Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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monarchisch regierten deutschen Staaten Anhalt 
und Lippe. Von den deutschen Republiken hat 
nur Hamburg ein Prinzip der Verantwortlichkeit 
des Senats für Amtsführung, das etwa dem 
Ministerverantwortlichkeitsprinzip entspricht. 
In Österreich ist seit 1867 diese Materie ge- 
regelt. In den übrigen Staaten Europas 
wurden meist nach französischem Vorbild Gesetzes- 
bestimmungen über die Ministerverantwortlichkeit 
zum Teil in die Verfassung aufgenommen, zum 
Teil als Ausführungsgesetze erlassen, zum Teil 
stehen diese noch aus. Klar und eingehend geregelt 
ist die Ministerverantwortlichkeit in Ungarn. 
Nicht ergangen sind diese Ausführungs- 
gesetze z. B. in Preußen, Belgien, Italien, 
Frankreich, Dänemark. Genauere Bestimmungen 
enthält die griechische Verfassung von 1864, 
ähnlich die Verfassung von Rumänien. 
B. Notwendigkeit der Ministerver- 
antwortlichkeit. Da verfassungsgemäß die 
Ministermitwirkung bei Regierungshandlungen des 
Staatsoberhaupts die notwendige Voraussetzung 
für deren rechtliche Gültigkeit bildet, so muß der 
Minister für diese Mitwirkung, die als solche 
durchaus frei und selbständig ist, auch verantwort- 
lich sein. Denn der Monarch kann ihm ja die 
Gegenzeichnung nicht befehlen, der Minister kann 
seine Mitwirkung verweigern; für ihn sind Be- 
fehle des Staatshaupts nicht bindend, das Staats- 
haupt kann ihn nur entlassen oder muß auf die 
Ausführung eines Akts verzichten. Dadurch, daß 
den Ministern das Recht zusteht, jederzeit die Ent- 
Staatsministerium. 
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nicht an, weil dadurch der Monarch in den Streit 
hineingezogen wird, zumal dann, wenn es sich um 
Auslegung der Prärogative der Krone handelt, 
wodurch ja der Monarch zum Richter in eigner 
Sache würde. Dazu kommt, daß ja eine Entschei- 
dung des Monarchen ein Regierungsakt wäre, der 
wiederum der Gegenzeichnung eines Ministers be- 
darf. So erscheint es aus politischen und rechtlichen 
Gründen als notwendig, daß die Entscheidung 
einem unabhängigen Gerichtshof übertragen wird, 
nur dadurch wird die Ministerverantwortlichkeit 
aus einer theoretischen zu einer praktischen. 
Andere Gegner eines besondern Ministerver- 
antwortlichkeitsgesetzes sind dieses deshalb, weil 
sie ein solches für überflüssig halten; sie meinen, 
daß einmal das Budgetbewilligungsrecht der 
Volksvertretung letzterer die Handhabe biete, ge- 
gebenenfalls einen Minister zum Rücktritt zu 
zwingen, und daß ferner das gemeine bürgerliche 
und Strafrecht genügenden Schutz gewähre. Was 
den ersten Grund betrifft, so kann es doch Fälle 
geben, in welchen das Vergehen des Ministers 
it dessen Entlassung keineswegs gefühnt wird; 
überdies lehrt die Erfahrung, daß die Verweige- 
rung der den Minister oder dessen Ressort betreffen- 
den Budgetposten, welche, soweit es sich um not- 
wendige Ausgaben handelt, an sich nicht zu bil- 
ligen ist, den beabsichtigten Erfolg keineswegs 
immer hat. Der zweite Grund trifft nur zum 
Teil zu. Richtig ist, daß das Strafrecht Straf- 
vorschriften für die hier in Betracht kommenden 
politischen Verbrechen (insbesondere Hoch= und 
  
lassung zu fordern, können und müssen sie auch für Landesverrat) und Verbrechen und Vergehen im 
alle von ihnen gezeichneten Regierungsakte die volle Amt, insbesondere Bestechung, Urkundenfälschung, 
Verantwortung tragen. Durch diese verfassungs-Unterschlagung, enthält, und es kann für das 
mäßigen Schranken, die dem Staatsoberhaupt ge= Deutsche Reich die Frage entstehen, ob neben dessen 
zogen sind, ist in den Monarchien das Recht des Bestimmungen besondere landesrechtliche Straf- 
Monarchen, die Regierung und die Politik des vorschriften noch zulässig sind, wenn das Delikt 
Landes nach eignem Ermessen zu leiten, nicht auf- 
gehoben. Es muß als durchaus verwerflich be- 
zeichnet werden, wenn ein Minister bei etwaigen 
politischen Angriffen auf seine Person mit der 
Person des Staatsoberhaupts und dessen Ent- 
schließungen sich decken will. Uberhaupt muß die 
Person des Staatsoberhaupts, insbesondere in 
Monarchien die Person des Monarchen aus jeder 
parlamentarischen und politischen Diskussion grund- 
sätzlich ausgeschlossen bleiben. 
Darüber, ob die in einigen Staaten, wie im 
Deutschen Reich und Preußen, noch ausstehenden 
Ausführungsgesetze über die in der Verfassung 
erwähnte Ministerverantwortlichkeit notwendig 
seien oder nicht, herrscht Streit. (Über die Ver- 
antwortlichkeit des Reichskanzlers siehe 
Art. Garantien, staatsrechtliche Bd II, Sp. 396 ff.) 
Die einen wollen von einer weiteren Beschränkung 
des Staatshaupts überhaupt nichts wissen und 
wollen die Entscheidung bei Konflikten zwischen 
Minister und Volksvertretung über die Auslegung 
der Verfassung und der Gesetze lediglich dem Mon- 
archen übertragen. Das geht aber schon deshalb 
von einem Minister begangen ist, ferner, ob nach 
den deutschen Prozeßgesetzen ein von dem in diesen 
bestimmten Strafverfahren abweichendes Ver- 
fahren, insbesondere in Bezug auf die Erhebung 
der Klage und das erkennende Gericht, landes- 
gesetzlich vorgeschrieben werden kann. Müßte dieses 
verneint werden, so bedürfte es allerdings, wenn 
die anderweite Reglung notwendig ist, einer Ande- 
rung des Reichsrechts. (Für Klagen auf Schaden- 
ersatz dagegen trifft dieses Bedenken nicht zu.) In 
Bezug auf die Strafrechtsvorschriften ist aber 
ferner zu fragen, ob ein Minister, wenn er es zur 
Ministeranklage hat kommen lassen, im Fall seiner 
Verurteilung länger im Amt bleiben darf. Wird 
dieses verneint, so reicht das Strafrecht nicht aus, 
weil die Gerichte nur in einzelnen Fällen unmittel- 
bar oder mittelbar auf Verlust des Amts erkennen 
müssen, und in andern Fällen ihr Ermessen maß- 
gebend ist; es würde überdies in letzteren Fällen 
im höchsten Grad bedenklich sein, die Frage der 
Entsetzung eines Ministers in das Ermessen eines 
Gerichts zu stellen. Ferner anlangend das Ver- 
fahren sowohl in Straf= als in Zivilsachen, so 
 
	        
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