Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

307 Strafprozeß. 308 
mungen gegeben, welche das hier mehr hervor= ten nicht zu einer Einigung; ebensowenig die 
tretende Parteiverhältnis beider Gegner im Sinn Plenarberatung. Ein gleiches Schicksal hatten die 
des Zivilprozesses zum Ausgangspunkt haben. Vorlagen des Bundesrats aus der Session 1895 
IV. Reformbestrebungen. Schon bald nach= bis 1896, und desgleichen Gesetzentwürfe, welche 
dem die Strafprozeßordnung vom 1. Febr. 1877 von Mitgliedern des Reichstags auf der Grund- 
in Kraft getreten war, erfuhr sie vielfach eine un- lage der Kommissionsbeschlüsse eingebracht wur- 
günstige Kritik; sie wird gemeinhin als dasjenige den. Zum Teil kamen sie nicht einmal zur Be- 
unter den großen Justizgesetzen ihrer Zeit be= ratung im Plenum. Im Frühjahr 1903 schlug 
zeichnet, welches am wenigsten befriedigte. Nicht der Bundesrat einen neuen Weg ein, um die not- 
wenige ihrer Bestimmungen wurden sowohl von wendige Revision unseres Strafprozesses vorzu- 
Fachmännern als auch von Laien lebhaft an= bereiten, indem er eine Kommission von Theo- 
gefochten. Sehr bald, schon 1884/85, trat daher retikern und Praktikern, darunter auch Mitglieder 
der Bundesrat mit Abänderungs= und Ergän= mehrerer Fraktionen des Reichstags, einsetzte und 
zungsvorschlägen an den Reichstag heran, und aus ihr bestimmte Fragen zur Begutachtung vorlegte. 
der Mitte des letzteren wurden desgleichen Vor= Die Fragen bezogen sich auf alle Gebiete des 
schläge gemacht, aber ohne Erfolg. In der Session Strafprozesses und berührten alle Einzelheiten, 
des Reichstags 1894/95 brachte der Reichskanzler soweit sie auch nur einigermaßen Bedeutung haben 
wieder eine neue Vorlage ein, welche eine um- konnten. Insbesondere erstreckten sie sich auch auf 
fassendere Revision der Strasprozeßordnung und Gebiete, welche weder in den früheren Vorlagen 
der davon berührten Vorschriften des Gerichts= noch in den Kommissionsbeschlüssen des Reichstags 
verfassungsgesetzes verfolgte. Unter den Abände= in den Bereich der Abänderungen einbezogen 
rungsvorschlägen des Bundesrats waren folgende waren. Dahin gehörte insbesondere auch die Frage, 
vier von hervorragender Wichtigkeit: die Einfüh= ob die Schwurgerichte abzuschaffen und ob drei 
rung der Berufung auch gegen die Urteile der Klassen von Schöffengerichten, und zwar kleine bei 
Strafkammern, Wegfall mehrerer als Ersatz für den Amtsgerichten, mittlere an Stelle der Straf- 
die mangelnde Berufung eingeführten Garantien kammern und große an Stelle der Schwurgerichte 
in erster Instanz (z. B. Besetzung der erkennenden einzuführen seien. Die Kommission beendete ihre 
Strafkammern mit fünf Richtern), die Einschrän= Arbeiten am 1. April 1905. Sie befürwortete 
kung des jetzigen Wiederaufnahmeverfahrens gegen= in erster Linie eine völlige Umgestaltung der Ge- 
über rechtskräftig Verurteilten und die Entschä= richtsorganisation, und zwar in dem eben erwähnten 
digung solcher Personen, welche in diesem Wieder= Sinn der Einführung kleiner, mittlerer und großer 
aufnahmeverfahren freigesprochen sind, nachdem Schöffengerichte unter Beseitigung der Schwur- 
sie vorher rechtskräftig verurteilt worden waren. gerichte sowie die Berufung gegen alle Urteile 
Die Fragen hängen eng zusammen. Nach Mei= dieser Gerichte an gleichfalls mit Schöffen zu be- 
nung des Bundesrats war eine befriedigende setzende Berufungsgerichte. Im übrigen erachtete 
Reglung der Entschädigung unschuldig Verurteilter die Kommission, was das Strafverfahren betrifft, 
nicht möglich ohne Einschränkung des Wiederauf= nicht eine völlige Neuordnung, sondern nur eine 
nahmeverfahrens, an letztere wiederum konnte nicht Verbesserung der bestehenden Einrichtungen unter 
gedacht werden ohne Einführung der Berufung, Aufrechterhaltung ihrer wesentlichen Grundlagen 
und diese endlich erschien nicht annehmbar ohne für angezeigt. Trotzdem waren die Reformvor- 
zum Ausgleich der dadurch für die Gerichte und 1 schläge auch auf dem Gebiet des Prozesses sehr 
den Prozeß erwachsenden Neubelastungen eine zahlreich und von tiefgreifender Bedeutung. So 
Vereinfachung anderer prozessualischer Formen empfahl sie namentlich die grundsätzliche Zulassung 
vorzunehmen. Andere Fragen, ebenfalls von er- der Parteiöffentlichkeit (s. ob. Sp. 171, 177) für die 
heblichster Bedeutung, betrafen die Ausdehnung Voruntersuchung und eine wesentliche Vermehrung 
des Kontumazialverfahrens, die Beeidigung der der dem Angeschuldigten und der Verteidigung zu- 
Zeugen, die Abkürzung des Verfahrens für ge= stehenden Rechte, auch behufs Vereinfachung des 
wisse, eine schleunige Behandlung erheischende Hauptverfahrens eine Umgestaltung des sog. Zwi- 
Straftaten, Veränderungen in der sachlichen Zu= schenverfahrens und, um dem Angeschuldigten eine 
ständigkeit der Gerichte und endlich veränderte bessere Vorbereitung für die Hauptverhandlung zu 
Reglung der Geschäftsverteilung und Geschäfts- ermöglichen, die Einschiebung eines Vortermins, 
behandlung bei den Kollegialgerichten. Immerhin sowie endlich in einigen Punkten eine Durch- 
trugen die Entwürfe zu den Abänderungsgesetzen brechung des Legalitälsprinzips (s. oben Sp. 170). 
einen novellenartigen Charakter. Die Meinungs= Die weiteren Vorschläge bewegten sich im wesent- 
verschiedenheit innerhalb des Reichstags und dieses lichen in der Richtung der früheren bereits er- 
mit dem Bundesrat betraf aber nicht bloß die eben wähnten Resormbestrebungen. — Unter Berück- 
erwähnten und sonst in den Entwürfen berührten sichtigung dieser Vorgänge und der daran sich 
Fragen, sondern auch die weitergehende radikale anschließenden überreichen Kritik ist dem Reichstag 
Neuschaffung einer Strasprozeßordnung, ohne daß im Jahr 1009 der Entwurf zu einer Novelle zum 
es diesbezüglich gerade zu einem Antrag gekommen Gerichtsverfassungsgesetz und zu einer vollständigen 
wäre. Langwierige Kommissionsberatungen führ= Strafprozeßordnung vorgelegt worden. Die Haupt- 
  
  
 
	        
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