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jener, welche sich eines Verbrechens bereits schuldig
gemacht haben. Unter Besserung ist hier nicht die
moralische Besserung gemeint, sondern nur die ju-
ridische, d. h. die Beförderung der Rechtlichkeit
oder der rechtlichen Gesinnung des Menschen für
die Außenwelt. Sie faßt den Verbrecher allein ins
Auge, sieht die Strafe je nach ihrer Gestaltung
und Ausmessung als das geeignete Mittel für
diesen Zweck und die Strafandrohung im Gesetz
als Vorbereitung der tatsächlichen Bestrafung an.
Eine andere, als deterministisch bezeichnete, Rich-
tung der Besserungstheorie will weder die morali-
sche noch die juridische Besserung, sondern die
Verstandesbesserung bezwecken. Im Hinblick auf
die noch zu erwähnenden neuzeitlichen Theorien
sei hier bemerkt, daß unter den Besserungstheo-
rien bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrh.
auch die phrenologische genannt wird, die da-
von ausgeht, daß „die letzten Gründe aller Ver-
brechen . entweder in ursprünglich unglücklicher
Anlage oder in krankhafter Aufregung der Or-
gane bestehen, wozu noch der dritte Fall der Un-
wissenheit oder mangelnder Bildung kommt. In
allen diesen Fällen ist der Verbrecher mehr unter
dem Gesichtspunkt eines moralisch Kranken zu be-
trachten, welcher unser Bedauern und unsern
Wunsch, ihn zu bessern, erregen soll“. Zu den
relativen Theorien zählt man auch, im Gegensatz
zu den Nützlichkeitstheorien, die sog. Rechtstheorien,
d. h. solche Theorien, welche unmittelbar dem staat-
lichen Zweck der Aufrechterhaltung der Rechtsord-
nung, ohne sonstige Mittel- oder Nebenzwecke,
dienen wollen. Das sind dann die Theorien, wo-
nach die Strafe vom Staat aus Notwehr oder zur
Selbsterhaltung oder als Vergütung an Stelle der
durch Verübung des Verbrechens eintretenden
Rechtlosigkeit des Verbrechers verhängt wird. Und
endlich sind zu den relativen Theorien auch die
Strafvertragstheorien zu zählen, insbesondere die
von Fichte, der neben dem allgemeinen Staats-
vertrag, durch den der Staat entsteht, einen be-
sondern Abbüßungsvertrag annimmt, durch den
die Untertanen sich noch speziell der Strafgewalt
des Staats unterwerfen, dergestalt, daß der Staat
zur Strafe für ein Verbrechen befugt sein soll, Ehre,
Leben, Freiheit, Vermögen der Untertanen zu ent-
ziehen, zu deren Erhaltung er doch gerade durch den
allgemeinen Staatsvertrag verpflichtet erscheint.
J%) Im letzten Drittel des 19. Jahrh. nun traten
Ideen auf, die in ihrem letzten Grund zwar be-
reits in einigen der älteren Theorien verborgen
liegen, aber doch Gesichtspunkte in den Vorder-
grund schieben, die dem nie unterbrochenen Streit
der älteren Theorien eine neue Richtung geben.
Die heutigen Vertreter auch dieser älteren Theo-
rien sind sich darüber einig, daß die Strafgewalt
des Staats ihren Rechtsgrund in der Notwendig-
keit, die Rechtsordnung gegen Störungen und
Verletzungen zu schützen, besitzt und daß die Strafe
das ihr hierzu zur Verfügung stehende Mittel ist.
Ist das Verbrechen eine Störung der Rechtsord-
Strafe usw.
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nung, so ist sonach die Strafe das staatliche
Mittel zur Bekämpfung dieser Störung. Es wird
nicht abzustreiten sein, daß den relativen Theo-
rien wenigstens, und zwar soweit sie mittels Ab-
schreckung oder Prävention über den Verbrecher
hinaus auch auf andere wirken wollen, dieser Ge-
danke nicht fremd ist. Aber dieser Gedanke ist nur
einseitig unter dem Gesichtspunkt der Strafe er-
örtert worden, wie es denn rechtsgeschichtliche Tat-
sache ist, daß, wenn nicht gerade die Entstehung,
so doch intensivere Erörterung, Begründung und
Ausbau dieser Theorien auf das Bedürfnis zurück-
zuführen ist, das Gewohnheitsrecht zu rechtfertigen,
das darauf ausging, in Abweichung von den nach
Art und Maß überaus harten Strafbestimmungen
des bestehenden gemeinen Rechts, in der Praxis
angemessene gemäßigte Strafausmessung eintreten
zu lassen. Das Verbrechen als solches wurde dabei
nicht berücksichtigt; es wurde als eine einmal be-
stehende, nicht zu ändernde allgemeine Erscheinung
hingenommen. Hier knüpfen nun die neuen Theo-
rien an. Sie gehen davon aus, daß, wenn man
das Verbrechen als solches bekämpfen wolle, man
vor allem seine Ursachen aufdecken und diese be-
seitigen müsse. Von besonderer Bedeutung für die
Durchführung dieses Gedankens als Aufgabe der
Kriminalogie war es, daß die Psychiatrie große
wissenschaftliche Fortschritte gemacht und auch ge-
rade die Kriminalität in den Kreis ihrer Beobach-
tungen und Untersuchungen gezogen hatte. Fußend
auf der Tatsache, daß bei manchem Verbrecher
Symptome geistiger Erkrankung nachgewiesen
waren, glaubte man aus anormalen physischen und
physiologischen Eigenschaften solche Symptome
herleiten zu können, wie das schon in beschränkterem
Maß die oben bereits erwähnte phrenologische
Theorie angenommen hatte. So zog insbesondere
der Italiener Lombroso, der für die eine der
neueren Theorien, und zwar die sog. kriminal-
anthropologische oder auch kriminal-biologische,
bahnbrechend gewesen ist, in den 1870er Jahren
aus gewissen körperlichen Befunden bei einer An-
zahl von Verbrechen allgemeine Schlußfolgerungen
auf den Verbrecher als Typus. Er faßte auf
Grund seiner Feststellungen den verbrecherischen
Menschen, den geborenen Verbrecher, als eine
selbständige Art innerhalb der menschlichen Gesell-
schaft auf. Ihm ist der verbrecherische Mensch
„eine atavistische Erscheinung, ein Rückfall in die
Eigenart des Urmenschen oder des Kindes, oder
ein Erzeugnis epileptoider Entartung, oder eine
Form des moralischen Irreseins“. Für ihn be-
steht also die Bekämpfung des Verbrechens in der
Unschädlichmachung dieses Typus. Lombroso be-
sitzt, obgleich er, „unbeirrt durch die kleinliche
Forderung exakter Beobachtung und vorsichtiger
Deutung der gefundenen Ergebnisse“, seine Theo-
rie mehr als mangelhaft begründet und sich selbst
verschiedentlich stark korrigiert hat, noch Anhänger,
namentlich in seinem Vaterland. Etwas jünger
als diese Theorie ist die sog. kriminal-soziologische,