Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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rungen an die Gesetzgebung nicht vollständig ge- 
recht werden. Auch nach einer andern Seite ist die 
Objektivität der Minister anfechtbar. Weil sie der 
Volksvertretung gegenüber die Verantwortlichkeit 
für die Regierungsakte tragen, kann es vorkommen, 
daß das Bewußtsein dieser Verantwortlichkeit je 
nach der Art ihrer Auffassung die Minister be- 
fangen macht. Der von ihnen zu erteilende Rat 
kann daher leicht seinen letzten Grund in solcher 
Befangenheit haben. 
Nun ist auch der Fall oft gegeben, daß ein 
Ministerium in wichtigen Fragen mit der Kam- 
mermehrheit in Konflikt gerät. In diesem Fall 
wird in den vom monarchischen Prinzip beherrsch- 
ten Staaten vom Monarchen ernstlich zu prüfen 
sein, ob er die Kammern auflösen, wozu ihm wohl 
das Ministerium raten wird, oder aber ob er nicht 
besser das Ministerium entlassen soll. In solchen 
Fällen kann wohl ein Rat dem Monarchen nur 
von solchen erteilt werden, die am Streit selbst 
unbeteiligt sind. Hier wird wohl eine gewisse 
Garantie für die Objektivität und für die Kon- 
tinuität des die Staatsverwaltung beherrschenden 
einheitlichen Geistes eher gegeben sein, wenn der 
Monarch in solchen Fällen sich Rat holt bei einer 
ständigen Körperschaft, welche in den Personen 
nur allmählich wechselt. 
Einen weiteren nicht zu unterschätzenden Vor- 
teil bietet ein Staatsrat in Bezug auf die Ge- 
setzgebung. UÜber die Frage, ob in irgend 
einem Zweig des Staatslebens eine Anderung 
der bestehenden Gesetze oder die Schaffung neuer 
Gesetze erforderlich ist, weil die bestehenden Ge- 
setze den inzwischen veränderten Verhältnissen des 
bürgerlichen und staatlichen Lebens nicht mehr 
entsprechen oder genügen, wird, sei es daß die 
Anregung von dem Monarchen, sei es daß sie von 
einem der Minister, sei es daß sie von der Volks- 
vertretung ausgegangen ist, zunächst das Staats- 
ministerium sich schlüssig zu machen haben. 
In allen Fällen ist nun nach dem früher Ge- 
sagten der Staatsrat die geeignetste Stelle für die 
objektive Nachprüfung der Frage und für die For- 
mulierung der Prinzipien, welche dem Gesetz zu- 
grunde zu legen sind, ferner nach Ausarbeitung 
des Gesetzentwurfs für die Prüfung, ob alle 
Einzelbestimmungen mit den formulierten Prin- 
nötig für die Anlegung der bessernden Hand. Auf ministerium angeführte Literatur; ferner: 
diese Weise pflegten in absoluten Monarchien, in 
welchen ein Staatsrat bestand, alle oder wenig- 
stens alle wichtigeren Gesetze zustande zu kommen, 
indem der Monarch dem aus dem Staatsrat her- 
vorgegangenen Entwurf seine Sanktion erteilte. 
Die Erfahrung hat gelehrt, daß der Regel nach 
Staatsrat. 
  
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den Parteien und mit den Ministern zustande 
kommen! Wie oft leiden sie an Unklarheit und 
selbst Unverständlichkeit der Sprache, wie oft 
kommen Bestimmungen in die Gesetze, welche den 
denselben zugrunde liegenden Prinzipien wider- 
sprechen und diese Prinzipien selbst verdunkeln! 
Zu welchen zahlreichen, erheblichen Streitfragen 
in der Wissenschaft, in der Rechtsprechung und 
Verwaltung gerade aus diesem Grund so viele 
der in konstitutionellen Staaten erlassenen Gesetze 
Veranlassung geben, ist männiglich bekannt. Ganz 
beseitigen lassen wird sich dieser Ubelstand bei der 
jetzigen verfassungsmäßigen Art des Zustande- 
kommens der Gesetze nicht. Mindern würde er 
sich jedoch, wenn den parlamentarischen Körper- 
schaften wichtige Gesetzentwürfe erst dann vorgelegt 
würden, wenn sie in vorbeschriebener Art durch 
den Staatsrat gegangen sind, schon deshalb, weil 
die Minister den in den Kammern gestellten Ab- 
änderungsanträgen gegenüber durch das Gut- 
achten des Staatsrats eine festere Stellung ge- 
winnen und auf die Fehler der Anträge auf Grund 
der im Staatsrat gepflogenen Verhandlungen 
wirkungsvoller hinweisen könnten. Finden die von 
den Ministern geltend gemachten Bedenken keine 
Beachtung, so würde es sich empfehlen, den aus 
den parlamentarischen Verhandlungen hervor- 
gegangenen Gesetzentwurf, bevor ihm der Monarch 
die Sanktion erteilt, dem Staatsrat zur Begut- 
achtung vorzulegen. Auch für Gesetzentwürfe, 
welche aus der Initiative der Kammern hervor- 
gehen, trifft dies zu. Unzweifelhaft würde hier- 
mit die Gesetzgebungsarbeit wesentlich verlangsamt 
werden. Für ganz dringende Fälle würde sich 
dieses Verfahren daher nicht eignen. Im übrigen 
aber würde es sicher kein Nachteil sein, wenn die 
Gesetzgebungsmaschine bedächtiger und langsamer 
arbeitete, als es seit geraumer Zeit geschieht. In 
dem gedachten Sinn bestimmt das Staatsgrund- 
gesetz für das Königreich der Niederlande — die 
Bedächtigkeit ist ja eine charakteristische Eigenschaft 
des Holländers —. daß alle -Gesetzesvorlagen, 
welche vom König an die Generalstaaten gehen 
sollen oder durch diese an ihn gebracht werden, 
an den Staatsrat zur Beratung gehen müssen; 
bei der Verkündung der Gesetze muß mitgeteilt 
werden, daß der Staatsrat darüber gehört sei. 
zipien in Einklang stehen, und schließlich, wenn 
solche Gesetze nicht nur in der Ausdrucksweise, 
sondern auch in der konsequenten Durchführung 
der Prinzipien musterhaft waren. Wie anders 
sieht es dagegen häufig mit den Gesetzen aus, 
welche im Weg der parlamentarischen Verhand- 
lungen, meist auf Grund von Kompromissen unter 
Literatur. Siehe hierzu die zu Art. Staats- 
Cosmar u. Klaproth, Versuch einer Geschichte des 
Königl. preuß. u. kurfürstl. brandenburg. wirkl. 
Geheimen S.s. Nach den Aktenstücken. bearb. 
(1805); v. Hock u. Bidermann, Der österreichische 
S. (1760 1818), 1879; Sailer, Der preußische 
S. u. seine Reaktivierung (1884). Der preu- 
ßische S. u. seine Wiederberufung, von einem 
Ostpreußen (1885); gorn, Die staatsrechtl. Stel- 
lung des preuß. Gesamtministeriums (1895); Dicey, 
bhe Privy Council (Lond. 1897); Hintze, Der 
österreichische S. Festschrift der Savignystiftung 
für Rechtsgeschichte VIII, 137; ders., Vergleichende 
Studie über den österreichischen u. preußischen Be-
	        
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