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verantwortlich. Die furchtbaren Kämpfe zwischen
Königtum und Parlament, in denen der König
und leitende Persönlichkeiten wie der Earl of
Strafford und der Erzbischof Laud von Canter-
bury vom Parlament angeklagt und zum Tod ver-
urteilt wurden, und die zweite Revolution von
1688 veranlaßten dann Wilhelm III. zunächst die
Mitglieder des privy council aus beiden Parla-
mentsparteien, den Whigs und den Tories, zu
nehmen, dann aber ausschließlich Angehörige der
Parlamentsmehrheitspartei.
Mit dem Regierungsantritt der hannoverschen
Dynastie in England, die des Landes und der
englischen Sprache zunächst völlig unkundig war,
wächst der Einfluß des Kabinetts und entwickelt
sich immer mehr zur selbständigen Regierungs-
behörde; und seit 1782 ist es herrschender Grund-
satz, daß ein Mißtrauensvotum des Unterhauses
gegen den Premier des Kabinetts auch das ganze
Kabinett zu Fall bringt; damit ist das Kabinett
zum parlamentarischen Ministerium geworden
(s. d. Art. Parlamentarismus).
Die von England und Frankreich ausgehenden
neuen Ideen bewirkten auch in Preußen eine
völlige Umgestaltung der Zentralverwal-
tung, die seit dem Jahr 1810 vollzogen wurde.
Während der Entwurf des Freiherrn vom Stein
eine Kollegialverfassung des Ministeriums in Aus-
sicht genommen hatte, wurde unter Würdigung der
schwierigen Verhältnisse des Staats zunächst das
Bureausystem eingeführt, d. h. an die Spitze der
gesamten Verwaltung wurde ein Premierminister,
der Staatskanzler, gestellt, der auch tatsächlich bis
1822, nämlich bis zum Tod des damaligen In-
habers dieses Amts, des Fürsten von Hardenberg,
der staatsrechtliche Zentralpunkt für die Verwaltung
war; er konnte jederzeit Rechenschaft und Aus-
kunft über jeden Gegenstand fordern und in jedem
Fall Anordnungen der Minister suspendieren, um
die Befehle des Königs einzuholen, er konnte in
besonders dringenden Fällen von sich aus ver-
fügen, außerdem war ihm eine Reihe spezieller
Geschäfte übertragen, so daß er eine Machtfülle
besaß, wie sie in der Geschichte des deutschen
Staatsrechts nie vorher und nie nachher vor-
gekommen ist. Die Kabinettsorder vom 3. Juni
1814 hat zwar nähere Anordnungen erteilt über
das Staatsministerium, also die Gesamtheit der
Departements-oder Ressortministerien der auswär-
tigen Angelegenheiten, der Justiz, des Kriegs und
Staatsministerium.
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Preußen, sonst der älteste Minister. Zwischen den
einzelnen Ressorts haben während dieser ganzen
Zeit bis 1848 fortwährende Verschiebungen statt-
gefunden. Seit 1848 steht an der Spitze des
Staatsministeriums ein Ministerpräsident — zu
Zeiten auch ein Vizepräsident —, der den Vorsitz
in den Sitzungen führt und gewisse Leitungsbe-
fugnisse hat. Im gleichen Jahr wurden auch das
Ministerium für Handel, Gewerbe und öffentliche
Arbeiten und das Ministerium für Landwirtschaft
errichtet. Gegenwärtig besteht das preußi-
sche Staatsministerium aus folgenden
Ministern: 1. dem Präsidenten des Staatsmini-
steriums, 2. dem Finanzminister, 3. dem Minister
der geistlichen, Unterrichts= und Medizinalange-
legenheiten, 4. dem Minister für Handel und Ge-
werbe, 5. dem Minister des Innern, 6. dem Justiz-
minister, 7. dem Kriegsminister, 8. dem Minister
für Landwirtschaft, Domänen und Forsten und
9. dem Minister der öffentlichen Arbeiten (das
Ministerium des Königlichen Hauses ist keine
Staatsbehörde; s. hierüber Art. Hof Bd IL,
Sp. 1267); dazu kommen 10. der Staatssekretär
des Auswärtigen Amts des Deutschen Reichs,
11. der Staatssekretär des Reichsamts des Innern,
12. der Staatssekretär des Reichsmarineamts, die
alle zugleich preußische Minister sind, wodurch die
Position des Reichskanzlers innerhalb des preußi-
schen Staatsministeriums verstärkt wird, da letztere
Minister dort „Reichsgedanken, Reichspolitik ver-
treten“ sollen, wie Bismarck in einer Rede vom
10. März 1877 im Reichstag ausführte. Daß
der Reichskanzler zugleich preußischer Minister-
präsident sein muß, ist nicht verfassungsrechtlich
vorgeschrieben, wohl aber ergibt sich aus der Auf-
gabe des preußischen Ministers der auswärtigen
Angelegenheiten, die deutsche Politik Preußens zu
führen, die Notwendigkeit, daß die Amter des
Reichskanzlers und des preußischen Ministers der
auswärtigen Angelegenheiten in einer Person ver-
einigt sind, während eine Vereinigung des Reichs-
kanzleramts mit dem preußischen Ministerpräsidium
zwar sehr wünschenswert, aber nicht unbedingt
notwendig erscheint. So ist tatsächlich bis jetzt
schon zweimal, nämlich 1873 und 1894, die Ver-
einigung der beiden letztgenannten Amter durch-
brochen gewesen.
Auch in den süddeutschen Mittelstaaten,
Bayern, Württemberg und Baden, hat sich das
Staatsministerium aus dem Geheimen Rat all-
des Innern unter dem Vorsitz des Staatskanzlers, mählich entwickelt. In Bayern wurde schon
indes trugen diese Bestimmungen nur provisori= 1799 eine Ministerialorganisation nach fran-
schen Charakter, und so ist bis 1822 der Staats= zösischem Muster, und zwar nach dem Realsystem
kanzler der plenipotente Leiter des Staats. Nach mit vier Departements eingeführt, die dann
Hardenbergs Tod ist kein Staatskanzler mehr er-#1817 zum „Gesamtstaatsministerium“ als oberster
nannt worden. Nunmehr standen dem König die Staatsbehörde umgestaltet wurde; es besteht heute
Staatsminister samt und sonders ohne Mittels- 1 aus sechs Staatsministerien, nämlich dem Staats-
person mit dem Recht des unmittelbaren Vortrags ministerium des königlichen Hauses und des
beim König gegenüber. Außern, der Justiz, des Innern, der Schul= und
Den Vorsitz im Staatsministerium führte nun Kirchenangelegenheiten, der Finanzen und des
zunächst der Kronprinz, später der Prinz von Krieges.