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strafgerichtlichen Verfolgung) durch Beschluß des
Gerichts erfolgen. Ergeben sich keine Bedenken,
so wird die Voruntersuchung durch den Unter-
suchungsrichter eröffnet.
Die Voruntersuchung hat den Zweck, insoweit
Beweise zu sammeln, als erforderlich ist, um eine
Entscheidung darüber zu begründen, ob das Haupt-
verfahren zu eröffnen oder der Angeschuldigte außer
Verfolgung zu setzen sei. Nur ausnahmsweise
kann der Untersuchungsrichter darüber hinaus Be-
weise erheben, und zwar nur solche, welche für die
Verteidigung erforderlich erscheinen oder deren
Verlust für die Hauptverhandlung zu besorgen
steht. Innerhalb dieser Grenzen ist der Unter-
suchungsrichter, der auf die Dauer des Geschäfts-
ahrs im voraus bestellt wird (durch besondern
Beschluß kann die Führung einer Voruntersuchung
einem Amtsrichter übertragen werden; bei dem
Reichsgericht wird der Untersuchungsrichter für
jede einzelne Strafsache bestellt), vollständig selb-
ständig. Seine Aufgabe ist, unparteiisch den
Zweck des Strafverfahrens zu sichern, d. h. die
Wahrheit zu ermitteln, im einzelnen also, den
Spuren des Täters nachzugehen, Zeugen, Sach-
verständige zu vernehmen und die Ergebnisse zu
gerichtlichem Protokoll zu beurkunden. Was den
Angeschuldigten selbst anlangt, somuß seine Ver-
nehmung stattfinden, auch wenn sie im Vorver-
fahren bereits stattgehabt hat. Daß der Unter-
suchungsrichter die Verpflichtung hat, alles, was
zur Beseitigung der gegen den Beschuldigten vor-
liegenden Verdachtsgründe dienen kann, ebenfalls
zu beachten, braucht nicht nochmals betont zu
werden. Zu diesem Zweck ist es unerläßlich, daß
dem Beschuldigten Kenntnisnahme gewisser Pro-
zeßvorgänge (Partei-Offentlichkeit) ermöglicht und
Gelegenheit gegeben wird, sich zu verteidigen und
Anträge zu stellen. Die Tätigkeit des Unter-
suchungsrichters ist also im wesentlichen diejenige,
welche auch der Richter im gemeinrechtlichen In-
quisitionsprozeß hatte, nur daß der Untersuchungs-
richter nicht formell mit der endgültigen Entschei-
dung befaßt wird; in Inzidententscheidungen da-
gegen seine Unparteilichkeit zu bewähren, fehlt es
ihm nicht an Gelegenheit. In Bezug auf diese
Entscheidungen steht er vollständig frei; er ist
einerseits nicht als Abgeordneter des Gerichts auf-
zufassen, der unter des letzteren allgemeiner Leitung
und Aufsicht zu handeln habe, anderseits ist er
nicht einmal berechtigt, die Entscheidung des Ge-
richts über ihm zweifelhafte Fragen einzuholen
mit der Wirkung, daß diese Entscheidung an
Stelle seiner eignen hinausgeht. Nur gewisse
Gegenstände sind auch während des Laufs einer
Voruntersuchung der Beschlußfassung des Gerichts
vorbehalten; im übrigen kommt die letztere nur in
Frage auf Grund von Einzelbeschwerden gegen
Verfügungen des Untersuchungsrichters. — Auch
darin ähnelt die Voruntersuchung dem gemein-
rechtlichen Inquisitionsverfahren, daß sie nicht
öffentlich und schriftlich geführt wird.
Strafprozeß.
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Erachtet der Untersuchungsrichter den Zweck
der Voruntersuchung für erreicht, so schließt er
dieselbe, benachrichtigt dann den Angeschuldigten
und übersendet die Akten der Staatsanwaltschaft
zur Stellung ihrer Anträge.
2. Das Hauptverfahren. Auch nach
Schluß der Voruntersuchung muß die Staats-
anwaltschaft, wenn sie die Eröffnung des Haupt-
verfahrens beabsichtigt, ebenso wie in dem Fall,
daß eine Voruntersuchung nicht stattgefunden, eine
Anklageschrift einreichen. Es wird die Anklage-
schrift dem Angeschuldigten zur Erklärung zu-
gestellt, und darauf beschließt das Gericht — je
nachdem es schöffengerichtliche oder land= und
schwurgerichtliche oder reichsgerichtliche Sachen
sind, der Amtsrichter, eine Strafkammer des Land-
gerichts oder der erste Senat des Reichsgerichts —,
ob das Hauptverfahren zu eröffnen oder der An-
geschuldigte außer Verfolgung zu setzen sei, oder
ob das Verfahren vorläufig einzustellen sei, letz-
teres z. B. wegen eingetretener Geisteskrankheit
des Angeschuldigten. Für Schöffengerichtssachen
kommen unter gewissen Voraussetzungen Verein-
fachungen vor.
Wenn der Angeschuldigte „hinreichend ver-
dächtig“ erscheint, so beschließt das Gericht die
Eröffnung des Hauptverfahrens mittels eines for-
mellen Beschlusses, aus dem die dem Angeklagten
zur Last gelegte Tat unter Hervorhebung ihrer
gesetzlichen Merkmale und des anzuwendenden
Strafgesetzes hervorgehen und welcher das Gericht
bezeichnen muß, vor dem die Hauptverhandlung
stattfinden soll. Diesen Beschluß kann der An-
geklagte nicht anfechten; gegen den die Eröffnung
ablehnenden Beschluß kann die Staatsanwaltschaft
Beschwerde einlegen. Ist einmal die Eröffnung
des Hauptverfahrens durch einen nicht mehr an-
fechtbaren Beschluß abgelehnt, so kann die Klage
nur auf Grund neuer Tatsachen und Beweis-
mittel wieder ausgenommen werden.
Nunmehr ist die Hauptverhandlung vorzu-
bereiten. Der Vorsitzende des Gerichts setzt den
Termin dafür an, die Staatsanwaltschaft ladet
den Angeklagten und die Zeugen usw. und schafft
die sonstigen Beweismittel herbei. Auf etwaige
Anträge des Angeklagten ladet der Vorsitzende
weitere Zeugen usw. Lehnt der letztere solche An-
träge ab, so kann der Angeklagte selbständig Be-
weismittel herbeischaffen, wozu er auch ohnehin
berechtigt ist.
Die nun folgende Hauptverhandlung ist
der Hauptbestandteil nicht bloß des Hauptver-
fahrens, sondern des ganzen Strafprozesses;
alles, was bis dahin geschehen, ist nur Vorberei-
tung; in der Hauptverhandlung fällt die Ent-
scheidung. Die Einführung der Hauptverhand-
lung ist das Hauptergebnis der Reformen des
vorigen Jahrhunderts; sie bringt die Grundsätze
der Offentlichkeit, Mündlichkeit und Unmittelbar-
keit zur Durchführung. Sie ist nicht eine rekapi-
tulierende Schluß erhandlung, so daß sie in