Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

5 Patentrecht. 6 
4. Was speziell Deutschland anlangt, so hatte 
sich hier das Erfinderrecht durchaus ungleichmäßig 
entwickelt. Osterreich hatte schon 1810 mit dem 
reinen Privilegiensystem gebrochen; in Preußen 
galt dieses System noch nach dem Allgemeinen 
Landrecht, und erst 1815 wurden hier allgemeine 
Normen eingeführt. Bereits bei Gründung des 
Zollvereins machte sich das Bedürfnis nach einer 
einheitlichen Reglung schon mit Rücksicht auf die 
damit unter den meisten deutschen Staaten einge- 
führte Handelsfreiheit wenigstens in gewissen Be- 
ziehungen geltend. Das Ergebnis der darüber 
geführten Verhandlungen zwischen den zum Zoll- 
und Handelsverein verbundenen Regierungen war 
die Übereinkunft vom 21. Sept. 1842, wonach 
zwar im allgemeinen jedem Vereinsstaat über- 
lassen blieb, über die Erteilung von Patenten und 
Privilegien zur ausschließlichen Benutzung neuer 
Erfindungen im Gebiet der Industrie — es möge 
sich um ein Privilegium für eine inländische Er- 
findung (Erfindungspatent) oder um ein Privi- 
legium für die Übertragung einer ausländischen 
Erfindung (Einführungspatent) handeln — zu 
befinden, gewisse Grundsätze über die Erfordernisse 
der Erteilung der Patente, deren rechtliche Be- 
deutung und die Voraussetzungen für die Zurück- 
nahme und Veröffentlichung der verliehenen Patente 
jedoch gleichmäßig beobachtet werden sollten. Diese 
Übereinkunft bildete die Grundlage der Gesetz- 
gebung der einzelnen deutschen Staaten, soweit 
diese nicht, wie die Hansestädte und die beiden 
Mecklenburg, von einem Erfindungsschutz über- 
haupt absahen. Als der Norddeutsche Bund ge- 
gründet wurde und in Art. 4 seiner Verfassung 
unter den Angelegenheiten, welche der Beaufsich- 
tigung und Gesetzgebung des Bundes unterliegen 
sollten, auch die Erfindungspatente aufführte, be- 
standen in den deutschen Staaten 29 verschiedene 
Patentgesetze, die vielfach voneinander abwichen. 
So blieb die Rechtslage auch noch bis in die 
1870er Jahre, und nachdem die Verfassung des 
Deutschen Reichs die erwähnte Vorschrift des 
Art. 4 übernommen hatte; die Ungleichheit wurde 
nur dadurch noch vermehrt, daß die Gesetzgebung 
des zum Reich zugetretenen Reichslandes Elsaß- 
Lothringen den Schutz von ganz andern Voraus- 
setzungen aus regelte. Dieser Zustand war nicht 
nur mit der verfassungsmäßigen Einheit des 
Reichs nicht verträglich, sondern stand auch mit 
der Gemeinsamkeit der Verkehrsinteressen Deutsch- 
lands und der bereits erzielten Einheit der ge- 
werblichen wie auch der Gesetzgebung auf den dem 
Patentschutz verwandten Gebieten des Autoren- 
schutzes, des Markenschutzes, des Muster= und 
Modellschutzes in auffallendem Widerspruch. Die 
Rechtsungleichheit, namentlich die Tatsache, daß 
für ein und denselben Gegenstand in dem einen 
Staat ein Patent erteilt, in dem andern versagt 
wurde, daß mithin gewisse Gegenstände in dem 
einen Teil Deutschlands dem freien Verkehr an- 
gehören konnten, während sie ihm in dem andern 
  
durch Patente entzogen waren, wurde im prak- 
tischen Leben schwer empfunden. Diese Erwägungen 
in Verbindung mit dem unter 3 bereits erwähnten 
Umschwung der öffentlichen Meinung zugunsten 
des Patentschutzes, wofür in Deutschland ins- 
besondere erfolgreich der Verein der deutschen In- 
genieure tätig war, und der infolge des ebenfalls 
erwähnten Vorgehens anderer Staaten zu befürch- 
tenden Gefahr einer schädigenden Isolierung be- 
stimmten die verbündeten Regierungen zu dem 
Versuch einer Reform. Eine auf Grund des Er- 
gebnisses einer sorgfältigen Enquete aufgebaute 
Vorlage an den Reichstag wurde nach mannig- 
fachen Anderungen Patentgesetz vom 22. Mai 
1877, das, durch eine Novelle vom 7. April 1891 
ergänzt, in der Fassung der letzteren noch jetzt in 
Geltung ist. 
5. Sowohl eine rechtsphilosophische wie eine 
volkswirtschaftliche Rechtfertigung des Er- 
findungsschutzes kann dahingestellt bleiben (vgl. 
jedoch unten III bei Erwähnung der Dauer der 
Patente). „Der Kampf um das Patentrecht ist 
ausgekämpft. Nahezu alle Kulturstaaten haben 
sich Patentgesetze gegeben, sie oft mehrfach ver- 
bessert, ständig an der Fortbildung gearbeitet, und 
die Staaten, deren Industrie an der Spitze steht, 
stehen an der Spitze in der Pflege des Patent- 
rechts“ (Kohler). Zur Illustrierung indessen, daß 
unter dem früheren Zustand, namentlich unter 
dem Einfluß der patentfeindlichen Strömung, die 
Industrie Deutschlands schwere Verluste erlitten 
hat, mag darauf hingewiesen werden, daß epoche- 
machende Erfindungen, wie das Bessemer Stahl- 
bereitungsverfahren, der Siemenssche Regenerativ= 
ofen, im Inland keinen Patentschutz erlangen 
konnten, daß infolgedessen deutsche Erfinder es 
vorzogen, für ihre Erfindungen im Ausland 
Patente nachzusuchen, überhaupt ihren Geschäfts- 
betrieb ins Ausland zu verlegen. Daß das auf 
die heimische Industrie lähmend und niederdrückend 
wirken mußte, bedarf keiner weiteren Erörterung. 
In Preußen wurden in den Jahren 1869/73 
durchschnittlich jährlich 63 Patente erteilt, in den 
Jahren 1874, 1875, 1876 dagegen 187 bzw. 
261 bzw. 463, während zu derselben Zeit in 
England ungefähr 2400 Patente jährlich gegeben 
wurden. — Sichere Schlüsse über die wirt- 
schaftliche Bedeutung des Patentschutzes 
durch Gegenüberstellung der Ergebnisse der in- 
ländischen und ausländischen Patentpflege wird 
man nicht ziehen dürfen, und zwar um deswillen 
nicht, weil das Bedürfnis, den Waren durch 
Patentierung den Schein eines höheren Werts zu 
geben, und vornehmlich weil, wie aus einer Ver- 
gleichung des unter 6, sowie unter II und III 
Gesagten sich ergibt, die Art der Erlangung eines 
Patents in den verschiedenen Ländern sehr ver- 
schieden ist. 
Die Statistik läßt indessen doch erkennen, ob der 
Erfindungsschutz in festen Grenzen sich hält oder 
an Umfang zunimmt. In Frankreich betrug 
17
	        
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