Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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keit aufzubauen. Im allgemeinen ist der Schluß 
vollkommen berechtigt, daß derjenige, welcher be- 
stimmte Verkehrsalte bewirkt, z. B. Wertpapiere, 
Grundstücke kauft, ganze Eisenbahnwagen- und 
Schiffsladungen voll Güter verfrachtet usw., nicht 
unvermögend ist und daß er aus den genannten 
Akten einen Gewinn zieht. Im Normalfall ist 
der Verkehr von Gütern und Werten gewinn- 
bringend. Ist das der Fall, so wirken die Ver- 
kehrssteuern wie spezielle Erwerbssteuern. Be- 
zwecken aber die Verkehrsvorgänge nicht die Er- 
zielung eines Gewinns, sondern die Erfüllung 
eines Genußbedürfnisses, so wirken die entsprechen- 
den Steuern wie Aufwandsteuern (z. B. die Fahr- 
kartensteuer für Vergnügungsreisende). Auch im 
letzteren Fall ist eine entsprechende Leistungsfähig- 
keit gegeben; die Tatsache des Aufwands gestattet 
logischerweise diesen Rückschluß. Geht schon dar- 
aus die Zulässigkeit von Verkehrssteuern hervor, 
so wird die Rechtfertigung dieser Steuergruppe 
noch verstärkt dadurch, daß eine Reihe von Ver- 
kehrsvorgängen vielfach umfangreiche Gewinne 
abwirft, die jedoch nicht durch andere Steuern 
erfaßt werden können. Daher zählen z. B. die 
Börsengewinne. Theoretisch wären dieselben zwar 
durch die Einkommensteuer zu erfassen. In der 
Praxis aber hängt die Möglichkeit einer solchen 
Erfassung von der Steuermoral bes einzelnen ab; 
eine Kontrolle bezüglich der Richtigkeit der Steuer- 
erklärung kann hier nicht durchgeführt werden. 
Und selbst wenn diese Gewinne als Einkommen 
besteuert würden, wäre die Belastung im Ver- 
hältnis zur Tragfähigkeit dieses Einkommens zu 
gering. Aus diesen und ähnlichen Gründen, 
welche besonders Max v. Heckel in seinem Lehr- 
buch der Finanzwissenschaft systematisch heraus- 
gearbeitet hat, ergibt sich die grundsätzliche Be- 
rechtigung der Verkehrssteuern. 
Freilich ist ihre Einführung und Ausgestaltung 
mit besonderer Vorsicht durchzuführen. Sowohl 
die Gegenstände der Besteuerung als auch der 
Umfang und die jeweilige Erhebungstechnik er- 
fordern eine stete, weitgehende Berücksichtigung 
des volkswirtschaftlichen Getriebes, damit die 
Steuern nicht verkehrshemmend wirken und so 
nachteilig das ganze Wirtschaftsleben beeinflussen. 
Man kann die Verkehrssteuern einteilen in 
a) Besitzwechselsteuern beim Verkehr mit Immo- 
bilien, b) Börsensteuern, c) Schriftsteuern (Wechsel., 
Scheck= und Quittungsstempel), d) Transport- 
steuern. Die Art der Erhebung ist zu mannig- 
faltig, als daß hier die Einzelheiten derselben 
Erwähnung finden könnten. Es sei nur auf die 
zwei wichtigsten Erhebungsmöglichkeiten hin- 
gewiesen: die Stempelerhebung und die Register- 
abgabe (Enregistrement). Im ersteren Fall wird 
entweder direkt auf die Urkunden ein Stempel 
Steuern. 
  
aufgeprägt oder es werden Stempelmarken und 
Stempelpapiere benützt. Die Registerabgabe da- 
gegen wird erhoben bei der Beurkundung von 
Verkehrsakten in öffentlichen Registern. . 
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Die Steuer vom Immobilienverkehr (Be- 
sitzueränderungsabgabe, Liegenschaftssteuer, Grund- 
stückumsatzstempel usw.) wird erhoben beim Besitz- 
wechsel von unbeweglichem Vermögen und solchen 
Rechten, die den Immobilien gleichgerechnet wer- 
den (z. B. Grundgefälle). Die Steuersätze werden 
in Prozenten der Kaussumme oder (beim Fehlen 
einer solchen) vom gemeinen Wert erhoben. Die 
Sätze sind von Land zu Land, von Einzelstaat zu 
Einzelstaat sehr verschieden. Bald ist die Steuer 
selbständig geregelt, bald ist sie nur ein Bestand- 
teil eines allgemeinen Stempelsteuergesetzes. Dazu 
kommen zuweilen auch noch kommunale Umsatz- 
steuern. Seit der Reichsfinanzreform von 1909 
besteht auch von Reichs wegen eine Besteuerung 
des Immobiliarverkehrs. Diese Reichssteuer be- 
trägt ½ % des Kaufpreises resp. des Werts. 
Bis zur Einführung einer Wertzuwachssteuer wird 
der doppelte Satz erhoben. Der gebundene Besitz 
wird alle 30 Jahre dieser Steuer unterworfen. 
Bei unbebauten Grundstücken bis 5000 M. bei 
bebauten bis 20 000 M Wert tritt Steuerbefreiung 
ein, sobald das Einkommen des Pflichtigen nicht 
mehr als 2000 beträgt und derselbe den Güter- 
handel nicht gewerbsmäßig betreibt. Besonders 
hoch sind diese Abgaben in Frankreich, wo sie 
unter Zurechnung anderer, beim Grundstückverkauf 
zu zahlender Stempelabgaben auf 10—12 % des 
Kaufpreises steigen. 
Die Börsensteuer bezweckt die Besteuerung der 
an der Börse geschlossenen Geschäfte. Ihre grund- 
sätzliche Berechtigung wird von der Theorie heute 
im allgemeinen anerkannt. Nur bezüglich der 
Art ihrer Einrichtung und der Höhe der Sätze 
bestehen vielfach große Meinungsverschiedenheiten, 
was um so leichter zu begreifen ist, als es sich 
hier um eine Steuer handelt, die sehr leicht volks- 
wirtschaftlich schädliche Folgen haben kann. Denn 
die Börse ist der feinst organisierte und darum 
auch sensibelste Marktorganismus, den es gibt. 
Darum sind bei der Einführung solcher Steuern 
besonders die wirtschaftlichen Folgen zu berück- 
sichtigen. Freilich kann diese Rücksicht auch über- 
trieben und unter dem Schutz von Schlagwörtern 
eine ungefährliche und gerechte Besteuerung un- 
möglich gemacht werden. 
Was die praktische Gestaltung anlangt, so 
unterscheidet man in Börsenumsatzsteuer (Schluß- 
notensteuer) und Emissionssteuer. Die Schluß- 
notensteuer betrifft Kauf= und Anschaffungs- 
geschäfte von Wertpapieren und börsenmäßig 
gehandelten Waren; durch den Emissionsstempel 
werden Aktien-, Renten= und Schuldverschrei- 
bungen bei Gelegenheit der Emission getroffen. 
Bezüglich der deutschen Börsensteuer ist kurz 
folgendes zu bemerken: Schon im Norddeutschen 
Bund hatte man versucht, eine Börsensteuer ein- 
zuführen; ohne Erfolg. Nachdem auch im neuen 
Deutschen Reich ein paar Versuche (1875 u. 1878) 
gescheitert waren, gelang es endlich im Jahr 1881 
eine ziemlich einfache Börsensteuer durchzuführen, 
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