273
lärer Strafprozeß. III. Der Reichsstrafprozeß.
A. Entstehung und Geltungsgebiet der deutschen
Strafprozeßordnung (Str. P.O.). B. Die Prozeß-
subjekte: 1. Die Strafgerichte (Zuständigkeit, Aus-
schließung und Ablehnung des Richters usw.).
2. Die strafverfolgenden Behörden und Personen
(Staatsanwaltschaft, Verwaltungsbehörden, Pri-
vatkläger, Nebenkläger) und der Beschuldigte.
C. Die Grundmaximen des Verfahrens: 1. An-
klage= und Inquisitionsprinzip. 2. Offentlichkeit,
Mündlichkeit, Unmittelbarkeit. 3. Beweis. D. Das
Verfahren in erster Instanz: 1. Vorverfahren, ge-
richtliche Voruntersuchung. 2. Das Hauptverfahren.
3. Besondere Arten des Verfahrens. E. Rechtsmittel
(Beschwerde, Berufung, Revision) und Wiederauf-
nahme des Verfahrens. F. Strafvollstreckung und
Kosten. IV. Reformbestrebungen.)]
I. Begriff und Wesen des Strafprozesses.
1. Ein „Strafverfahren“ ist ein gesetzlich geord-
netes Verfahren in einer „Strafsache“, d. h. in
einer Rechtssache, in welcher es sich um die An-
wendung einer Strafe im Sinn des materiellen
Strafrechts (ogl. d. Art.) handelt. Der Begriff
des Strafverfahrens umfaßt jedes Strafverfahren,
einerlei ob es von Verwaltungsbehörden oder von
den Gerichten gehandhabt wird; mit „Straf-
prozeß" wird nur das vor den Gerichten statt-
findende Strafverfahren bezeichnet. — Zu den
Gerichten gehören die „ordentlichen“ und die „be-
sondern“ Gerichte. Auch diesen Sondergerichten
gebührt Strafgerichtsbarkeit, insoweit sie dafür
reichsgesetzlich „bestellt“ oder „zugelassen“ und im
letzteren Fall landgesetzlich bestellt sind. Zur
ersteren Klasse der Sondergerichte gehören die
Militär= und die Konsulargerichte und die Ge-
richte in den deutschen Schutzgebieten; zu der letz-
teren die Rheinschiffahrts= und Elbzollgerichte, die
Austrägalgerichte für das Verfahren gegen die
Mitglieder der landesherrlichen und ihnen gleich-
gestellten Familien und gegen Standesherren so-
wie Gerichte für Verfahren gegen Minister wegen
Verfassungsverletzung (Staatsgerichtshöfe); auch
die Gewerbegerichte können für Strafsachen bestellt
werden (das Gesetz betr. die Gewerbegerichte vom
29. Juli 1890 ist insoweit ohne Bedeutung).
Endlich dürfen die Kriegsgerichte und Stand-
gerichte hierher gerechnet werden. Das Ver-
fahren vor diesen Sondergerichten bietet manche
Eigentümlichkeiten; ihretwegen ist auf die Spezial-
artikel zu verweisen.
Im folgenden ist unter Strafprozeß,
auch als „formelles Strafrecht“ bezeichnet, ledig-
lich das vor den „ordentlichen“ Gerichten statt-
findende Verfahren bei Anwendung des materiellen
Strafrechts auf den einzelnen (konkreten) Fall zu
verstehen. Darüber, welche Verfahrenshand-
lungen im einzelnen zum Begriff des Straf-
prozesses (mithin in den Kreis dieser Erörterung)
gehören, herrscht in der Rechtswissenschaft Mei-
nungsverschiedenheit, die ihren Grund in der Ver-
schiedenheit der Ansichten über den Begriff des
Prozesses überhaupt hat. Nach der einen Ansicht
Strafprozeß.
274
bezweckt der Prozeß nur Rechtsprechung, nicht
Rechtsdurchsetzung; nach der andern dagegen ist
der Prozeß Zwangsordnung, eine Rechtsschutz-
ordnung mit dem Zweck, das Recht zu bewähren,
der erst mit der Vollstreckung, soweit sie nötig, als
erreicht gelten könne. Demgemäß rechnet die
erstere Ansicht unter den Begriff des Strafprozesses
nur den engen, die Rechtsprechung, die Entschei-
dung über die Anwendung des Strafgesetzes um-
fassenden Kreis von Handlungen und scheidet, im
Gegensatz zur zweiten, alle diesem Verfahren vor-
aufgehenden, dasselbe vorbereitenden sowie die
ihm nachfolgenden Handlungen, namentlich die
vollstreckenden, aus. Die deutsche Strafprozeß-
ordnung, welche nach § 3 des Einf.Ges. dazu
auf alle Strasfsachen Anwendung findet, die
vor die ordentlichen Gerichte gehören, mithin den
gesetzlich festgestellten Rahmen für das Verfahren
bildet, hat auch das vorbereitende (Ermittlungs--)
Verfahren und die Strafvollstreckung geregelt.
Im Anschluß an sie ist für die unten folgende
Darstellung des geltenden Rechts der umfassendere
Begriff festgehalten.
2. Seinem Wesen nach ist der Strafprozeß die
Form für die rechtliche Geltendmachung des staat-
lichen Strafrechts im subjektiven Sinn, der staat-
lichen Strafgewalt, also des staatlichen Herrschafts-
rechts. Im Strafrecht (ogl. d. Art.) sollen die
staatlichen und gesellschaftlichen Interessen geschützt
und mittels des Strafprozesses die im Einzelfall
gestörte öffentliche Rechtsordnung wiederhergestellt
werden. Im Gegensatz zum Zivilprozeß, in wel-
chem dem Individuum zum Schutz seiner Rechte
die staatliche Macht zur Verfügung gestellt wird,
dient mithin der Strafprozeß dem eignen Inter-
esse des Staats und der Gesellschaft, unbeschadet
des Umstands, daß damit gleichzeitig ein Schutz
individueller Interessen eintritt. Es gehört dem-
nach der Strafprozeß in organischem Zusammen-
hang mit dem materiellen Strafrecht dem öffent-
lichen Recht an, und daraus ergibt sich, daß auf
die Ausgestaltung des Strafprozesses staatsrecht-
liche Gesichtspunkte von ausschlaggebender Be-
deutung sein müssen. Die Handhabung der Straf-
gewalt, sagt Laband (Staatsrecht des Deutschen
Reichs III 354 f). solle sich nicht nach Art der Rache
unmittelbar an die verbrecherische Tat anschließen,
solle vielmehr um den Staat selbst vor Miß-
brauch seiner Staatsgewalt zu schützen und ihm
eine Garantie zu gewähren, daß die Gewalt nach
den Geboten der Gerechtigkeit gehandhabt werde,
in Form eines gerichtlichen Urteils Schuld und
Strafe nach objektiven Rechtsnormen und den
Umständen des Falls feststellen. Der Strafprozeß
sei gleichsam der Weg, den die Strafgewalt in
jedem einzelnen Anwendungsfall zu durchlaufen
habe. „Während die Verurteilung im Zivil-
prozeß die Gewährung eines Antrags auf
Entfaltung der Staatsgewalt ist, bedeutet die
Verurteilung im Strasprozeß die Erfüllung
einer Bedingung (Voraussetzung), an welche