Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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des Erfordernisses der Gegenzeichnung würde die 
sein, daß alle seit Erlaß der Verfassung geschehenen 
Regierungsakte ungültig wären, da die erste Er- 
nennung eines Ministers nicht von einem verant- 
wortlichen Minister gegengezeichnet sein konnte, 
denn dieser sei erst durch die Verfassung als verfas- 
sungsmäßiger Faktor geschaffen worden. — Dieser 
zweifellos vorliegenden kleinen formalen Anomalie 
gegenüber möchten wir doch aus politischen Grün- 
den an dem Erfordernis der Gegenzeichnung bei 
Ministerernennungen festhalten, wie ja auch tatsäch- 
lich die Ernennungen unter Gegenzeichnung vor sich 
gehen. Dasselbe giltfür Ministerentlassungen, 
nur daß hier formal die Gegenzeichnung der 
eignen Entlassung natürlich nicht zu beanstanden 
ist. Die Verfassungen der meisten deutschen 
Staaten drücken sich über die oben erwähnte Frage 
nicht klar aus. Gewöhnlich heißt es: „Dem König 
(Großherzog, Fürsten..)steht die vollziehende 
Gewalt zu . er ernennt.. nach freier Wahl 
die Minister ... usw.). Nur einige wenige, und 
zwar nichtdeutsche Verfassungen verlangen aus- 
drücklich die Gegenzeichnung bei Ministerernen- 
nungen; so Ungarn, Luxemburg, Frank- 
reich. Einige deutsche Verfassungen sehen aus- 
drücklich in dem strittigen Fall von der Gegen- 
zeichnung ab; so die Verfassung von Olden- 
burg, Waldeck und Schaumburg-Lippe. 
Die Verfassung Griechenlands verlangt für 
den Fall, daß das ganze Ministerium wechselt 
und keiner der entlassenen Minister zu der Ent- 
lassung des alten und Ernennung des neuen Mi- 
nisteriums seine Zustimmung gibt, die Gegen- 
zeichnung durch den Präsidenten des neuen Mini- 
steriums. Uber die Ministerernennungen in 
England, Belgien, Frankreich, Nord- 
ameriko siehe die betr. Abschnitte Sp. 1520 ff. 
V. Die staaksrechtliche Stellung des Ge- 
samtministeriums. Die Gesamtheit der 
Minister bildet gemeinhin das Gesamtmini- 
sterium oder das Kabinett oder auch schlechthin 
das Staatsministerium. Die Frage, ob dieses Ge- 
samtministerium als solches eine oberste, 
kollegial eingerichtete Staatsbehörde ist, ist 
nicht einheitlich zu entscheiden. Sie hängt aufs 
innigste zusammen mit der Frage der Verantwort- 
lichkeit der Minister, worüber im Abschnitt VIII 
Näheres ausgeführt werden soll. In parlamen- 
tarisch regierten Ländern ist die Solidarität 
des Gesamtministeriums für Verfassungs- 
und Gesetzesverletzungen, aber auch für politische 
Zweckmäßigkeit selbstverständlich. So in Eng- 
land, wo dieses Prinzip seit 1782 feststeht. Eben- 
so bestimmt in Frankreich ein Gesetz vom 
25. Febr. 1875 ausdrücklich die Solidarität des 
Ministeriums. Von den deutschen Staats- 
verfassungen spricht sich keine klar darüber aus. 
So ist z. B. die staatsrechtliche Stellung des 
preußischen Staatsministeriums Gegen- 
stand verschiedener Streitfragen gewesen, und eine 
Reihe von Publizisten kommt bei ihren zum Teil von 
Staatsministerium. 
  
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der geschichtlichen Entwicklung und vom politischen 
Standpunkt aus, zum Teil unter Hervorhebung 
rechtsdogmatischer Gesichtspunkte geführten Unter- 
suchungen zu dem Resultat, daß das preußische 
Staatsministerium keine kollegiale Behörde sei 
und die Vorschriften, welche eine Beschlußfassung 
des gesamten Staatsministeriums erfordern, treffen 
nur Einzelfälle. Somit sei das Staatsministerium 
weder eine bureaukratisch organisierte noch eine 
kollegiale Behörde, vielmehr nur eine Versamm- 
lung der Ressortchefs. (So Zorn, Die staatsrecht- 
liche Stellung des preußischen Gesamtministeriums 
118941, und Knischewsky, Das preußische Gesamt- 
ministerium (1902j1.) Andere kommen zum ent- 
gegengesetzten Resultat und behaupten, daß das 
preußische Staatsministerium tatsächlich eine oberste 
Staatsbehörde sei, die als solche dem König unter- 
geordnet sei, daneben seien aber auch die Ressort- 
minister oberste Staatsbehörden in allen Ange- 
legenheiten, welche nicht zur Zuständigkeit des 
Gesamtministeriums gehören. (So Krause, Ist 
das preußische Staatsministerium eine kollegial 
eingerichtete oberste Staatsbehörde ?19021.) Die 
ersteren Publizisten nehmen deshalb an, daß der 
Ressortminister — abgesehen von den einzelnen, 
durch spezielle Gesetze der Entscheidung des Staats- 
ministeriums zugewiesenen Sachen — an den Be- 
schluß des Staatsministeriums nicht gebunden 
und demgemäß auch nicht mitverantwortlich sei 
für einen dem Landtag vorgelegten Gesetzentwurf, 
der sein Ressort nicht betreffe. Andere Autoren 
betonen dagegen die Gebundenheit des Ressort- 
ministers an die Beschlüsse des Kollegiums. In 
diesem Sinn hat sich schon Bismarck im preußi- 
schen Landtag am 23. Jan. 1873 und im deut- 
schen Reichstag am 24. Jan. 1882 ausgesprochen, 
indem auch er die Mitverantwortlichkeit jedes Mi- 
nisters für die Gesamthandlungen des Staats- 
ministeriums ausdrücklich feststellte. 
In Bayern ist, wie v. Seydel annimmt, das 
Gesamtstaatsministerium (der Ministerrat) ledig- 
lich beratendes Organ der Krone, dessen Vorsitzen- 
den nur die formelle Geschäftsleitung zusteht. 
Für Württemberg konstatiert Göz (Das 
Staatsrecht des Königreichs Württemberg 159) 
ausdrücklich, daß das „Staatsministerium die 
oberste .. Behörde mit bestimmt abgegrenztem 
Geschäftskreis“ ist. 
Die Verfassungsurkunde des Königreichs Sach- 
sen besagt in Art. 41, daß das „Gesamtmini- 
sterium die oberste kollegiale Staatsbehörde“ sein 
soll, die Beschlüsse mit Stimmenmehrheit faßt. 
Als oberste Staatsbehörde ist das Gesamtmini- 
sterium über die einzelnen Ministerien gestellt. 
In Baden ist verfassungsgemäß das Staats- 
ministerium eine „ständige oberste Staats- 
behörde“, gebildet aus den Vorständen der Einzel- 
ministerien und eventuell aus außerordentlichen 
Mitgliedern; den Vorsitz führt der Landesherr, bei 
seiner Verhinderung der Präsident des Staats- 
ministeriums, der als solcher den Titel Staats-
	        
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