Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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antwortung ist wesentlich von staatsrechtlichen 
Erwägungen abhängig und führt am letzten Ende 
zur Aufwerfung der Frage, wann das öffentliche 
Interesse die Verfolgung einer Straftat erfordert. 
Das öffentliche Interesse, die Wohlfahrt der Ge- 
samtheit, erfordert die Berücksichtigung aller 
Verhältnisse, welche der pflichtmäßigen Fürsorge 
der Staatsgewalt unterliegen. Von diesem Ge- 
sichtspunkt aus wird man der Staatsgewalt ein 
gewisses freies Ermessen kaum vorenthalten können, 
wenn man sich nicht auf den Standpunkt stellt, 
der ganzen Frage sei schon durch die Stellung- 
nahme des materiellen Strafrechts präjudiziert: 
sei durch das letztere eine Handlung für strafbar 
erklärt, so sei sie als gegen die öffentliche Ord- 
nung verstoßend zu erachten, mithin auch zu 
verfolgen. In diesem Sinn will denn auch die 
Strasprozeßordnung keine Opportunitätsrücksichten 
gelten lassen, sondern hat das sog. Legalitäts- 
prinzip in dem Satz (Str. P.O. § 152) auf- 
gestellt, daß die Staatsanwaltschaft wegen aller 
gerichtlich strafbaren und verfolgbaren (vgl. d. Art. 
Strafrecht) Handlungen einzuschreiten habe, sofern 
zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. 
Von diesem Grundsatz geht das Gesetz nur in 
wenigen Fällen, die besonders bestimmt sind (z. B. 
in betreff der nur auf Antrag zu verfolgenden 
Beleidigungen und Körperverletzungen, Str. P.O. 
§ 416, und der im Ausland begangenen Hand- 
lungen, Str. G. B. 8 4), ab. Mit diesem gesetzlich 
festgelegten Grundsatz ist nicht bloß das unter- 
geordnete staatsanwaltliche Organ, sondern, so- 
lang er besteht, auch die Vertretung der obersten 
Staatsgewalt selbst gebunden, und letztere kann 
nicht dem Staatsanwalt eine Verletzung seiner 
Pflicht auferlegen, ohne sich selbst verantwortlich 
zu machen. Nur mit dieser Maßgabe ist die Be- 
stimmung des Gerichtsverfassungsgesetzes (§ 147) 
zu verstehen, daß die Beamten der Staatsanwalt- 
schaft den dienstlichen Anweisungen ihres Vor- 
gesetzten nachzukommen haben. 
Ein Mißbrauch des Anklagemonopols ist in 
verschiedener Richtung denkbar: einmal in der 
Weise, daß die Staatsanwaltschaft nicht strafbare 
und nicht verfolgbare Handlungen unter Anklage 
stellt. Dagegen schützt der Umstand, daß über den 
Erfolg der Klage die Gerichte zu entscheiden haben. 
Sodann aber ist es denkbar, daß die Staats- 
anwaltschaft ihre Pflicht zur Klageerhebung ver- 
nachlässigt. Eine Sicherung hiergegen läßt sich 
ebenfalls wieder in verschiedener Weise denken: 
man kann neben der Staatsanwaltschaft dem Ge- 
richt die Befungnis der Initiative geben, wie 
dies das französische Recht für Ausnahmesälle zu- 
gunsten der Appellgerichte getan hat, oder man 
kann ganz allgemein oder mit Beschränkung auf 
bestimmte Personen und Fälle die Befugnis zur 
Erhebung der öffentlichen Klage an Private er- 
leilen, salls die Staatsanwallschaft nicht ein- 
schreitet (subsidiäre Privatklage). Die Straspro- 
zeßordnung hat einen dritten Weg eingeschlagen. 
Strafprozeß. 
  
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Sie gestattet jedem, einen Antrag auf Ver- 
folgung einer strafbaren Handlung bei der Staats- 
anwaltschaft zu stellen, und legt letzterer die 
Verpflichtung auf, falls sie dem Antrag auf 
Erhebung der öffentlichen Klage keine Folge gibt, 
den Antragsteller unter Angabe der Gründe 
für ihre Entschließung zu bescheiden. In einem 
solchen Fall hat nun zwar nicht jeder Antrag- 
steller, aber doch jeder Antragsteller, der zugleich 
durch die strafbare Tat „verletzt“ worden ist, 
das Recht der Beschwerde an die dem Staats- 
anwalt vorgesetzte Oberstaatsanwaltschaft, und 
falls auch diese die Verfolgung ablehnt, das 
Recht, von dem Oberlandesgericht die Entschei- 
dung, ob die öffentliche Klage zu erheben sei, ver- 
langen zu können. In den vor das Reichsgericht 
gehörigen Strafsachen hat das Reichsgericht diese 
Entscheidung zu treffen. 
Von dem Anklagemonopol der Staatsanwalt- 
schaft sind nur wenige Fälle ausgenommen, und 
zwar die Fälle der Beleidigung und leichten 
Körperverletzung, soweit deren Verfolgung nur 
auf Antrag eintritt. In diesen Fällen kann der 
Verletzte prinzipale Privatklage erheben, und die 
Staatsanwaltschaft übernimmt die Verfolgung 
nur, wenn dies im öffentlichen Interesse liegt. 
Hierher gehören ferner die Fälle der Antrags- 
delikte, in denen die Staatsanwaltschaft nur dann 
zur Erhebung der öffentlichen Klage befugt ist, 
wenn ein dahin gehender Antrag von dem An- 
tragsberechtigten gestellt ist. 
2. Offentlichkeit, Mündlichkeit, Un- 
mittelbarkeit. Die Forderung der Offentlich- 
keit der Gerichtsverhandlungen stand unter den 
Reformbestrebungen des Jahrs 1848 und den ihm 
voraufgegangenen Jahren mit an erster Stelle. 
Dabei überwogen die politischen Gesichtspunkte 
durchaus. Der Wert der Offentlichkeit ist ein 
sehr bestrittener; doch wird man, von anderem 
abgesehen, sagen müssen, daß sie schon um des- 
willen einen großen Fortschritt und Gewinn be- 
deutet, weil sie Verdächtigungen der Gerichte in 
Bezug auf willkürliche Handhabung des Rechts 
die Spitze abbricht. — Die Ordnung der Offent- 
lichkeit ist für Zivil- und Strasprozeß gemeinsam 
derart getroffen, daß die Verhandlungen vor dem 
erkennenden Gericht, einschließlich der Ver- 
kündung der Urteile und Beschlüsse desselben, 
öffentlich sein müssen. Es kann indessen durch das 
Gericht für die Verhandlung oder einen Teil der- 
selben die Offentlichkeit ausgeschlossen werden, 
wenn sie eine Gefährdung der öffentlichen Ord- 
nung, insbesondere der Staatssicherheit, oder eine 
Gesährdung der Sitltlichkeit besorgen läßt. Die- 
Verkündung des Urteilstenors erfolgt unter allen 
Umständen öffentlich. Die Offentlichkeit ist der 
Strasprozeßordnung so wichtig, daß sie die Ver- 
letzung der Vorschriften über sie unter die Nevi- 
sionsgründe ausgenommen hat (Str. P.O. § 377, 
Nr 6). — Auf die einzelnen Untersuchungshand- 
lungen bezieht sich die Offentlichkeit nicht; doch
	        
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