Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

293 Strafprozeß. 294 
kennt die Strafprozeßordnung insoweit eine be= Für die Herbeischaffung der einzelnen Beweis- 
schränkte Offentlichkeit, die sog. Parteiöffent= mittel hat die Staatsanwaltschaft von Amts wegen 
lichkeit, als den Beteiligten, Staatsanwalt oder auf besondere Veranlassung des Richters zu 
und Beschuldigtem, gewisse Vorgänge im Prozeß, sorgen, und auch dem Angeklagten steht es frei, 
namentlich während der Voruntersuchung, zur unmittelbar Beweismittel zur Stelle zu bringen, 
Kenntnis gebracht werden müssen bzw. diese Be- und in der Regel ist der Richter verpflichtet, die 
teiligten in gewissen Terminen zugezogen werden "% Beweisaufnahme auf sämtliche herbeigeschafften 
müssen. Beweismittel zu erstrecken. Sodann folgt aus 
Die Mündlichkeit ist die Vorbedingung jenem Grundsatz, daß der Richter jede Behaup- 
für die Offentlichkeit; ohne Mündlichkeit ist die tung und jede Beweiserhebung auf ihre Zuver- 
Offentlichkeit nicht denkbar. Deswegen müssen lässigkeit zu prüfen hat. Als Beweismittel kommen 
alle Gerichtsverhandlungen, die öffentlich sein in Betracht: die Erklärung des Angeklagten, rich- 
sollen, auch mündlich geführt werden, also die vor terlicher Augenschein, Urkunden, Aussagen von 
dem erkennenden Gericht. Eine ausdrückliche Be= Zeugen und Sachverständigen. Dieletzteren müssen 
stimmung, daß das Verfahren ein mündliches sein beeidigt werden, und nur unter bestimmten Vor- 
soll, wie dies für den Zivilprozeß vorgeschrieben aussetzungen kann von der Beeidigung Abstand 
ist (Z.P.O. § 128), findet sich in der Straf= genommen werden. Die Beeidigung soll eine 
prozeßordnung nicht. Der Verhandlung vor dem Bürgschaft für die Zuverlässigkeit abgeben; das 
erkennenden Gericht geht fast immer die Samm= entbindet den Richter aber nicht von der beson- 
lung der Beweise voraus. Diese Beweise müssen dern Prüfung, ob trotz der Beeidigung die Zu- 
alle in der Hauptverhandlung rekapituliert werden, verlässigkeit vorhanden ist. Dem beregten Grund- 
d. h. also Schriftstücke aller Art müssen verlesen satz entspricht es auch, daß eidliches Zeugnis ab- 
und Personen, auf deren Wahrnehmung der Be= zulegen allgemeine Bürgerpflicht ist, von der nur 
weis einer Tatsache beruht, vernommen werden; ganz besondere, bestimmt bezeichnete Umstände 
die Vernehmung darf nur ausnahmsweise durch entbinden. Dahin gehört nicht, wie im Zivil- 
Verlesung des über eine frühere Vernehmung prozeß, schon die Möglichkeit, daß die Aussage 
aufgenommenen Protokolls ersetzt werden. Dazu über gewisse Tatsachen dem Zeugen oder dessen 
  
kommen die mündlichen Erklärungen des An- 
geklagten und des Vertreters der Anklage, was in 
der Berufungs= und Revisionsinstanz allerdings 
sachgemäße Modifikationen erfährt. Diese ge- 
samte Beweisführung muß bei unausgesetzter An- 
wesenheit des Angeklagten und ohne eine Unter- 
brechung von längerer Dauer stattfinden, so daß 
durch diese „Konzentrierung aller Einwirkungen 
auf den erkennenden Richter in einer in unaus- 
gesetzter Gegenwart aller Richter und der Parteien 
zu pflegenden, kontradiktorisch gestalteten Ver- 
handlung“ eine Unmittelbarkeit der Ver- 
handlung erzielt wird, die volle Gewißheit dafür 
erbringt, daß der erkennende Richter alles Ma- 
terial, was zur Beurteilung der Sache vorliegt, 
erfährt, mithin seinem Urteil zugrunde legen muß. 
3. Beweis. Die richterliche Aufgabe im 
Strafprozeß ist, wie schon mehrfach betont, die 
Feststellung der materiellen Wahrheit. Daraus 
ergibt sich zweierlei: einmal, daß eine Tätigkeit 
der Staatsanwaltschaft oder des Angeklagten nicht 
Voraussetzung für eine Beweiserhebung ist. Na- 
türlich wird der Angeklagte gut daran tun, dem 
Richter für seine Behauptungen auch die Beweis- 
mittel anzugeben; nur kann nicht davon gesprochen 
werden, daß ihn eine Beweislast treffe. Der 
Richter ist auch verpflichtet, auf Anträge über 
Beweiserhebungen einzugehen, soweit sie für das 
Urteil erheblich sind; eine Ablehnung solcher An- 
träge muß sogar derart begründet werden, daß 
  
die Nachprüfung ihrer Berechtigung in der höheren 
Instanz möglich ist, indem darin unter Umständen 
eine zur Revision berechtigende unzulässige Be- 
schränkung der Verteidigung erblickt werden kann. 
Angehörigen zur Unehre gereichen würde; nur die 
Gefahr, daß der Zeuge sich strafgerichtliche Ver- 
folgung zuziehen werde, entbindet ihn von seiner 
Verpflichtung. Vor allem muß der Richter auch 
ein etwaiges Geständnis des Angeklagten auf 
sieine Glaubwürdigkeit prüfen, da ihm die er- 
wähnte Bürgschaft der Beeidigung fehlt und es 
erfahrungsgemäß nicht selten der Wahrheit ent- 
behrt. Im allgemeinen schreibt daher die Straf- 
prozeßordnung dem Geständnis keinen Einfluß 
auf die Gestaltung des Verfahrens zu. Tatsächlich 
wird natürlich bei einem glaubhaften Geständnis 
der Richter von der Erhebung weiterer Beweise 
absehen; nur bei Schwurgerichtsverhandlungen ist 
dies ausgeschlossen, da hier erst aus der Antwort 
der Geschworenen auf die gestellten Fragen ersehen 
werden kann, welchen Wert sie dem Geständnis 
beilegen. 
Aus den erhobenen Beweisen hat der Richter 
die Wahrheit festzustellen; er muß also notwen- 
digerweise sich über die Gründe klar werden, 
welche für ihn bestimmend sind, eine strafbare 
Handlung des Angeklagten anzunehmen oder nicht. 
Dabei kann ihm das Gesetz bestimmte Vorschriften 
machen, z. B. daß er eine Tatsache für wahr an- 
zunehmen habe, wenn zwei taugliche Zeugen unter 
Eidesbekräftigung sie bekundet haben. In einem 
olchen Fall spricht man von „gesetzlicher Beweis- 
theorie“. Anders verhält es sich bei der sog. „Uber- 
zeugungstheorie“ oder der „Theorie der 
freien Beweiswürdigung“; hier sind dem Richter 
jene Fesseln nicht angelegt, er hat vielmehr nach 
seiner freien Uberzeugung zu urteilen, ob er die zu 
beweisende Tatsache für bewiesen erachtet oder nicht. 
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