Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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In Osterreich ist die Zahl der Minister nicht be- 
schränkt, nur bedarf es natürlich bei Schaffung 
neuer Ministerstellen der Einstellung ihrer Bezüge 
in den Staatsvoranschlag, wobei auch hier Minister 
ohne Portefeuille denkbar sind. Der Monarch 
kann jederzeit die Minister unter seinem Vorsitz zu 
einem Ministerrat oder Kronrat zusammenberufen; 
der Ministerrat als solcher ist keine kollegiale Be- 
hörde mit bindenden Majoritätsbeschlüssen. Das 
Gesamtministerium als Ganzes hat in Tätigkeit 
zu treten z. B. bei der Kontrasignatur von Not- 
gesetzen, bei Verhängung des Ausnahmezustands 
und bei Suspension von Geschworenengerichten. 
In Rußland, das seit 1905 eine Konstitution 
hat, übt der Zar die Regierung aus mit dem von 
ihm ernannten „regierenden Senat“ und dem 
„Ministerrat“", der die elf Minister und die 
obersten Verwaltungsdirektoren umfaßt, und mit 
dem „Ministerkomitee“ (1906 —= 27 Mitglieder, 
darunter alle Minister). Das Ministerkomitee 
und der Ministerrat sind im Grunde genommen 
dasselbe, nur wenig modifizierte Kollegium; es 
heißt Ministerrat, wenn es zu Beratungen über 
die verschiedenartigsten vom Kaiser speziell bezeich- 
neten Sachen unter dessen persönlichem Vorsitz zu- 
sammentritt, während es Ministerkomitee genannt 
wird, wenn es die im Gesetz bezeichneten Sachen 
begutachtet und darüber dem Kaiser berichtet, in 
einzelnen Fällen auch selbständige Entscheidungen 
fällt, welche einer weiteren Bestätigung nicht be- 
dürfen. 
Im Königreich der Niederlande steht an 
der Spitze der Verwaltung ein Ministerrat, be- 
stehend aus den Chefs der neun Ministerien. 
Präsidiert der König (bzw. die Königin) einem 
Ministerrate, so heißt derselbe Kabinettsrat, sonst 
wechselt der Vorsitz unter den Ministern alle Mo- 
nate nach der Reihenfolge ihrer Ernennung. 
In Dänemark bilden die acht Minister ver- 
fassungsgemäß als beratendes Organ des Königs 
den Staatsrat, in dem auch der volljährige Thron- 
folger Sitz hat. Die Minister ohne den Mon- 
archen bilden den Ministerrat, in welchem Mehr- 
heitsbeschlüsse gefaßt werden. 
Die norwegische Landesregierung bildet der 
Staatsrat, dessen Mitglieder je einem der acht De- 
partements der Regierung vorstehen, es sind dies 
die Ressortminister. Das Vertrauen der Volksver- 
tretung, des Storthings, ist die unerläßliche Vor- 
aussetzung für die Leitung der Regierungsgeschäfte 
durch das Ministerium, den sog. Staatsrat. 
Ebenso wird in Schweden die oberste Re- 
gierungsbehörde Staatsrat genannt, bestehend aus 
dem Staatsminister, der den Vorsitz führt in Ab- 
wesenheit des Königs, dem Minister des Aus- 
wärtigen und acht Staatsräten. 
Die oberste Verwaltungsbehörde des König- 
reichs Spanien bildet der Ministerrat (consejo 
de ministros), der folgende acht Minister umfaßt: 
Staatsminister, zugleich für Außeres, Gnade und 
Justiz, Krieg, Marine, Finanzen, Inneres, Künste 
Staatsministerium. 
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und Unterricht, Ackerbau, Industrie, Handel und 
öffentliche Arbeiten. 
Wenn in England ein Ministerium demissio- 
niert, so pflegt — nach der Parteisitte, die die engli- 
schen Parteiorganisationen und damit auch das Mi- 
nisterkabinett beherrscht — der abgehende Premier 
dem König zu empfehlen, den anerkannten Führer 
der Oppositionspartei mit der Bildung eines neuen 
Ministeriums zu betrauen. Der König bestellt nun 
den Premierminister und dieser seine Kollegen im 
Kabinett, deren Zahl nicht fixiert ist; sie schwankt 
in neuester Zeit zwischen 15 und 20. Nach fest- 
stehender Parteisitte sollen im Kabinett folgende 
Departements vertreten sein: Als Premier der 
First Lord of the Treasury, dann der eigent- 
liche Finanzminister (Chancellor of the Ex- 
chequer), der Lordkanzler, der erste Lord der Ad- 
miralität, die fünf Staatssekretäre: des Innern, 
des Außern, des Kriegs, der Kolonien und für In- 
dien, ferner der Statthalter von Irland, sodann 
der Handelsminister, Ackerbauminister, der Unter- 
richtsminister und der Selbstverwaltungsminister. 
Dazu kommen bisweilen auch Minister ohne Porte- 
feuille, die aber ebenso verantwortlich sind wie die 
übrigen. Mit dem Wechsel des Kabinetts wechseln 
aber noch etwa 30 andere Amtsträger, so will es 
die alles beherrschende Parteisitte. Und diese Partei- 
sitte, dieser Parteikonventionalismus, die in Eng- 
land die Verwaltungsroutine ersetzt, geht oft un- 
merklich in Rechtsnormen über; sie verbindet sich 
mit bestehenden Rechtssätzen. So ist auch das Amt 
des Premierministers von der Parteisitte geschaffen 
und bis 1905 dem englischen geschriebenen Staats- 
recht unbekannt, erst da wird das Amt als solches 
in der vom König erlassenen als Rechtsordnung 
geltenden Rangliste genannt. Der Grundsatz, daß 
die Kabinettsmitglieder gleichzeitig ihr Amt auf- 
geben müssen, wenn die Majorität des Kabinetts 
oder der Premier die Demission beschließt, ist nur 
ein Korrelat des Grundsatzes der politischen Gleich- 
gesinnung der Minister, der 1812 festgelegt wurde. 
In Belgien ist der König nach dem Wort- 
laut der Verfassung frei in der Wahl seiner Mi- 
nister, tatsächlich aber ist es gewohnheitsmäßige 
Regel, die Minister aus der Mehrheitspartei des 
Parlaments zu nehmen, da in Belgien wie in 
England das parlamentarische Regime herrscht. 
Koalitionsministerien sind möglich, aber selten. 
Fast immer wählt der König seine Minister aus 
der Zahl der Abgeordneten oder der Senatoren. 
Gegenwärtig hat Belgien zehn Ministerien. Die 
Gesamtheit der Minister bildet den Ministerrat, 
dessen Präsident als Premierminister oder Kabi- 
nettschef vom König ernannt wird. Die Stellung 
des Premier in Belgien ist nicht so bedeutend wie 
die des Premier in England. — Der König kann 
auch Minister ohne Portefeuille ernennen, die im 
Ministerrat stimmberechtigt sind; indes kommen 
solche Ernennungen selten mehr vor. Die Befug- 
nisse des Ministerrats als solche sind nach der Ver- 
fassung nur eng begrenzte. So werden nach Art. 79
	        
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