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Minister (der Bundesrat) in der Lage seien, nur
solche Personen für den Gerichtshof vorzuschlagen,
von deren gouvernementaler Gesinnung sie über-
zeugt seien. Um diesen Einwand zu beseitigen, ist
in einzelnen Verfassungen bestimmt, entweder daß
auch die Volksvertretung eine bestimmte Anzahl
von Personen für die Mitgliedschaft zu präsen-
tieren habe, oder aber daß ein besonderer Staats-
gerichtshof aus Mitgliedern des obersten Gerichts-
hofs und Mitgliedern zusammengesetzt werde, welche
von bestimmten anderweitigen Vertretungskörpern
gewählt werden. Die Zweckmäßigkeit der einen
oder der andern dieser Einrichtungen läßt sich nicht
verkennen. Ob eine derartige Einrichtung aber
da, wo fie nicht besteht, entbehrlich oder als eine
notwendige anzustreben sei, hängt davon ab, ob
das Bewußtsein von der Würde der Verantwort-
lichkeit und der Unabhängigkeit des Richteramts
im Richterstand wach ist, oder ob Charakterlosigkeit
und Strebertum im Beamtenstand sich geltend
machen und den Richterstand zerrütten.
Für das Deutsche Reich ist endlich noch eine
weitere Frage zu erörtern. Die früheren obersten
Gerichtshöfe, welche zur Entscheidung über Mi-
nisteranklagen berufen waren, haben mit Einfüh-
rung der Reichsprozeßgesetze aufgehört zu existieren;
nur Bayern hat noch einen eignen obersten Ge-
richtshof für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, dessen
Zuständigkeit aber eine begrenzte ist. An die
Stelle der bisherigen obersten Gerichtshöfe ist das
Reichsgericht getreten. Soll nun das Reichsgericht
für die Entscheidung über Ministeranklagen zu-
ständig gemacht werden? Diese Frage wird von
denjenigen bejaht werden, welche den deutschen
Einheitsstaat anstreben. Wer aber, wie wir, die
noch vorhandene Selbständigkeit der Bundesstaaten
im Interesse freiheitlicher Entwicklung und der
Weiterentwicklung des deutschen Wesens aufrecht
erhalten will, wird die Frage verneinen. Es han-
delt sich hierbei um eigenste, wichtigste Angelegen-
heiten der einzelnen Bundesstaaten, welche deren
ganzes Verfassungsleben auf das tiefste berühren
und für das Reich als solches kein rechtliches Inter-
esse haben; für diese Angelegenheiten kann dem
Reich bzw. einem Organ desselben die Zuständig-
keit nicht eingeräumt werden, wenn anders nicht
hiermit ein großer Schritt zur Herstellung des
Einheitsstaats gemacht werden soll, welcher Schritt
dann auch weitere Schritte im Gefolge haben
würde. Wird also die vorhin gestellte Frage ver-
neint, so bedarf es der Errichtung besonderer Ge-
richtshöfe für die einzelnen Bundesstaaten, falls
nicht vorgezogen werden sollte, demjenigen Ge-
richtshof höherer Instanz, welcher, wie in Preußen
das Kammergericht, die oberste Instanz für gewisse
Strafrechtsfälle und gewisse andere Rechtsange-
legenheiten bildet, die Zuständigkeit zu über-
tragen, und zwar entweder ihm in seiner ge-
richtsverfassungsmäßigen Zusammensetzung oder
unter Zuziehung anderer unabhängiger geeigneter
Elemente.
Staatsministerium.
1540
C. Das Verfahren. Was das Verfahren
bei Ministeranklagen betrifft, so wird es im großen
und ganzen auf denjenigen Prinzipien beruhen
müssen, welche den Reichsprozeßgesetzen zugrunde
liegen, also im wesentlichen auf dem Prinzip des
Anklageprozesses, wobei der Zweiten Kammer bzw.
den von dieser zu wählenden Kommissarien die
staatsanwaltschaftlichen Funktionen obliegen, und
auf den Prinzipien der Mündlichkeit und der nur
in bestimmten Fällen auszuschließenden Offentlich-
keit. Auch hier ist zu bemerken, daß eine Minister-
anklage nicht möglich ist, wenn der zur Ent-
scheidung berufene Gerichtshof oder das zu beob-
achtende Verfahren nicht gesetzlich festgestellt sind.
Es leuchtet auch ein, daß es im Interesse einer
unparteiischen Justiz wie auch im Interesse des
Staats überhaupt gelegen ist, wenn mit der Er-
hebung der Anklage der betreffende Mi-
nister ipso jure vom Amt susspendiert
sein soll. Die Verfassungen sprechen sich hierüber
nicht näher aus; nur die Ministerverantwortlich-
keitsgesetze in Bayern und Osterreich und die einiger
außerdeutschen Staaten lassen mit dem Beschluß auf
Erhebung der Anklage den Minister provisorisch
vom Amt enthoben sein. Natürlich darf auch durch
Vertagung, Schließung oder Auflösung
der Volksvertretung ein Ministerpro-
zeß nicht unterbrochen werden; denn die
Auflösung und Schließung der Ständeversamm-
lung steht der Regierung zu, die dadurch jeden
Ministerprozeß unmöglich machen könnte. Das ist
in der badischen Verfassung wie in der von Waldeck
und im österreichischen Ministerverantwortlichkeits-
gesetz auch ausgesprochen. Selbstverständlich kann
eine Kammer jederzeit von der Anklage zurücktreten.
Ohne Einfluß ist es für die Erhebung der Minister-
anklage, ob der Minister selbst schon entlassen oder
ob er nur suspendiert ist.
D. Urteil und Strafen. Die Folgen
eines Schuldigspruchs auf die Minister-
anklage sind in den verschiedenen Staaten ver-
schieden gesetzlich festgestellt. Da, wo es dieserhalb
überhaupt an einer näheren Bestimmung fehlt,
sind zunächst diejenigen strafrechtlichen oder bürger-
lich-rechtlichen Folgen auszusprechen, welche im
gemeinen Straf= und bürgerlichen Recht vorgesehen
sind. Zu den strafrechtlichen Folgen kann
auch die Unfähigkeit zur Fortbekleidung des Amts
gehören, entweder von Rechts wegen oder infolge
besondern Ausspruchs des Gerichtshofs. Tritt
im einzelnen Fall diese Folge nicht von Rechts
wegen ein, und erkennt auch der Gerichtshof nicht
auf sie, so ist es juridisch nicht konstruierbar, die
Ministerentlassung rechtlich als Folge des Schuldig-
spruchs hinzustellen; nur aus politischen Gründen
wird in der Regel der Minister seine Entlassung
geben oder auch ohne dies vom Monarchen ent-
lassen werden. Handelt es sich dagegen um solche
Gesetzesverletzungen, für welche weder im Straf-
recht noch im bürgerlichen Recht bestimmte Folgen
vorgesehen sind, so könnte auch von dem Gerichts-