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antwortung ist wesentlich von staatsrechtlichen
Erwägungen abhängig und führt am letzten Ende
zur Aufwerfung der Frage, wann das öffentliche
Interesse die Verfolgung einer Straftat erfordert.
Das öffentliche Interesse, die Wohlfahrt der Ge-
samtheit, erfordert die Berücksichtigung aller
Verhältnisse, welche der pflichtmäßigen Fürsorge
der Staatsgewalt unterliegen. Von diesem Ge-
sichtspunkt aus wird man der Staatsgewalt ein
gewisses freies Ermessen kaum vorenthalten können,
wenn man sich nicht auf den Standpunkt stellt,
der ganzen Frage sei schon durch die Stellung-
nahme des materiellen Strafrechts präjudiziert:
sei durch das letztere eine Handlung für strafbar
erklärt, so sei sie als gegen die öffentliche Ord-
nung verstoßend zu erachten, mithin auch zu
verfolgen. In diesem Sinn will denn auch die
Strasprozeßordnung keine Opportunitätsrücksichten
gelten lassen, sondern hat das sog. Legalitäts-
prinzip in dem Satz (Str. P.O. § 152) auf-
gestellt, daß die Staatsanwaltschaft wegen aller
gerichtlich strafbaren und verfolgbaren (vgl. d. Art.
Strafrecht) Handlungen einzuschreiten habe, sofern
zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen.
Von diesem Grundsatz geht das Gesetz nur in
wenigen Fällen, die besonders bestimmt sind (z. B.
in betreff der nur auf Antrag zu verfolgenden
Beleidigungen und Körperverletzungen, Str. P.O.
§ 416, und der im Ausland begangenen Hand-
lungen, Str. G. B. 8 4), ab. Mit diesem gesetzlich
festgelegten Grundsatz ist nicht bloß das unter-
geordnete staatsanwaltliche Organ, sondern, so-
lang er besteht, auch die Vertretung der obersten
Staatsgewalt selbst gebunden, und letztere kann
nicht dem Staatsanwalt eine Verletzung seiner
Pflicht auferlegen, ohne sich selbst verantwortlich
zu machen. Nur mit dieser Maßgabe ist die Be-
stimmung des Gerichtsverfassungsgesetzes (§ 147)
zu verstehen, daß die Beamten der Staatsanwalt-
schaft den dienstlichen Anweisungen ihres Vor-
gesetzten nachzukommen haben.
Ein Mißbrauch des Anklagemonopols ist in
verschiedener Richtung denkbar: einmal in der
Weise, daß die Staatsanwaltschaft nicht strafbare
und nicht verfolgbare Handlungen unter Anklage
stellt. Dagegen schützt der Umstand, daß über den
Erfolg der Klage die Gerichte zu entscheiden haben.
Sodann aber ist es denkbar, daß die Staats-
anwaltschaft ihre Pflicht zur Klageerhebung ver-
nachlässigt. Eine Sicherung hiergegen läßt sich
ebenfalls wieder in verschiedener Weise denken:
man kann neben der Staatsanwaltschaft dem Ge-
richt die Befungnis der Initiative geben, wie
dies das französische Recht für Ausnahmesälle zu-
gunsten der Appellgerichte getan hat, oder man
kann ganz allgemein oder mit Beschränkung auf
bestimmte Personen und Fälle die Befugnis zur
Erhebung der öffentlichen Klage an Private er-
leilen, salls die Staatsanwallschaft nicht ein-
schreitet (subsidiäre Privatklage). Die Straspro-
zeßordnung hat einen dritten Weg eingeschlagen.
Strafprozeß.
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Sie gestattet jedem, einen Antrag auf Ver-
folgung einer strafbaren Handlung bei der Staats-
anwaltschaft zu stellen, und legt letzterer die
Verpflichtung auf, falls sie dem Antrag auf
Erhebung der öffentlichen Klage keine Folge gibt,
den Antragsteller unter Angabe der Gründe
für ihre Entschließung zu bescheiden. In einem
solchen Fall hat nun zwar nicht jeder Antrag-
steller, aber doch jeder Antragsteller, der zugleich
durch die strafbare Tat „verletzt“ worden ist,
das Recht der Beschwerde an die dem Staats-
anwalt vorgesetzte Oberstaatsanwaltschaft, und
falls auch diese die Verfolgung ablehnt, das
Recht, von dem Oberlandesgericht die Entschei-
dung, ob die öffentliche Klage zu erheben sei, ver-
langen zu können. In den vor das Reichsgericht
gehörigen Strafsachen hat das Reichsgericht diese
Entscheidung zu treffen.
Von dem Anklagemonopol der Staatsanwalt-
schaft sind nur wenige Fälle ausgenommen, und
zwar die Fälle der Beleidigung und leichten
Körperverletzung, soweit deren Verfolgung nur
auf Antrag eintritt. In diesen Fällen kann der
Verletzte prinzipale Privatklage erheben, und die
Staatsanwaltschaft übernimmt die Verfolgung
nur, wenn dies im öffentlichen Interesse liegt.
Hierher gehören ferner die Fälle der Antrags-
delikte, in denen die Staatsanwaltschaft nur dann
zur Erhebung der öffentlichen Klage befugt ist,
wenn ein dahin gehender Antrag von dem An-
tragsberechtigten gestellt ist.
2. Offentlichkeit, Mündlichkeit, Un-
mittelbarkeit. Die Forderung der Offentlich-
keit der Gerichtsverhandlungen stand unter den
Reformbestrebungen des Jahrs 1848 und den ihm
voraufgegangenen Jahren mit an erster Stelle.
Dabei überwogen die politischen Gesichtspunkte
durchaus. Der Wert der Offentlichkeit ist ein
sehr bestrittener; doch wird man, von anderem
abgesehen, sagen müssen, daß sie schon um des-
willen einen großen Fortschritt und Gewinn be-
deutet, weil sie Verdächtigungen der Gerichte in
Bezug auf willkürliche Handhabung des Rechts
die Spitze abbricht. — Die Ordnung der Offent-
lichkeit ist für Zivil- und Strasprozeß gemeinsam
derart getroffen, daß die Verhandlungen vor dem
erkennenden Gericht, einschließlich der Ver-
kündung der Urteile und Beschlüsse desselben,
öffentlich sein müssen. Es kann indessen durch das
Gericht für die Verhandlung oder einen Teil der-
selben die Offentlichkeit ausgeschlossen werden,
wenn sie eine Gefährdung der öffentlichen Ord-
nung, insbesondere der Staatssicherheit, oder eine
Gesährdung der Sitltlichkeit besorgen läßt. Die-
Verkündung des Urteilstenors erfolgt unter allen
Umständen öffentlich. Die Offentlichkeit ist der
Strasprozeßordnung so wichtig, daß sie die Ver-
letzung der Vorschriften über sie unter die Nevi-
sionsgründe ausgenommen hat (Str. P.O. § 377,
Nr 6). — Auf die einzelnen Untersuchungshand-
lungen bezieht sich die Offentlichkeit nicht; doch