Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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entspricht es nicht der Bedeutsamkeit einer Staats- 
aktion, wie die Ministeranklage ist, hierüber die 
gewöhnlichen Gerichte der unteren Instanzen ent- 
scheiden zu lassen; ist doch auch der Hoch= und 
Landesverrat gegen Kaiser und Reich der Zustän- 
digkeit der Landesgerichte entzogen und dem Reichs- 
gericht überwiesen. Weiter erscheint es nicht an- 
gängig, bei Verletzung der Strafgesetze die Erhebung 
der Klage von dem Ermessen des Staatsanwalts, 
welcher den Weisungen des Justizministers Folge 
leisten muß, abhängig sein zu lassen. Abgesehen 
von alledem enthalten die Strafgesetze keinerlei 
Vorschriften über Verfassungs= und Gesetzesver- 
letzungen, welche außerhalb des Rahmens der im 
Strafgesetzbuch vorgesehenen Verbrechen und Ver- 
gehen begangen werden können und für welche die 
Minister doch vorzugsweise müßten zur Verant- 
wortung gezogen werden können. 
C. Die Arten der Ministerverant- 
wortlichkeit. Die Theoretiker teilen die Mi- 
nisterverantwortlichkeit ein in moralische, juristische, 
staatsrechtliche, politische, parlamentarische, staat- 
liche, strafrechtliche, disziplinarrechtliche, gerichtliche 
u. a. mehr, je nach dem Einteilungsgrund. 
Wir teilen dieselbe ein nach dem Forum, vor 
dem die Minister verantwortlich sind. Manche 
Publizisten teilen die Verantwortlichkeit ein in eine 
juristische und eine politische oder parlamentarische. 
So hat man diejenige, die durch Klage vor einem 
Gerichtshof geltend gemacht werden kann, als ju- 
ristische, gerichtliche, strafrechtliche oder auch staats- 
rechtliche, weil sie vor einem Staatsgerichtshof 
realisiert werden kann, bezeichnet. Die politische 
oder parlamentarische Verantwortlichkeit besteht in 
der Pflicht der Minister, jederzeit dem Parlament 
Rede zu stehen. — Die moralische Verantwortlich- 
keit scheiden wir hier aus. 
Die Minister sind verantwortlich 1. dem 
Staatsoberhaupt, 2. einem Staatsgerichtshof, 
3. den Kammern. 
1. Die Verantwortlichkeit vor dem 
Staatsoberhaupt. Da dem Staatsober- 
haupt verfassungsgemäß keine Jurisdiktionsbefug- 
nis über die Minister zusteht, so ist die Verant- 
wortlichkeit der Minister dem Staatsoberhaupt 
gegenüber nicht staatsrechtlich; er kann die Mi- 
nister entlassen, aber nicht selbst zur Rechenschaft 
ziehen, da ihm keine Rechtsprechung zusteht. So 
besteht also die Ministerverantwortlichkeit im staats- 
rechtlichen Sinn: 
2. vor dem Staatsgerichtshof; und weil 
sie durch formelle Anklage dort realisiert werden 
kann, so ist sie eine rechtliche. Näheres hier- 
über unten Sp. 1537 ff. 
3. Die Verantwortlichkeit der Volks- 
vertretung gegenüber ist die politische. 
Diese besteht darin, daß die Minister verpflichtet 
sind, dem Parlament jederzeit über ihre Tätigkeit 
Rechenschaft zu geben. Sie setzt voraus, daß die 
Minister im Parlament anwesend sind. Da in 
England nur Mitglieder des Parlaments in das- 
Staatsministerium. 
  
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selbe kommen dürfen, so kann der König seine Mi- 
nister nur aus dem Unterhaus nehmen; ein Mi- 
nister als solcher hat nicht das Recht, im Haus der 
Gemeinen zu erscheinen. 
Die Formen, in denen die politische Ver- 
antwortlichkeit der Minister den Kammern gegen- 
über geltend gemacht wird, sind in den einzelnen 
Staaten verschieden. In den parlamentarisch re- 
gierten Staaten, wie England, Frankreich, Belgien, 
Italien, Holland, Dänkmark, Schweden, Nor- 
wegen, Ungarn, Spanien, Rumänien, Griechen- 
land, dient vor allem das Interpellations- 
recht der Kammern dazu, die politische Verant- 
wortlichkeit geltend zu machen. In einzelnen 
Staaten, wie in Frankreich und andern, hat sich 
eine zweite Form herausgebildet, in der das Miß- 
trauen der Kammermehrheit einem Ministerium 
gegenüber zum Ausdruck gelangt, das ist die Ab- 
lehnung der von der Regierung angekündigten 
Tagesordnung eine solche hat dort meist den Rück- 
tritt des Kabinetts zur Folge. 
In den vom monarchischen Prinzip beherrschten 
deutschen Staaten konnte der Parlamenta- 
rismus keinen Boden gewinnen; aber das Inter- 
pellationsrecht ist in allen Verfassungen oder Ge- 
schäftsordnungen anerkannt und wird allenthalben 
sehr oft gehandhabt. 
D. Juristische Natur der Minister- 
verantwortlichkeit. Auch hierüber sind die 
Meinungen sehr geteilt; die einen fassen sie als 
disziplinäre, die andern als rein strafrecht- 
liche auf. Ein Disziplinarverfahren kann aber 
nur von einer vorgesetzten Behörde gegen einen 
Beamten ausgeübt werden. Der Minister ist aber 
oberster Beamter, und da weder die Kammern 
noch der Souverän noch etwa der Staatsgerichts- 
hof eine permanente Kontrolle im Sinn einer 
vorgesetzten Behörde ausüben, so kann auch die 
Ministerverantwortlichkeit nicht disziplinärer Natur 
sein. — Andere Publizisten fassen sie als rein 
strafrechtlich auf; indes lassen sich für den Mi- 
nisterprozeß die Normen des gemeinen Strafrechts 
nicht lediglich anwenden, so gibt es hier einen be- 
sondern Gerichtshof, einen besondern Ankläger, 
ein besonderes Verfahren, das Verbot oder doch 
mindestens die Beschränkung des Begnadigungs- 
rechts. Es handelt sich bei der Ministerverant- 
wortlichkeit eben um eine eigne Gerichtsbarkeit, die 
zwar von staatsrechtlichen und disziplinarrecht- 
lichen Theorien beeinflußt, aber ihrer Natur nach 
keines von beiden ist; sie dient eben als Ga- 
rantie der Staatsverfassung und der Gesetze. 
E. Die Frage nach der Person, dem Sub- 
jekt der Verantwortlichkeit ist nicht leicht 
zu beantworten. Der Wortlaut der Verfassungen 
ist in dieser Hinsicht meist unklar oder mehrdeutig. 
Es erhebt sich also vor allem die Frage: Ist der ein- 
zelne Minister nur für seine eigne Mitwirkung 
an einem Regierungsakt durch seine Unterschrift 
verantwortlich, oder haftet er auch für die Hand- 
lungen seiner Kollegen im Ministerium? Be-
	        
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