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d###ne leben, ist ebensowenig wie in der „Poli-
teia“" im Sinn einer rechtlichen Staatspersönlich-
keit, sondern im ethischen Sinn gemeint. Einige
Ansätze zu staatsrechtlicher Betrachtung zeigen da-
gegen der Gesetzesbegriff und der Verfassungsplan.
Die Idee eines von äußerlicher, schematischer
Regulierung freien, auf philosophischer Durchbil-
dung beruhenden persönlichen Regiments, wie
„Politeia“ und „Politikos“ sie vertraten, ist mit
andern Utopien in den „Nomoi“ stillschweigend
beiseite gesetzt. Das Gesetz, und zwar das schrift-
lich niedergelegte und erzwingbare Gesetz, erscheint
als Grundlage der Staatsordnung. Der Staat
der „Gesetze“ ist darum im Unterschied von dem
der „Politeia“ staatsrechtlich ein Rechtsstaat, natür-
lich ein „Rechtsstaat“ im Sinn des durch das
Gesetz geregelten Staats, nicht in dem einer Be-
schränkung der Staatsaufgabe auf den Rechts-
schutz. Auch die Regierenden stehen unter dem
Gesetz — das bei Plato nicht, wie wohl behauptet
wurde, als bloße Dienstvorschrift erscheint — als
dessen Diener (715 CD). Von den Göttern be-
schützt, soll das Gesetz das Leben des Bürgers bis
ins einzelnste regeln.
Die Verfassung ist gedacht als eine Vereinigung
von Monarchie und Demokratie (756 E), also
als „gemischte Verfassung“. Beides soll übrigens
weniger den Gegensatz in der Zahl der Herrscher
als das Regierungsprinzip betonen. Die Mon-
archie bedeutet für Plato nicht ausschließlich die
Einherrschaft, sondern die Herrschaft der berufs-
mäßig Gebildeten überhaupt, während die Demo-
kratie das Prinzip der Freiheit repräsentiert. So
läuft denn die Verfassung tatsächlich auf eine olig-
archische Herrschaft mit starker Berücksichtigung
auch der Vermögensbedingungen hinaus. Die
demokratische Gleichmacherei verwirft Plato; die
wahre Gleichheit bestehe darin, daß Ungleichen
Ungleiches zuteil werde. Die „Gesetzeswächter“ und
ein aus den verschiedenen Vermögensklassen ge-
wählter Rat stehen an der Spitze. Die priester-
lichen, Verwaltungs= und Gerichtsbehörden, die
Vorsteher des Erziehungs= und Unterrichtswesens
stellen ein fein gegliedertes Amtersystem dar. Auch
das Gerichtsverfahren ist genau geregelt. Ein aus
früheren und gegenwärtigen Oberbeamten bestehen-
der Verein von Weisen, der sich nächtlich ver-
sammelt, wacht als oberster Staatsrat über die K
Ordnung im Staat.
Die Einführung des Gesebesstaats soll nicht
mehr, wie in der „Politeia“, auf dem Weg ge-
waltsamer Umwälzung erfolgen, sondern — ein
seitdem oft wiederholter Gedanke — durch Grün-
dung einer Kolonie, für die eine wüste Gegend
im Innern Kretas als geeignet in Aussicht ge-
nommen wird. Die Besprechung der Ortswahl
gibt Gelegenheit zu einer im Geist des Hippo-
krates gehaltenen Erörterung des Einflusses, den
Klima und die sonstigen physischen Bedingungen
des Landes auf die Volksart und die Gestaltung
der politischen Verhältnisse haben (747.D fh, ein
Plato.
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seitdem von Aristoteles, Bodin, Montesquien,
Karl Ritter u. a. oft behandeltes Thema. Bei der
Auswahl der für die Gründung geeigneten Kolo-
nisten läßt sich die Vorliebe Platos für die Dorer
und dorisches Wesen nicht verkennen.
