle judiciaire, für welche die Cour 
des comptes eingesetzt ist. Seit dem Jahr 1815 
war man bestrebt, das gesamte Rechnungswesen 
zu zentralisieren, da die früheren Einrichtungen 
zu großen Ubelständen geführt hatten. Die legis- 
lative Kontrolle ist nur eine summarische auf 
Grund der vom Finanzminister vorgelegten Nach- 
weisungen hinsichtlich der Ubereinstimmung der- 
selben mit den gemachten Bewilligungen; die 
Kontrolle erstreckt sich nur auf die Anweisungs- 
behörden (ordonnateurs), nicht auf die Rech- 
nungspflichtigen (comptables). Nebenbei sei mit- 
geteilt, daß die Kammer eine solche Zeit für diese 
Prüfungen braucht, daß sie sich im Frühjahr 1887 
dreizehn noch mehr oder weniger unerledigten 
Budgets gegenüber befand. Die Direktion der 
administrativen Kontrolle wird durch das Finanz- 
ministerium geübt, ist sehr eingehend nach allen 
Richtungen, aber nicht öffentlich und nicht un- 
abhängig. Der höchste Rechnungshof, dessen Vor- 
gänger die Chambres des comptes der alten 
Monarchie waren, und welcher 1807 von Na- 
poleon eingerichtet wurde, ist ein Gerichtshof erster 
und zweiter Instanz für die höheren Rechnungs- 
stellen, zweiter Instanz für die Rechnungen der 
Kommunalverwaltungen; seine Gerichtsbarkeit er- 
streckt sich aber nicht auf die ordonnateurs, weil 
man ihm keinen Einfluß auf die eigentliche Ver- 
waltung einräumen wollte. Der Rechnungshof 
prüft also, ob der Rechnungsleger gedeckt ist durch 
die Anweisung, aber nicht, ob z. B. die An- 
weisung übereinstimmt mit dem Titel des bewil- 
ligten Budgets. Allerdings aber erläßt der Rech- 
nungshof als eine Art conseil de censure über 
die gesamte Finanzverwaltung eine Kritik in einem 
besondern Bericht. Es wird als Mangel hervor- 
gehoben (von Leroy-Beaulieu), daß der Rech- 
nungshof nicht in hinreichender Verbindung mit 
den Kammern stehe, keine Jurisdiktion über die 
ordonnateurs habe, und daß eine Kontrolle über 
die Verfassungsmäßigkeit der Zahlungsanwei- 
sungen fehle, für welche der Rechnungshof vor ihrer 
Gültigkeit die Ubereinstimmung mit den Budget- 
bewilligungen bescheinigen müßte, wie dies in 
Belgien, Holland und Italien ähnlich bestehe. 
England mit seiner parlamentarischen Re- 
gierung bietet abweichende Erscheinungen von der 
durchgebildeten Kontrolle in Frankreich sowohl 
als auch von den Einrichtungen der konstitutionell- 
monarchischen deutschen Staaten. Die Rechte des 
englischen Parlaments sind stärker ausgebildet wie 
die in den letzterwähnten Staaten, trotzdem aber 
oder vielmehr gerade aus diesem Grund wurde 
Bewilligung und Kontrolle im einzelnen viel 
weniger streng gehandhabt, weil die Minister in 
einem Vertrauensverhältnis zur herrschenden Par- 
lamentsmajorität stehen. Ende des 18. Jahrh. 
führte man eine Rechnungslegung an das Unter- 
haus ein, welche indessen ein reiner Formalakt 
Staatshaushalt. 
  
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wurde. Erst 1862 wurde eine stehende Kom- 
mission des Unterhauses zur Prüfung der Staats- 
rechnungen eingesetzt, mit welcher nun die Ober- 
rechnungskammer derart in Verbindung gebracht 
ist, daß sie zugleich als Hilfsbehörde des Unter- 
hauses erscheint. Die Generalkontrolle besteht aus 
dem Comptroller general (und einem Stell- 
vertreter), welcher die Zahlungsordern dahin prüft, 
ob dieselben in Übereinstimmung mit der könig- 
lichen Order, dem GMsetz und der Parlaments- 
bewilligung sind. Sodann wird die gesamte 
Staatsrechnung rückwärts kontrolliert durch die 
Oberrechnungskammer, welche zunächst an das 
Finanzministerium die Monita zur Erledigung 
mitteilt und erst dann an das Parlament be- 
richtet. Die neuen Einrichtungen beruhen auf der 
Exchequer and Audit Act von 1866, durch 
welche neben dem alten Schatzamt ein eigentlicher 
Rechnungshof mit richterlichem Charakter gebildet 
wird, welche beide in dem Comptroller general 
denselben Vorsitzenden haben. 
Seit dem 1. April 1899 steht in Preußen 
das Gesetz „betreffend den Staatshaushalt“ vom 
11. Mai 1898 (sog. Komptabilitätsgesetz) in Kraft. 
Dasselbe wird eine wesentliche Grundlage für die 
Veranschlagung, Führung und Kontrolle des 
Staatshaushalts bilden. Es enthält eine einheit- 
liche Zusammenstellung der etatsrechtlichen Be- 
stimmungen und beseitigt eine erhebliche Anzahl 
unter den verschiedenen Instanzen vorgekommener 
Meinungsverschiedenheiten. 
Literatur. Die Werke über Finanzwissenschaft 
(s. dies. Art.) behandeln sämtlich auch die Fragen 
es S.s, wenigstens in der staatswirtschaftlichen 
Bedeutung. Die staatsrechtliche Seite findet sich 
namentlich behandelt in den Werken von Laband, 
Das Staatsrecht des Deutschen Reichs (2 Bde, 
*"1901); Schulze-Gävernitz, Das preuß. Staats- 
recht II (21888/90), insbes. S. 203 ff; Rönne, 
Preuß. Staatsrecht (71881/84); A. F. Riedel, Der 
brandenburgisch-preuß. S. in den beiden letzten 
Jahrhunderten (1866); M. Seydel, Bayr. Staats- 
recht II (21896) 535 ff (eingehende Behandlung der 
geschichtl. Entwicklung des bayr. Budgetrechts); val. 
ferner die verschiedenen Darstellungen des Staats- 
rechts der deutschen Einzelstaaten; M. v. Heckel, 
Das Budget (1898, mit umfangreicher Biblio- 
graphie von Lippert); Seidler, Budget u. Budget- 
recht im S. der konstitutionellen Monarchie (1885); 
Jellinek, Der Anteil der Ersten Kammern an der 
Finanzgesetzgebung (1908); Rehm, Das Budget- 
recht des bayr. Landtags, zugleich ein Beitrag zum 
Budgetrecht der Volksvertretung nach den älteren 
Verfassungen, in Hirths Annalen des Deutschen 
Reichs, Jahrg. 1901, 641; Art. „S.“ in Stengels 
Wörterbuch des deutschen Verwaltungsrechts II 
(1890) 471; Art. „Budget u. Budgetrecht“ im 
Handwörterb. der Staatswissenschaften III (31909) 
277 ff. Insbes. für die Budgetfragen: Czoernig, 
Budget, Staatsrechnung u. Kontrolle in Osterreich, 
Preußen, Sachsen, Baden, Frankreich u. Belgien 
(1866); Lasker, Zur Verfassungsgeschichte Preußens 
(1874); P. Reichensperger, Denkschrift betr. das 
verfassungsmäßige Budgetrecht des Haufes der Ab-
	        
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