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Verbindung mit den früheren schriftlichen
Verhandlungen die Unterlage der Entscheidung
bildete, sondern sie ist die alleinige Quelle
für die über Schuldig oder Nichtschuldig zu fäl-
lende Entscheidung.
Der Gang der Hauptverhandlung ist einfach.
Zunächst wird der Angeklagte vorgerufen, oder
wenn er verhaftet ist, vorgeführt. Sodann folgt
der Aufruf der Zeugen und Sachverständigen, von
denen die ersteren wieder abtreten, da sie vor Ab-
gabe ihres Zeugnisses nichts von der Verhandlung
erfahren sollen. Nunmehr findet die Vernehmung
des Angeklagten über seine persönlichen Verhält-
nisse statt, um zu konstatieren, daß man es mit
dem richtigen Angeklagten zu tun hat. Hierauf
wird der Eröffnungsbeschluß — nicht die An-
klageschrift — verlesen und der Angeklagte mit
seiner Erwiderung darauf gehört. Es folgt dann
die Beweisaufnahme in Gegenwart des Ange-
klagten; nur dann kann ein Zeuge in Abwesenheit
des Angeklagten vernommen werden, wenn zu be-
sorgen ist, daß er in dessen Gegenwart nicht die
Wahrheit sagen würde. Der Inhalt der Zeugen-
aussage ist aber jedesmal dem Angeklagten mit-
zuteilen. Die Zeugen und Sachverständigen sind
vor ihrer Vernehmung zu beeidigen. Ihre Aus-
sage kann nicht durch Verlesung eines Protokolls
über ihre etwaige frühere Vernehmung ersetzt wer-
den; das ist nur zulässig, wenn ein Zeuge usw.
verstorben ist oder sein Aufenthalt nicht ermittelt
werden kann, oder wenn seinem Erscheinen andere
nicht zu beseitigende Hindernisse entgegenstehen.
Auch in der Hauptverhandlung hat der Angeklagte
noch die Möglichkeit, neue Beweise erheben zu
lassen; ein dahingehender Antrag darf sogar nicht
aus dem Grunde abgelehnt werden, weil er zu
spät vorgebracht worden sei. Das der Staats-
anwaltschaft und der Verteidigung eingeräumte
Recht, selbst die Zeugen zu vernehmen (Kreuz-
verhör), ist ohne praktische Bedeutung, da auch
nach einem solchen der Vorsitzende das Recht hat,
weitere Fragen zu stellen. Nach jeder Vernehmung
ist der Angeklagte zu einer Erklärung über das
Gehörte aufzufordern. Nach dem Schluß der Be-
weisaufnahme erhalten der Staatsanwalt und der
Angeklagte (bzw. der Verteidiger) das Wort (event.
wiederholt) zu ihren Ausführungen; der Angeklagte
hat steis das letzte Wort. Dann zieht sich der
Gerichtshof zu geheimer Beratung zurück und ver-
kündet nach Wiedereintritt, wenn er nicht wegen
veränderter Sachlage behufs anderweiter Vor-
bereitung der Verhandlung zur Aussetzung der
Hauptverhandlung gekommen ist, das Urkeil. Über
die Hauptverhandlung ist ein Protokoll aufzuneh-
men, das von dem Vorsitzenden und dem Gerichts-
schreiber zu unterschreiben und so wesentlich ist,
daß die Beobachtung der für die Hauptverhand-
lung vorgeschriebenen Förmlichkeiten nur durch
es selbst bewiesen werden kann.
Das Urteil kann nur auf Freisprechung, Ver-
urteilung oder Einstellung des Verfahrens lauten
Strafprozeß.
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und wird, wie bereits erwähnt, getragen von der
freien, aus dem Inhalt der Verhandlung ge-
schöpften Uberzeugung der Mehrheit der Richter,
die eine Zweidrittelmehrheit sein muß, wenn sie
die Schuldfrage zu ungunsten des Angeklagten
bejahen will. Gegenstand der Urteilsfindung wie
der ganzen Verhandlung ist die in der Anklage
bezeichnete Tat, wie sie sich nach den Ergebnissen
der Verhandlung darstellt; eine andere Tat kann
nur mit Zustimmung des Angeklagten zum Gegen-
stand der Aburteilung gemacht werden, und auch
nur, wenn sie kein Verbrechen darstellt. An eine
frühere rechtliche Beurteilung der Tat, wie sie sich
in dem Eröffnungsbeschluß zu erkennen gibt, ist
das Gericht nicht gebunden; es hat indessen, wenn
es davon abgehen will, den Angeklagten auf den
veränderten rechtlichen Gesichtspunkt aufmerksam
zu machen, damit er seine Verteidigung danach
einrichten kann. Die Verkündung des Urteils er-
folgt durch Verlesung der schriftlich abzufassenden
Urteilsformel. Gleichzeitig sind die wesentlichen
Gründe zu eröffnen. Setzt das Gericht die Publi-
kation aus, wozu es, außer bei Schwurgerichts-
sachen, berechtigt ist, und zwar auf höchstens eine
Woche, so müssen auch die Gründe bereits schrift-
lich festgestellt sein. — Spricht das Urteil frei, so-
ist die Freisprechung eine definitive; eine einmal
durch rechtskräftige Freisprechung erledigte Straf-
klage kann gegen den Freigesprochenen nicht mehr
erneuert werden, auch nicht auf Grund neuer Tat-
sachen (ne bis in idem). Die Urteilsgründe
müssen ergeben, ob der Angeklagte für nicht der
Tat überführt oder ob und aus welchen Gründen
die erwiesene Tat für nicht strafbar erachtet wor-
den ist. Bei einer Verurteilung dagegen müssen
die Urteilsgründe über die für erwiesen erachteten
Tatsachen und deren rechtliche Würdigung sowie
über etwa hervorgetretene Umstände Aufschluß
geben, welche die Strafbarkeit ausschließen, ver-
mindern oder erhöhen. Die Einstellung des Ver-
fahrens ist im Urteil auszusprechen, wenn sich er-
gibt, daß der erforderliche Strafantrag nicht vor-
liegt oder rechtzeitig zurückgenommen ist.
Die Hauptverhandlung vor den
Schwurgerichten bietet Besonderheiten;
ihretwegen ist auf den Spezialartikel zu ver-
weisen.
Wegen der Hauptverhandlung gegen Ab-
wesende vgl. oben B. 2. Hier ist nur noch zu
erwähnen, daß gegen Abwesende, welche sich der
Wehrpflicht entzogen haben, eine Verurteilung
statthaben kann, für welche die Erklärung der
Kontrollbehörde die Grundlage bildet.
3. Besondere Arten des Verfahrens.
Wie bereits oben bemerkt, kann bei Beleidigungen
und Körperverletzungen, soweit diese Delikte nur
auf Antrag zu bestrasen sind, der Verletzte unter
Umgehung der Staatsanwaltschaft (prinzipale)
Privatklage anstellen. Der Zulassung der
Klage hat jedoch ein Sühneversuch vor der dazu
eingesetzten Vergleichsbehörde (in Preußen Schieds-