Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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amtenstellen (Unterstaatssekretäre, Ministerialdirek= 
toren oder Sektionschefs, Oberpräsidenten, Re- 
gierungspräsidenten, Präsidenten der oberen Ge- 
richte usw.), ferner in gewissem Umfang auch die 
Vorschläge für die Verleihung von Orden und 
Titeln gehen vom Staatsministerium aus. Zu 
bemerken ist indessen, daß in verschiedenen Staaten 
in Hinsicht auf die Zuständigkeit des Staatsmini- 
steriums Anordnungen des Monarchen bestehen, 
durch welche die zu dieser Zuständigkeit gehörigen 
Gegenstände teils vermehrt teils vermindert werden. 
Es sind solcher Gegenstände meist um so mehr, je 
weiter die Zentralisation des Staatswesens aus- 
gebildet ist. 
Die Verhandlungen im Staatsministerium 
sind, außer wenn dasselbe, wie in Disziplinar- 
sachen, als oberster Gerichtshof fungiert, im wesent- 
lichen zunächst nur Besprechungen, und wenn ver- 
schiedene Meinungen sich ergeben, Verhandlungen 
zur Erzielung von einstimmigen Beschlüssen. Er- 
gibt sich nur eine Stimmenmehrheit, so ist der 
Beschluß für die dissentierenden Mitglieder zwar 
nicht juridisch bindend, dergestalt, daß sie, falls er 
ihr Ressort betrifft, gezwungen wären, ihn aus- 
zuführen. Es kommt dagegen in Betracht, daß 
das ganze Staatsministerium im konstitutionellen 
Staatsleben nur als ein homogenes Ganze auf- 
gefaßt werden kann, daß daher sämtliche Staats- 
minister für alle Beschlüsse des Staatsministeriums 
auch bei solchen Angelegenheiten, bei welchen es 
nicht verfassungsmäßig oder gesetzlich ausdrücklich 
vorgeschrieben ist, verantwortlich sind. Glaubt 
daher ein dissentierender Minister die Verantwort- 
lichkeit für einen Beschluß nicht übernehmen zu 
können, und lehnt er, soweit es sein Ressort be- 
trifft, die Ausführung ab, so bleibt ihm nur übrig, 
den Monarchen um seine Entlassung zu bitten. 
Inder Regel, namentlich wenn es dem Monarchen 
nicht gelingt, den Minister umzustimmen, wird 
ihm dieselbe auch zu teil werden, weil anzunehmen 
ist, daß die Mehrheit des Kollegiums gegen be- 
harrlichen ausdrücklichen Widerspruch eines Mit- 
glieds nur dann einen Beschluß fassen wird, wenn 
es sich um eine ganz besonders wichtige Staats- 
angelegenheit handelt, oder wenn sich schon vorher 
herausgestellt hat, daß die Mehrheit nicht mehr 
imstande und willens ist, mit dem Kollegen zu- 
sammenzuarbeiten. Würde sich aber der Monarch 
bei seiner Entschließung auf die Seite des oder 
der Dissentierenden stellen, so wäre einer der Fälle 
der Einreichung der Gesamtdemission des Staats- 
ministeriums gegeben. 
. Die Ministerverantwortlichkeit. 
A. Die Entwicklung derselben. Am 
frühesten hat sich das Prinzip der Ministerverant- 
wortlichkeit in England entwickelt. Hier spielt 
auch schon früh eine Reihe von politischen Pro- 
zessen gegen Ratgeber des Königs; berühmt wurde 
der Prozeß gegen den Grafen Strafford, der vom 
Unterhaus des „Hochverrats“ angeklagt und zum 
Tod verurteilt wurde. Diese unbeschränkte dis- 
Staatsministerium. 
  
1530 
kretionäre Gewalt des englischen Parla- 
ments erstreckt sich auf alle Beamten, des- 
halb brauchte sich in England eine spezielle Mi- 
nisterverantwortlichkeit nicht zu entwickeln, weil ja 
bis heute der Begriff „Minister“ oder „Kabinett"“ 
in unserem Sinn dem geschriebenen englischen Ver- 
fassungs= oder Staatsrecht fremd ist. 
Das auf dem Kontinent geltende System ist 
durch die französische Revolution 1789 ausgebildet 
worden, es knüpfte an das alte Recht der Stände 
zur Beschwerdeführung an, hat sich aber dann 
selbständig entwickelt. Wie die Verfassung Frank- 
reichs nach der Restauration von 1814 bzw. 1815 
für die meisten Staaten Europas vorbildlich wurde, 
so wurde auch das in Frankreich seit 1814 bzw. 
1830 ausgebildete Institut der politischen Ver- 
antwortlichkeit der Minister in den meisten andern 
Staaten des Kontinents nachgeahmt. 
In Deutschland wurde meist nur das 
Prinzip der Ministerverantwortlichkeit in die Ver- 
fassungen selbst aufgenommen, während die näheren 
Bestimmungen hierüber durch eigne Gesetze ge- 
regelt werden sollten. Da und dort aber wurde 
die Ministerverantwortlichkeit mit der gemeinen 
Beamtenverantwortlichkeit zusammengeworfen. In 
einigen Staaten, wie Sachsen-Weimar, Bayern, 
Baden, Württemberg, Hessen, wurde schon in den 
ersten Jahrzehnten die Materie in Angriff ge- 
nommen und zum Teil geregelt, so vielfach das 
Recht der Stände auf Anklage der Minister wegen 
Gesetzesverletzung. Im Gefolge der Julirevo- 
lution sind dann weitere Bestimmungen hierüber 
erfolgt, so in Sachsen, Altenburg, Hannover. Das 
Jahr 1848 brachte wieder eine Ausdehnung der 
Verantwortlichkeit auch für die Zweckmäßigkeit 
eines Regierungsakts, so in Bayern. In Preußen 
wurden wiederholt Anläufe genommen zur end- 
gültigen Reglung der Materie, doch ist man über 
die Entwürfe nicht hinausgekommen. So fehlt es 
in Preußen bis heute an dem in Art. 61 der Ver- 
fassungsurkunde in Aussicht gestellten Ministerver- 
antwortlichkeitsgesetz. § 61 besagt zwar: „Die Mi- 
nister können durch Beschluß einer Kammer wegen 
des Verbrechens der Verfassungsverletzung, der Be- 
stechung und des Verrats angeklagt werden 
die näheren Bestimmungen über die Fälle von 
Verantwortlichkeit, über das Verfahren und die 
Strafen werden einem besondern Gesetz vorbe- 
halten.“ Dagegen hat eine Reihe deutscher 
Kleinstaaten zum Teil sehr ausführliche Minister- 
verantwortlichkeitsgesetze seit 1848 geschaffen, so 
Schaumburg-Lippe, Waldeck, Sachsen-Coburg und 
Gotha, die beiden Schwarzburg, Reuß j. L. und 
Reuß ä. L., Oldenburg. In Baden wurde durch Ge- 
setz vom 20. Febr. 1868 die Materie von neuem 
geregelt und ein bezügliches Gesetz in die Verfas- 
sungsurkunde als §867a—g ausgenommen; dieses 
Gesetz ist zweifelsohne eines der besten der zur- 
zeit geltenden Ministerverantwortlichkeitsgesetze. 
— Keine Bestimmungen über Ministerverant- 
wortlichkeit haben heute unter den konstitutionell-
	        
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