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druckt bei Dupin. Manuel du droit public ec-
clésiastiqus frangais [Par. 1847)), der dann
später die zweite, offizielle Formulierung in der
Declaratio cleri Gallicani 1682 folgte.
Für die Betätigung des Staatskirchentums bil-
deten sich wiederum zunächst in Frankreich und
dann auch in allgemeinerer Verbreitung vor allem
zwei rechtliche Formen heraus: das staat-
liche Placet für kirchliche Akte und der Recursus
ab abusu, der Rekurs an den Staat gegen „Miß-
brauch“ der geistlichen Gewalt. Ursprünglich wur-
den sowohl das Placet wie der Recursus wesentlich
als Defensive begründet und in der Fiktion auch
lange noch so festgehalten. Faktisch aber dienten
beide bald zu Ein= und Übergriffen in das inner-
kirchliche Gebiet. Die Art, wie der Appel comme
d’abus besonders später in Frankreich geübt wurde,
bedeutete geradezu eine Lahmlegung der kirchlichen
Selbständigkeit; in den Gerichtshöfen, denen der
Recursus zugewiesen war, in den Parlamenten,
entschieden Kalvinisten und Jansenisten über den
Sinn der canones und über rein geistliche Dinge
(ogl. Eichmann a. a. O. 54. 57).
In Deutschland erhielt die einsetzende staats-
kirchliche Entwicklung wie überhaupt das staatliche
und politische Leben einen eigenartigen Charakter
durch das Aufkommen der Landeshoheit. Die
Mannigfaltigkeit der Anknüpfungspunkte und
Triebkräfte, die bei Ausbildung der Landeshoheit
wirksam waren, zeigte sich auch bei Ausbildung des
landesherrlichen Kirchenregiments. Der Landesherr
ist der tertius gaudens im Kampf zwischen Kaiser-
tum und Papsttum. Anknüpfungspunkte zur Er-
strebung und Erweiterung seiner „landeskirchlichen
Rechte“ boten sich im Zusammenhang mit der er-
starkenden Staatsidee genug. (Die Gerechtsame
des Patronates an den ehemaligen „Eigen“-
kirchen des Territoriums; die Vogtei über die im
Territorium gelegenen landeskirchlichen Anstalten;
die Rivalität mit den geistlichen Fürsten, die über
ihr Territorium hinaus geistliche Macht hatten und
dadurch manchem weltlichen Fürsten, der mit ihnen
gerade politische Händel hatte, unbequem waren
u. a.) Diese landeskirchlichen Rechte wurden teils
einfach usurpiert, teils wurden sie gesichert durch
rechtsförmliche Abmachungen mit kirchlichen In-
stanzen sowie durch mehr oder weniger mühsam
erworbene Privilegien von seiten des päpstlichen
Stuhls (vgl. auch den merkwürdigsten Fall eines auf
„päpstliche Privilegierung“ begründeten Staats-
kirchentums: die Monarchia Sicula; Scherer,
Handbuch des Kirchenrechts I, 1 118851] 524;
Sentis, Die Monarchia Sicula (1869.).
Das Resultat war bei aller Verschiedenheit der
Motive und der Ausgestaltung im einzelnen die
Tatsache, daß sich auch in Deutschland im
späteren Mittelalter bedeutsame Ansätze staats-
kirchlicher Verhältnisse vorfinden; sie haben ihren
schärfsten Ausdruck gesunden in dem Sprichwort:
Dux Clivige est papa in territorüs suis (ogl.
Werminghoff, Neuere Arbeiten über das Ver-
Staatslexikon. IV. 3. u. 4. Aufl.
Staatskirchentum.
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hältnis von Staat und Kirche in Deutschland
während des späteren Mittelalters, in Histor.
Vierteljahrschr. XI I1908!l 153/192; ders. Ver-
passungsgeschichte der deutschen Kirche im Mittel-
alter, in Grundriß der Gelchictswissensch hrsg.
von Meister II. 6 11907] 88 27. 28).
Eine Verstärkung hatte die staatskirchliche Auf-
fassung schon durch den Humanismus erfahren,
sowohl durch den Hinweis auf die Grundsätze des rö-
mischen Staatskirchentums als auch durch den Nach-
weis der Unechtheit einiger theoretischer Stützen der
Hierokratie (Konstantinische Schenkung, Pfeudo-
isidor). Noch mehr aber wurde das Staatskirchen-
tum gefestigt durch die Reformation; einmal
indirekt durch den Einfluß der sich herausbildenden
protestantischen Auffassung von der staatlichen
Kirchenhoheit, sodann faktisch durch die bedeutsame
Stellung, die die katholischen Territorialfürsten
für die Durchführung der katholischen Restauration
hatten. Eine weitere Steigerung der staatskirch-
lichen Ideenrichtung lag in den Anschauungen
desstaatlichen Absolutismus, der auch
vor kirchlichen Einrichtungen nicht Halt machen
wollte. (Für das Hinübergreifen des staatlichen
Absolutismus auf das kirchliche Gebiet vgl. den
lehrreichen Aufsatz von Philippson, Philipp II.
von Spanien und das Papsttum, in Hist. Zeit-
schrift, 39. Jahrg. L18787 269/315, 419/457.)
Ihren Höhepunkt erreichten die staatskirch-
lichen Tendenzen sowohl theoretisch wie praktisch
im Zeitalter der Aufklärung, wo vielfach öder
Rationalismus und freiheitsfeindlicher Absolutis=
mus sich die Hand reichten und die Kirche schlecht-
weg zur Polizeimagd erniedrigt werden sollte. Es
kam nicht bloß zum staatlichen Hereinregieren in
die innern kirchlichen Angelegenheiten (Josefinis-
mus), sondern auch zum Versuch, die verfassungs-
mäßigen Grundlagen der Kirche zu ändern (Fe-
bronius). (Zur Geschichte und Literatur val.
J. F. v. Schulte, Geschichte der Quellen und
Literatur des kanonischen Rechts von Gratian bis
auf die Gegenwart III, 1. TI (1880|]; Stintzing-
Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissen-
schaft 3. Abt. L18981, X. Kap.: Der Sieg der
Aufklärung 368/435; A. Rösch, Das Kirchenrecht
im Zeitalter der Aufklärung, in Archiv für katho-
lisches Kirchenrecht (1903, 1904, 19051J.— Eine
knappe Ubersicht des josefinischen Systems bei
Sägmüller, Lehrbuch des katholischen Kirchenrechts
I„19097 814, Nr 7.
Um die Wende des 19. Jahrh. kam es
in Deutschland in Verbindung mit dem Staats-
kirchentum noch zu nationalkirchlichen Ab-
splitterungsversuchen (DDalberg-Wessen-
berg; zur Geschichte dieser und auch der früheren
nationalkirchlichen Bestrebungen in Deutschland
vgl. Werminghoff. Nationalkirchliche Bestrebungen
im deutschen Mittelalter, in Kirchenrechtliche Ab-
handlungen, hrsg. von U. Stutz, 61. Hft (1910)).
Aber auch bald setzte, nicht ohne Zusammenhang
mit dem allgemeinen Freiheitsstreben der Zeit,
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