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1820; in Bayern Verf.-Urk., Tit. V, § 2, Bei-
lage IV; in Baden Edikt, die standes- und grund-
herrlichen Verhältnisse betr., vom 16. April 1819;
in Hessen Edikt vom 18. Juli 1858). Durch die
späteren Bundesbeschlüsse vom 18. Aug. 1825 und
13. Febr. 1829 wurden den Häuptern der me-
diatisierten Fürsten= und Grafenhäuser die Prä-
dikate „Durchlaucht“ und „Erlaucht“ verliehen.
Die ganze Rechtsmaterie kam aber in eine neue
Lage, als infolge des denkwürdigen Jahrs 1848
in allen deutschen Staaten (mit Ausnahme Meck-
lenburgs) die ständischen Verfassungen beseitigt
und in den sog. konstitutionellen Ver-
fassungen theoretische Grundsätze aufgestellt
wurden, welche mit den Rechten der Mediatisierten
in Widerspruch standen, z. B. preußische Ver-
fassung, Art. 4: „Alle Preußen sind vor dem
Gesetz gleich, Standesvorrechte finden nicht statt“;
Art. 34: „Alle Preußen sind wehrpflichtig“;
Art. 42 (Patrimonialjustiz), 101 (Steuern).
Indes hat unter dem Ministerium Manteuffel
eine sog. „Deklaration“ des Art. 4 der Verfas-
sungsurkunde, datiert 10. Juni 1854, den Weiter-
bestand der standesherrlichen Vorrechte für ver-
träglich mit der Verfassung erklärt, und die Wie-
derherstellung dieser Privilegien wurde im Weg
der königlichen Verordnung (erlassen am 12. Nov.
1855) angeordnet.
Die neuere Reichs= und Landesgesetzgebung hat
dann die rechtliche Kluft, die sich aufgetan hatte
zwischen den regierenden Familien des „Hohen
Adels“ und den Mediatisierten, noch mehr ver-
größert, da mit der Gründung des Deutschen
Reichs die Häupter der regierenden Fürstenhäuser
zu ihrer Trägerschaft der obersten Gewalt im
Staat auch noch die Mitträgerschaft an der Sou-
veränität des Reichs erwarben. Bestand vorher
der Grundsatz, daß die standesherrlichen Familien
in allen Rechten, welche nicht einen Bestandteil der
Staatsgewalt ausmachen, den noch regierenden
Fürstenhäusern möglichst gleichstehen sollen, so hat
das neueste Recht denselben mehr und mehr Recht
genommen, welche die Herrscherfamilien behielten,
oder ihnen Befugnisse vorenthalten, welche es den
regierenden Familien verlieh. In Bayern, Würt-
temberg, Baden und Hessen sind alle, in Preußen
die wichtigsten Steuerbefreiungen aufgehoben,
während die regierenden Familien sie noch besitzen.
In Preußen wie in den meisten in Betracht
kommenden deutschen Staaten wurden im Anschluß
an Art. 14 der Bundesakte zunächst durch landes-
herrliche Verordnungen die Rechtsverhällnisse der
standesherrlichen Familien geregelt, und auf
Grund dieser fanden meist Verhandlungen statt
zwischen der Landesregierung und den Standes-
herren, deren Ergebnisse teils in sog. Rezessen teils
in landesherrlichen Deklarationen enthalten sind.
Indes wurde in einigen Staaten im Gefolge der
radikalen Bewegungen der Jahre 1848 und 1849
vielsach Sturm gelaufen gegen die Vorrechte der
Standesherren. So wurde z. B. im preußischen
Standesherren, deutsche.
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Abgeordnetenhaus jede Privilegierung als „Ver-
stoß gegen die Gleichheit vor dem Gesetz“ be-
trachtet; während nun die preußische Gesetzgebung
der 1850er Jahre einen gerechten Standpunkt
gegenüber den Standesherren einnahm, ging die
Reichs= und Landesgesetzgebung der 1870er Jahre
rücksichtsloser vor und schritt vielfach über die
Vorrechte der Standesherren hinweg „aus sou-
veräner Macht und Gewalt“. So hob z. B. das
Reichsgerichtsverfassungsgesetz noch die letzten Reste
der standesherrlichen Gerichtsbarkeit auf. (Gegen-
über diesem „souveränen“ Machtstandpunkt der
Regierung vertrat im Reichstag 1874/75 der
Abg. Windthorst den Rechtsstandpunkt.)
III. Geltendes Recht. Die Standesherren
bilden einen geschlossenen Stand, dessen
Kriterien sich nach dem Staatsrecht eines unter-
gegangenen Staatswesens, des alten Reichs be-
stimmen. Deshalb kann auch der „hohe Adel“
nicht neu verliehen werden, da die Voraussetzungen
jener untergegangenen Ordnung sich nicht mehr
erneuen lassen. Die Standesherren sind der Sou-
veränität der Krone des Staats, dessen Unter-
tanen sie durch die „Mediatisierung“ geworden
sind, unterworfen. Daraus folgt, daß sie sowohl
für sich und ihre Familien als auch bei Aus-
übung aller ihnen zustehenden Rechte und Be-
fugnisse den allgemeinen Landesgesetzen unter-
worfen sind.
Sie genießen jedoch noch heute in Deutschland
eine Reihe von Vorrechten in allen Staaten des
vormaligen Deutschen Bundes, auch in den Staaten,
deren Untertanen sie nicht sind. Sie sind „deutsche“
Standesherren.
Die Vorrechte sind entweder persönliche und
ergeben sich daraus, daß es sich um eine frühere
landesherrliche Familie handelt, und stehen daher
den Mediatisierten überall in Deutschland zu,
oder dingliche als Reste der früheren Landes-
hoheit über ein bestimmtes Gebiet und daher aus-
schließlich an dieses gebunden.
a) Zu den persönlichen Rechten gehören:
1. Das Recht der Ebenbürtigkeit mit den
regierenden deutschen Fürstenhäusern (vgl. d. Art.
Ebenbürtigkeit Bd l. Sp. 1365 ffv.
2. Ehrenrechte. Die ebenbürtigen Mit-
glieder der standesherrlichen Familien sind be-
rechtigt, die vor Auflösung des alten deutschen
Reichs innegehabten Titel und Wappen von ihren
Stammgütern und Herrschaften zu führen, jedoch
müssen sie darin alle Beziehungen, die in ihren
vormaligen Verhältnissen zum deutschen Reich be-
gründet waren, weglassen. Die Familienmitglied-
schaft ist durch Abstammung aus hausgesetzlich
gültiger Ehe eines männlichen Familienmitgliedes
bedingt. Auch die Frage, wer Haupt der Familie
sei, beantwortet sich nach den Hausgesetzen. So
kann also ein standesherrliches Haus auch mehrere
Häupter haben. Somit kommen auch den Fa-
milienhäuptern der verschiedenen Familienzweige
alle verfassungsmäßigen Vorrechte eines Standes-