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amtenstellen (Unterstaatssekretäre, Ministerialdirek=
toren oder Sektionschefs, Oberpräsidenten, Re-
gierungspräsidenten, Präsidenten der oberen Ge-
richte usw.), ferner in gewissem Umfang auch die
Vorschläge für die Verleihung von Orden und
Titeln gehen vom Staatsministerium aus. Zu
bemerken ist indessen, daß in verschiedenen Staaten
in Hinsicht auf die Zuständigkeit des Staatsmini-
steriums Anordnungen des Monarchen bestehen,
durch welche die zu dieser Zuständigkeit gehörigen
Gegenstände teils vermehrt teils vermindert werden.
Es sind solcher Gegenstände meist um so mehr, je
weiter die Zentralisation des Staatswesens aus-
gebildet ist.
Die Verhandlungen im Staatsministerium
sind, außer wenn dasselbe, wie in Disziplinar-
sachen, als oberster Gerichtshof fungiert, im wesent-
lichen zunächst nur Besprechungen, und wenn ver-
schiedene Meinungen sich ergeben, Verhandlungen
zur Erzielung von einstimmigen Beschlüssen. Er-
gibt sich nur eine Stimmenmehrheit, so ist der
Beschluß für die dissentierenden Mitglieder zwar
nicht juridisch bindend, dergestalt, daß sie, falls er
ihr Ressort betrifft, gezwungen wären, ihn aus-
zuführen. Es kommt dagegen in Betracht, daß
das ganze Staatsministerium im konstitutionellen
Staatsleben nur als ein homogenes Ganze auf-
gefaßt werden kann, daß daher sämtliche Staats-
minister für alle Beschlüsse des Staatsministeriums
auch bei solchen Angelegenheiten, bei welchen es
nicht verfassungsmäßig oder gesetzlich ausdrücklich
vorgeschrieben ist, verantwortlich sind. Glaubt
daher ein dissentierender Minister die Verantwort-
lichkeit für einen Beschluß nicht übernehmen zu
können, und lehnt er, soweit es sein Ressort be-
trifft, die Ausführung ab, so bleibt ihm nur übrig,
den Monarchen um seine Entlassung zu bitten.
Inder Regel, namentlich wenn es dem Monarchen
nicht gelingt, den Minister umzustimmen, wird
ihm dieselbe auch zu teil werden, weil anzunehmen
ist, daß die Mehrheit des Kollegiums gegen be-
harrlichen ausdrücklichen Widerspruch eines Mit-
glieds nur dann einen Beschluß fassen wird, wenn
es sich um eine ganz besonders wichtige Staats-
angelegenheit handelt, oder wenn sich schon vorher
herausgestellt hat, daß die Mehrheit nicht mehr
imstande und willens ist, mit dem Kollegen zu-
sammenzuarbeiten. Würde sich aber der Monarch
bei seiner Entschließung auf die Seite des oder
der Dissentierenden stellen, so wäre einer der Fälle
der Einreichung der Gesamtdemission des Staats-
ministeriums gegeben.
. Die Ministerverantwortlichkeit.
A. Die Entwicklung derselben. Am
frühesten hat sich das Prinzip der Ministerverant-
wortlichkeit in England entwickelt. Hier spielt
auch schon früh eine Reihe von politischen Pro-
zessen gegen Ratgeber des Königs; berühmt wurde
der Prozeß gegen den Grafen Strafford, der vom
Unterhaus des „Hochverrats“ angeklagt und zum
Tod verurteilt wurde. Diese unbeschränkte dis-
Staatsministerium.
1530
kretionäre Gewalt des englischen Parla-
ments erstreckt sich auf alle Beamten, des-
halb brauchte sich in England eine spezielle Mi-
nisterverantwortlichkeit nicht zu entwickeln, weil ja
bis heute der Begriff „Minister“ oder „Kabinett"“
in unserem Sinn dem geschriebenen englischen Ver-
fassungs= oder Staatsrecht fremd ist.
Das auf dem Kontinent geltende System ist
durch die französische Revolution 1789 ausgebildet
worden, es knüpfte an das alte Recht der Stände
zur Beschwerdeführung an, hat sich aber dann
selbständig entwickelt. Wie die Verfassung Frank-
reichs nach der Restauration von 1814 bzw. 1815
für die meisten Staaten Europas vorbildlich wurde,
so wurde auch das in Frankreich seit 1814 bzw.
1830 ausgebildete Institut der politischen Ver-
antwortlichkeit der Minister in den meisten andern
Staaten des Kontinents nachgeahmt.
In Deutschland wurde meist nur das
Prinzip der Ministerverantwortlichkeit in die Ver-
fassungen selbst aufgenommen, während die näheren
Bestimmungen hierüber durch eigne Gesetze ge-
regelt werden sollten. Da und dort aber wurde
die Ministerverantwortlichkeit mit der gemeinen
Beamtenverantwortlichkeit zusammengeworfen. In
einigen Staaten, wie Sachsen-Weimar, Bayern,
Baden, Württemberg, Hessen, wurde schon in den
ersten Jahrzehnten die Materie in Angriff ge-
nommen und zum Teil geregelt, so vielfach das
Recht der Stände auf Anklage der Minister wegen
Gesetzesverletzung. Im Gefolge der Julirevo-
lution sind dann weitere Bestimmungen hierüber
erfolgt, so in Sachsen, Altenburg, Hannover. Das
Jahr 1848 brachte wieder eine Ausdehnung der
Verantwortlichkeit auch für die Zweckmäßigkeit
eines Regierungsakts, so in Bayern. In Preußen
wurden wiederholt Anläufe genommen zur end-
gültigen Reglung der Materie, doch ist man über
die Entwürfe nicht hinausgekommen. So fehlt es
in Preußen bis heute an dem in Art. 61 der Ver-
fassungsurkunde in Aussicht gestellten Ministerver-
antwortlichkeitsgesetz. § 61 besagt zwar: „Die Mi-
nister können durch Beschluß einer Kammer wegen
des Verbrechens der Verfassungsverletzung, der Be-
stechung und des Verrats angeklagt werden
die näheren Bestimmungen über die Fälle von
Verantwortlichkeit, über das Verfahren und die
Strafen werden einem besondern Gesetz vorbe-
halten.“ Dagegen hat eine Reihe deutscher
Kleinstaaten zum Teil sehr ausführliche Minister-
verantwortlichkeitsgesetze seit 1848 geschaffen, so
Schaumburg-Lippe, Waldeck, Sachsen-Coburg und
Gotha, die beiden Schwarzburg, Reuß j. L. und
Reuß ä. L., Oldenburg. In Baden wurde durch Ge-
setz vom 20. Febr. 1868 die Materie von neuem
geregelt und ein bezügliches Gesetz in die Verfas-
sungsurkunde als §867a—g ausgenommen; dieses
Gesetz ist zweifelsohne eines der besten der zur-
zeit geltenden Ministerverantwortlichkeitsgesetze.
— Keine Bestimmungen über Ministerverant-
wortlichkeit haben heute unter den konstitutionell-