Literatur. Kritische Gesamtausgabe von J. Bur-
net (1899/1906), erklärende Textausgabe von Stall-
baum (21833 ff), „Staat" von Jowett u. Campbell
(1894), Adam (1902), „Staatsmann" von Camp-
bell (1867), Kommentar zu den „Gesetzen“ von
Ritter (1896). Übersetzungen von Schleiermacher
(zuerst 1804/28), H. Müller (1850/66, mit Ein-
leitungen von Steinhart), Jowett (2 1892, engl.),
„Staat" von A. Horneffer (1908). Inhaltsangaben:
C. Ritter, P.s Dialoge 1: die Schriften des späteren
Alters (1901, darin „Politikos"); II: die Schriften
des reiferen Mannesalters. 1. Der „Staat" (1909);
ders., P.3 „Gesetze“. Darstellung des Inhalts (1896).
E. Zeller, Die Philosophie der Griechen II, 1
((/1889); Fr. Überwegs Grundriß der Geschichte
der Philosophie des Altertums, bearbeitet von A.
Praechter (101909); Th. Gomperz, Griech. Denker
II (1902); H. v. Arnim, Die europ. Philosophie
des Altertums, in Die Kultur der Gegenwart, hrsg.
von P. Hinneberg 1, 5 (1909) 148/166; E. Meyer,
Gesch. des Altertums V (1902) 349 ff, 502 ff; K.
Hildenbrand, Gesch. u. System d. Rechts= u. Staats-
philosophie I (1860) 98/222; P. Janet, Histoire
de la science politique dans ses rapports avec
la morale 1 (/1887) 96/164; L. Gumplowicz, Ge-
chichte der Staatstheorien (1895) 32/38; O. Gierke,
Das deutsche Genossenschaftsrecht III: Die Staats-
u. Korporationslehre des Altertums u. des Mittel-
alters u. ihre Aufnahme in Deutschland (1881);
R. Pöhlmann, Geschichte des antiken Kommunis-
mus u. Sozialismus 1 (1893) 269/581; H. Rehm,
Geschichte der Staatswissenschaft (1896, mit einer
eingehenden Analyse der staatsrechtlichen Ansätze
bei P.) 30/5.
Fr. Susemihl, Die genetische Entwicklung der
Platonischen Philosophie (1855/60); G. Grote,
P. and the other Companions of Socrates (1865);
H. v. Stein, Sieben Bücher zur Geschichte des Pla-
tonismus (1862/75); A. E. Chaignet, La vie et
les écrits de P. (1871); A. Fouillee, La philo-
sophie de P. (21888/89); Ch. Huit, La vie et
Teeuvre de P. (1893); W. Pater, P. and Plato-
nism (1893) 214/243; W. Lutoslawfki, The
Origin and Growth of P.'s Logic (21905);
W. Windelband, P. (“1905); H. Räder, P.3
philosophische Entwicklung (1905); Cl. Piat, P.
(1906) 291 ff. — C. Nohle, Die Staatslehre P.3
in ihrer histor. Entwicklung (1880). — Einzelnes:
uF. Hermann, Die histor. Elemente des Platon.
Staatsideals, in Ges. Abhandl. (1849) 132/159;
E. Zeller, Der Platon. Staat in seiner Bedeutung
für die Folgezeit (1859), in Vorträge u. Abhandl.
geschichtl. Inhalts 1 (1865) 62/81; F. Dümmler,
Prolegomena zu P.3 „Staat" u. der Platon. u. Ari-
stotel. Staatslehre (1891); ders., Zur Komposition
des Platonischen Staats (1895); derf., Der Plato-
nische Staat (1896), alles in F. Dümmler, Kleine
Schriften 1 (1901) 150 ff, 229 ff, 319 ff; G. Dietzel,
Beiträge zur Geschichte des Sozialismus und Kom-
munismus II: Die Ekklesiazusen des Aristophanes
u. die Platonische „Politeia“, in Zeitschrift für Lit.
u. Gesch, der Staatswissensch. I (1893) 373/400.
LCl. Baeumker.)
—