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hof im Fall der Feststellung der Schuld eine Folge
überhaupt nicht ausgesprochen werden und würde
deshalb der Schuldigspruch nur den eben bezeich-
neten Effekt haben können.
Es leuchtet ein, daß ein Ministerverantwort-
lichkeitsgesetz ohne Bestimmung der besondern
Folgen des Schuldigspruchs höchst unvollkommen
und die Ministeranklage kein genügendes Mittel
zur Verwirklichung der Ministerverantwortlichkeit
ist. Nach den Gesetzen einzelner Staaten hat der
Gerichtshof auf Grund des Schuldigbefunds le-
diglich auf den Verlust des Ministeramts zu er-
kennen, so in Bayern, Sachsen, Württemberg,
Baden, Braunschweig, Sachsen-Coburg und Gotha
(hier auch Verlust der Pension). Neben der Dienst-
entlassung kann in einzelnen Staaten eine Ver-
urteilung zu Kriminalstrafen eintreten; so in
Sachsen-Weimar, Oldenburg, Waldeck, Reuß j.L.
In England kann das Oberhaus auf jede Sirafe
erkennen. In Frankreich und Belgien ist das
Strafgesetzbuch maßgebend. In Schweden kann
im Ministerprozeß der Gerichtshof auf Todes-
strafe, Ehrverlust, Geldstrafen, Amtsentsetzung
verbunden mit dauernder Unfähigkeit zum Staats-
dienst erkennen; ähnlich in Norwegen. In Griechen-
land sind für gewisse Fälle alle Freiheitsstrafen
vorgesehen, in der nordamerikanischen Union nur
die Amtsentsetzung.
E. Die Begnadigung im Minister-
prozeß. Zum Schluß ist noch zu fragen, ob das
Staatsoberhaupt von seinem Begnadi-
gungs= und Strafmilderungsrecht auch
gegenüber einem im Ministerprozeß verurteilten
Minister Gebrauch machen darf. In England ist
das Begnadigungsrecht des Königs unbeschränkt,
aber gegen den Willen des Unterhauses nie aus-
geübt worden und kann auch faktisch nicht gegen
denselben ausgeübt werden. Ebenso ist in Frank-
reich und den Niederlanden das Staatsober-
haupt berechtigt, auch Minister zu begnadigen,
aber da in Frankreich bei Gnadenakten die Zu-
stimmung des Ministeriums nötig ist, so ist schon
dadurch ein Mißbrauch des Begnadigungsrechts
so gut wie ausgeschlossen. In andern Staaten,
wie Preußen, Baden, Oldenburg, Waldeck, Reuß
j. L., Schaumburg-Lippe und Hamburg, ferner
in Osterreich, Belgien, Luxemburg, Serbien, kann
das Staatsoberhauptbegnadigen, wenndie Kammer
einen dahingehenden Antrag stellt. In einzelnen
Staaten ist sogar ein eignes Gesetz notwendig, um
einen im Ministerprozeß verurteilten Minister be-
gnadigen zu können. So in Bayern, Sachsen-
Weimar, Sachsen--Coburg und Gotha, Griechen-
land. Sachsen, Württemberg und Sachsen-
Meiningen lassen eine Begnadigung nur zu wegen
der von den ordentlichen Gerichten ausgesprochenen
Strafen.
Zweifellos ist das Begnadigungsrechtdes Staats-
oberhaupts in Ministerprozessen ein so eigenartiges,
daß es unbedingt an gewisse Schranken gebunden
sein muß. Anderseits wäre es hart und verkehrt,
Staatsministerium.
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das Begnadigungsrecht ganz auszuschließen. Das
Richtigste ist ein Begnadigungsrecht des Monarchen
auf Antrag der Kammer.
F. Wiederanstellung eines verur-
teilten Ministers. Verschieden von der Frage
des Begnadigungsrechts im allgemeinen ist die
Frage, ob ein verurteilter Minister wieder zum
Minister ernannt werden kann, wenn die Ver-
fassung oder das Ministerverantwortlichkeitsgesetz
hierüber keine besondere Bestimmung enthält. Ist
die Folge der Verurteilung die Unfähigkeit zur
Bekleidung öffentlicher Amter, so würde der ge-
wesene Minister gesetzlich aus der Reihe derjenigen
Personen ausscheiden, welche überhaupt zu Mi-
nistern ernannt werden können. Wenn dagegen nur
auf Verlust des Ministeramts erkannt ist, so würde
der Wiederernennung des gewesenen Ministers ein
rechtlicher Grund nicht entgegenstehen; ebenso
wenn der Monarch, ohne daß ein dahin gehendes
Urteil vorliegt, den Minister aus eigner Ent-
schließung entlassen hat. Eines näheren Eingehens
auf diese Fragen bedarf es aber nicht, da ein weiser
Monarch zur Wiederernennung nicht schreiten und
nicht dazu beitragen wird, daß neue, die Macht
und das Ansehen des Staats beeinträchtigende, die
gesunde Entwicklung des ganzen Staatslebens auf
das tiefste schädigende Konflikte zwischen Staats-
regierung und Volksvertretung eintreten und sich
fortspinnen.
Literatur. Siehe die Literaturangaben bei den
Art. Garantie, staatsrechtl. (Bd lI, Sp. 402 f), Not-
recht (Bd III, Sp. 1389 f) u. Regentschaft (Bd IV,
Sp. 471 f). Ferner: Buddeus, Die Ministerverant-
wortlichkeit in konstitutionellen Monarchien (1833);
v. Mohl, Die Verantwortlichkeit der Minister in
Einherrschaften mit Volksvertretung (1837); Bi-
schof, Ministerverantwortlichkeit u. Staatsgerichts-
höfe in Deutschland (1859); Oswald de Kerchove
de Denterghem, De la responsabilité des mini-
stres dans le droit public Belge (Par. 1867);
Samuely, Das Prinzip der Ministerverantwort-
lichkeit in der konstitutionellen Monarchie (1869);
Beschorner, Die Ministerverantwortlichkeit u. der
Staatsgerichtshof im Königreich Sachsen (1877);
Hauke, Die Lehre von der Ministerverantwortlich-
keit (1880); Jellinek, Die Entwicklung des Mini-
steriums in der konstitutionellen Monarchie, in
Grünhuts Zeitschrift für Privat= u. öffentl. Recht
X (1883); Gneist, Das englische Verwaltungsrecht
der Gegenwart (II 31884); Clos, De la respon-
sabilité des ministres (Par. 1886); Rosenberg,
Diestaatsrechtl. Stellung des Reichskanzlers (1889);
E. Maurer, Die Ministerverantwortlichkeit in kon-
stitutionellen Monarchien (1899); Pistorius, Die
Staatsgerichtshöfe u. die Ministerverantwortlich-
keit nach heutigem deutschem Staatsrecht (1891);
Schwarz, Montesquien u. die Verantwortlichkeit
der Räte des Königs in England, Aragonien,
Ungarn, Siebenbürgen u. Schweden 1139/1748
(1892); Dupriez, Les Ministres dans les prin-
cipaux pays de I’Europe et d'Amérique (2 Bde,
Par. 1892/93); Lucz, Ministerverantwortlichkeit
u. Staatsgerichtshöfe (1893); Hervien, Les mini-
stres, leur röle et leurs attributions dans les
différents Etats organisés (Par. 1893); Krieghoff,
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