Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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gründet nur die Gegenzeichnung eine Verant- 
wortlichkeit oder besteht diese auch für Unter- 
lassungen? Letztere Frage wird heute meist be- 
jaht, und zwar mit Recht, denn der Staat kann 
auch durch Untätigkeit seiner Regierung ebenso ge- 
fährdet werden wie durch positive Regierungsakte. 
Von den deutschen Verfassungen haben 
solgende die Verantwortlichkeit der Minister auch 
für Unterlassungen ausdrücklich ausgespro- 
chen bzw. in besondern Gesetzen festgesetzt: die 
von Bayern, Baden, Oldenburg, Schwarzburg- 
Rudolstadt, Schwarzburg-Sondershausen, Wal- 
deck und Schaumburg-Lippe.— Die Verfassungen 
der andern deutschen Staaten haben sich nicht 
näher darüber ausgelassen. Sie lassen aber eine 
solche Auffassung des Textes zu, daß sie die Ver- 
antwortlichkeit nicht beschränken wollten auf den 
gegenzeichnenden Minister. Dies gilt für Sachsen- 
Weimar, das Königreich Sachsen, Sachsen-Mei- 
ningen, Sachsen-Altenburg, Württemberg, Braun- 
schweig, Sachsen-Coburg und Gothaund Reuß ä. L. 
In Hessen ist nur durch eine großherzogliche 
Verordnung von 1821 die ganze Materie 
der ministeriellen Gegenzeichnung geregelt. Der 
Art. 44 der preußischen Verfassung spricht nur 
prinzipiell die Notwendigkeit der Gegenzeichnung 
und die dadurch begründete ministerielle Verant- 
wortlichkeit aus. Dasselbe gilt vom Art. 17 der 
Reichsverfassung (vgl. hierzu die Ausführungen 
des Art.Garantie, staatsrechtliche Bd II, Sp.396 ff). 
— In außerdeutschen Staaten haben mehrere 
Verfassungen und Gesetze auch für Unterlassungen 
die Verantwortlichkeit der Minister festgesetzt. So 
Osterreich, Ungarn, Frankreich, wo die Solidari- 
tät des Ministeriums ausdrücklich ausgesprochen 
wurde. Ebenso besteht in den andern parlomen- 
tarisch regierten Ländern eine solidarische Verant- 
wortlichkeit des Gesamtministeriums, wenn auch 
in den Verfassungen vielfach nähere Angaben über 
den Umfang der Verantwortlichkeit sehlen. Im 
allgemeinen wird man also sagen müssen, daß die 
Verantwortlichkeit eines Ministers schon dadurch 
begründet ist, daß er Minister bzw. Chef eines 
Ressorts ist und daß somit für wichtige Fragen 
der allgemeinen Politik des Landes die 
Gegenzeichnung eines Ministers auch 
die des ganzen Ministeriums bzw. Kabi- 
netts bedeutet. Daneben besteht natürlich noch 
die Verantwortlichkeit des einzelnen Ministers für 
sein eignes Ressort. 
Sodann ist vor allem wichtig die Frage, ob die 
Minister nicht nur für die Gesetzmäßigkeit der 
Regierungsakte verantwortlich sind, sondern auch 
für deren Zweckmäßigkeit, d. h. ob gegen 
einen Minister auch kann Anklage erhoben werden 
wegen Mißregierung oder Gefährdung 
des Staatswohls. 
Hier zeigen sich in den einzelnen Ländern große 
Verschiedenheiten. So hat seit langem in England 
die Entwicklung dahin geführt, daß das Kabinett 
auch für die politische Zweckmäßigkeit der Regie- 
Staatsministerium. 
  
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rungsakte haftet. In Frankreich hat man seit 
1814 wiederholt Versuche unternommen, Klarheit 
in diese Materie zu bringen, aber immer wieder 
hat man als richtig erkannt, daß man unmöglich 
im Gesetz alle die Fälle einzeln aufzählen kann, 
die zu einer Ministeranklage führen können. Heute 
steht man in Frankreich auf dem Standpunkt, daß 
die Ministeranklage wirksam werden kann, sobald 
der Staat und seine Interessen gefährdet erscheinen. 
Die Gesetzgebung in den deutschen Staaten ist 
hierin sehr verschieden vorgegangen. Die meisten 
Staaten haben die Ministeranklage auf Gesetzes- 
und Verfassungsverletzungen beschränkt, einzelne 
zählen spezielle Verbrechen auf. So Preußen 
für Bestechung und Verrat, Sachsen-Meiningen 
für Mißbrauch der Amtsgewalt, Untreue und Er- 
pressung, Hessen für Nichterfüllung der Zusagen 
des Souveräns, Schwarzburg-Sondershausen für 
Verletzung der Amtspflicht. — Sachsen-Weimar 
und Oldenburg haben noch mehr spezialisiert; 
erstere Verfassung spricht von Unterschleifen beie 
öffentlichen Kassen, Bestechlichkeit, gesetzwidrigen 
Eingriffen in die Rechtspflege, absichtlicher Ver- 
zögerung in der Verwaltung oder andern willkür- 
lichen Eingriffen in die Verfassung oder in die ge- 
setzliche Freiheit, in die Ehre oder in das Eigen- 
tum der Staatsbürger oder derartigen Verletzungen 
der Amtspflichten eines Departementschefs, die 
ausschließlich der gerichtlichen Bestrafung vor- 
behalten sind. Ahnlich die Verfassung von Olden- 
burg. Am weitesten gehen in der Ausdehnung der 
Ministerverantwortlichkeit Bayern, das den Mi- 
nister haftbar macht für alle dem Landeswohl nach- 
teiligen Handlungen; dann Sachsen, das die 
Haftbarkeit auch für die Zweckmäßigkeit ministe- 
rieller Verfügungen ausspricht, und Baden, das 
den Minister dafür verantwortlich macht, daß die 
Regierungsakte „keine schwere Gefährdung der 
Sicherheit und Wohlfahrt des Staats enthalten“. 
Bei näherem Zusehen wird man sagen müssen, 
daß eine Anführung einzelner Delikte im Gesetz 
selbst überflüssig erscheint, daß vielmehr die Auf- 
stellung einer Verantwortlichkeit in allgemeinen 
Ausdrücken, wie etwa „Gesetzes= oder Rechtsver- 
letzung und Gefährdung der Sicherheit und 
Wohlfahrt des Staats“, am ehesten zum Ziel 
führt, d. h. am ehesten und sichersten Gewähr 
bietet für das allgemeine Wohl des Staats, der 
Rechte seines Monarchen und der Staatsbürger. 
In unsern deutschen Monarchien, die vom mon- 
archischen Prinzip beherrscht sind, ist eine Aus- 
dehnung der Verantwortlichkeit in der Weise, daß 
die bloße politische Verantwortlichkeit des Ministers 
auch zu einer Ministeranklage führen kann, nicht 
angängig. 
IX. Der Ministerprozeß. A. Als Kläger 
fungiert im Ministerprozeß in allen Staaten das 
Parlament, denn die Volksvertretung hat neben 
ihrer gesetzgeberischen auch kontrollierende Auf- 
gaben. Dieses Prinzip ist auch allgemein an- 
erkannt; Verschiedenheiten in den verschiedenen 
 
	        
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