1545
zuschließen. Wo, wie in England, nicht ein Prü-
fungswesen die Siebung für die hohe Beamten-
laufbahn vornimmt, besorgt dies die Kostspielig-
keit der Vorbildung; daher bildet dort nicht ein
aus allen Bevölkerungsschichten ergänztes Berufs-
beamtentum, sondern die wohlhabende Aristo-
kratie die regierende Klasse. Es ist für die Ver-
gleichung der sozialen Zustände von Bedeutung,
ob ein besoldeter Beamtenstand die leitende Stel-
lung im öffentlichen Leben einnimmt, der mit seinem
in der Regel geringen Besitz die Arbeitsgewohn-
heiten der unteren Stände wie den ganzen Reich-
tum der Bildung und die Weite der Weltanschau-
ung vereinigt, welche in andern Ländern fast immer
nur ein großes Vermögen ermöglicht. Das Prü-
fungswesen erleichtert die aufsteigende Bewegung.
Allen Schichten des Volks öffnet es die Pforten
der akademischen Bildung und damit den Zugang
zu den Staatsämtern. Indes wird durch die Ab-
legung der vorgeschriebenen Prüfungen an sich
noch keine rechtlich begründete Anwartschaft auf
Anstellung im Staatsdienst erworben.
II. Geschichtlicher AberSlick. Ein geschicht-
licher Rückblick zeigt, wie das Prüfungswesen
mit der jeweiligen Gesellschaftsordnung in Zu-
sammenhang steht. In der klassischen Zeit der
Römer war es Regel, daß der angehende Jurist
bei einem großen Sachwalter hörend lernte und
sich allmählich einschulte. Unter den christlichen
Kaisern war ein akademischer Rechtskurfus Vor-
bedingung für die Ubernahme eines Staatsamts;
darauf nahm der Bewerber an den richterlichen
Geschäften eines Beamten in unselbständiger Weise
teil. Zu Justinians Zeit war ein gesetzlicher
Studienkurs von 5 Jahren vorgeschrieben für die
Zulassung zum Richteramt wie zur Advokatur.
Im deutschen Mittelalter war die Kenntnis
der Rechtssätze der einzelnen Rechtskreise all-
gemein.
Erst die Rezeption des römischen Rechts
in Deutschland führte notwendig zu einem
besondern rechtswissenschaftlichen Studium. So
wurden dann auch Vorschriften erlassen für die
Zulassung zu verschiedenen Staatsämtern, z. B.
für die Berufung ins Reichkammergericht (1495)
und in den Reichshofrat. Auch in den einzelnen
Territorien wurde die Zulassung zu Staatsämtern
abhängig gemacht von der Absolvierung bestimmter
Studien. Auf Grund akademischer testimonia
(öffentlicher Zeugnisse einer Universität über Er-
werbung eines Grads oder über Universitätsbesuch
oder von einem namhaften Lehrer ausgestellter
Zeugnisse) wurde der Bewerber zunächst zu vor-
läufiger Beschäftigung bei einem Regierungskolle-
gium oder Gerichtshof als auscultator zugelassen.
Erwies sich seine Brauchbarkeit, und waren etwa
auch noch Probeleistungen zur Zufriedenheit des
Kollegiums ausgefallen, so erfolgte die Anstellung
im Staatsamt. Alter als juristische sind Prü-
fungen für das Kirchenamt; sie wurden von den
geistlichen Behörden angeordnet und abgenommen.
Staatsprüfungen.
1546
Für den ärztlichen Beruf galten die akademischen
Prüfungen. Für das Schulamt wurden besondere,
von den theologischen Prüfungen losgelöste Lehr-
amtsprüfungen meist erst im 19. Jahrh., in Preu-
ßen 1810, eingeführt.
Die allgemeine Durchführung des. Sy-
stems der Staatsprüfungengehörterst dem
19. Jahrh. an. Die Neuordnung des Staats-
wesens am Anfang desJahrhunderts seit dem
Zusammenstoß mit dem revolutionären Frankreich
führte auch eine Neuordnung des Amterwesens
herbei. Das System der erblichen Anwartschaften
auf die besseren Stellen im Militär= und Zivil-
dienst wurde beseitigt. An die Stelle der Vergebung
der Amter nach Einsicht, Gunst und Neigung der
höheren Stellen oder privaten Patrone trat als
neuer Grundsatz: Auslese unter den Bewerbern
durch Prüfung und Aufrücken nach der Ancienne=
tät. Was ursprünglich Bedürfnis der Landes-
herren gewesen war, welche für die Besorgung der
öffentlichen Geschäfte auf Nachweis der Berufs-
bildung drangen, wurde in der Folge Forderung
der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, indem man
Garantien der pflichtmäßigen Geschäftsführung in
der Sichtung der Bewerber durch Nachweis der
Befähigung erblickte.
III. Regkung des Prüfungswesens durch
Gesetze oder im Verordnungsweg. Das Prü-
fungswesen ist in einigen Staaten gesetzlich ge-
regelt, in andern dagegen geschieht die Reglung
im Weg der Verordnung. Es handelt sich da um
Zahl und Qualifikation der Kommissionsmitglie-
der, um die Dauer ihres Amts, um das Verhält-
nis schriftlicher und mündlicher Prüfungen, um
die Offentlichkeit der letzteren, um ihre Dauer,
Umfang und etwaige Gliederung, um Erteilung
oder Nichterteilung von Prädikaten. Das Regel-
mäßige ist wohl, daß die nähere Bestimmung für
den Justiz= und höheren Verwaltungsdienst auf
Gesetz, für alle übrigen Zweige des Staatsdienstes
auf bloßen Regulativen beruht. In der hessischen
und der württembergischen Verfassung (§ 44) bil-
det der Nachweis der erforderlichen Befähigung
für Staatsämter die ausdrückliche Voraussetzung
zu deren UÜbertragung. In Baden ist Reglung des
Bildungsgangs und der Prüfungseinrichtungen
Sache der Verwaltung, nicht der Gesetzgebung,
ebenso fällt sie in Sachsen in die Sphäre der voll-
ziehenden Gewalt. Eine Reihe von Gesetzen (wegen
des Rebeneinanderbestehens von Staats= und
Privatuniversitäten) weist Belgien uus (1844,
1848, 1857). In Deutschland bestehen
reichsrechtliche Vorschriften für die rich-
terlichen Beamten, Apotheker, Arzte und Zahn-
ärzte, sodann in Bezug auf Militär, Post, Tele-
graphen und auswärtigen Dienst, ferner bundes-
ätliche Anordnungen über den Nachweis der
Befähigung für Seeschiffer, Steuerleute, Maschi-
nisten auf Seedampfschiffen. Die Bestimmungen
für die Vorbildung der Verwaltungsbeamten sind
Gegenstand der Landesgesetzgebung, in den meisten