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mers Archiv für Strafrecht u. S. (Berlin, Decker),
letzteres u. a. auch (Bd XXI) die amtliche Denk-
schrift über Schöffengerichte, die Zeitschrift für die
gesamte Strafrechtswissenschaft u. a. — Protokolle
der Kommission für die Reform des S.s, hrsg.
vom Reichsjustizamt (1905); Reform des S.es,
krit. Besprechungen der von der Kommission ge-
machten Vorschläge, hrsg. von Aschrott (1906).
Drucksachen des Reichstags 12. Leg.-Per., II. Ses-
sion 1909/10, Nr 7. [Wellstein.]
Strafrecht. (I. Allgemeines. Geschichtliches;
römisches, germanisches, kanonisches, gemeines, par-
tikuläres Strafrecht. II. Das geltende deutsche
Reichsstrafrecht. 1. Allgemeines über Entstehung,
Charakter und Inhalt des Reichsstrafgesetzbuchs
(Str. G.B.)z sachliches, zeitliches, räumliches und
persönliches Geltungsgebiet der Strafrechtssätze des
Str.G. B.s. 2. Die Grundprinzipien des Str. G. B.3.
III. Strafrechtsreformen.]
I. Allgemeines. Geschichtliches; römisches,
germanisches, kanonisches, gemeines,
partikuläres Strafrecht. 1. Begriff,
Wesen und Einteilung des Strafrechts ist in
dem Artikel Strafe und Strafrechtstheorien im
allgemeinen erörtert. Ergänzend ist in dieser
Beziehung hier nur zu bemerken, daß wir es
an dieser Stelle mit dem objektiven materiellen
staatlichen Strafrecht zu tun haben, während das
formelle Strafrecht in dem Artikel Strafprozeß
behandelt ist. Aus der Besprechung des materiellen
Strafrechts ist jedoch noch auszuschalten dasjenige
Strafrecht, welches den äußern und innern for-
malen Gang der staatlichen Geschäfte aufrecht
erhalten und sicherstellen soll (das Ordnungs-,
Disziplinar-, Exekutivstrafrecht) und endlich auch
dasjenige, welches nur bestimmte, abgesonderte
Verhältnisse oder Ausnahmezustände zum Gegen-
stand hat (z. B. das Militärstrafrecht, das Stand-
rechl). Es soll demnach nur das allgemeine krimi-
nelle materielle Strafrecht erörtert werden, d. h.
also der Inbegriff der Normen, welche die mit
Strafandrohung verbundenen Verbote und Ge-
bote aufstellen, deren Verletzung einen Verstoß
gegen die gemeine staatliche Rechtsordnung ent-
hält. Nur möge hier bemerkt sein, daß die später
zu erörternden allgemeinen Grundprinzipien des
geltenden deutschen Strafrechts auch auf die er-
wähnten ausgesonderten Materien Anwendung
finden (vgl. unten II. 1.).
Das objektive materielle slaatliche Strafrecht
bildet die Zwangeregel, an die sich das subjektive
stoatliche Strafrecht zu halten hat. Erst durch eine
solche rechtliche Begrenzung wird letzteres zum
Recht; ohne sie würde die Ausübung der Straf-
gewalt willkürlich sein. Die Normen des mate-
riellen Strafrechts bezeichnen die Handlungen bzw.
Unterlassungen, welche als Verletzungen der Rechts-
ordnung betrachtet werden, mithin „rechtswidrig“
sind — „Verbrechen“ im weitesten Sinn des
Worts — und die Strafe, d. h. das Ubel, welches
dem Täter angedroht wird. „Verbrechen und
Strafe sind demnach die beiden Grundbegriffe des
Strafrecht.
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Strafrechts“. Die Beantwortung der Frage,
welche Handlungen der Staat als Verbrechen in
diesem allgemeinsten Sinn auffassen und mit Strafe
bedrohen soll, gehört nicht in das Gebiet des hier
zu erörternden positiven Strafrechts, sondern in
das der Kriminalpolitik (vgl. d. Art. Strafe und
Strafrechtstheorien). Nur das sei bemerkt, daß
es für den Charakter des Strafrechts prinzipiell
ohne Bedeutung ist, ob sich die für rechtswidrig
und unter Strafe gestellte Handlung gegen den
Staat als solchen, namentlich seine Organisation,
richtet oder gegen private Rechtsgüter eines ein-
zelnen, die bereits durch die private Rechtsordnung,
das bürgerliche Recht, Anerkennung und Schutz
erfahren; denn das Wesen des Strafrechts ist
nicht in der Art der geschützten Rechtsgüter oder
Interessen zu finden, sondern in der Eigenart des
Schutzes, den es durch die Strafe gewährt. Dieser
Schutz tritt zu jenem andern Schutz ergänzend
hinzu, wird aber — und dies bedeutet eine zweite
charakteristische Eigenart des Strafrechts — auch
in Ansehung der privaten Rechtsgüter nicht um
derentwillen, sondern um der Rechtsordnung als
solcher willen, also im öffentlichen Interesse, aus-
geübt. Danach ist das Strafrecht ergänzender,
sekundärer Natur und ein Zweig des öffentlichen
Rechts. Das Strafrecht bedroht zwar das Ver-
brechen mit Strafe und stellt sich somit als ein
Mittel zur Bekämpfung des Verbrechens dar; aber
es ist nicht das einzige Mittel. Das Strafrecht
ist nur dasjenige Mittel, welches seinen Zweck
mittels der Strafe erreichen will und soll. Es
muß sich demnach darüber klar sein, wie es seinen
Zweck am geeignetsten erreicht, mit andern Worten
wie es am zweckmäßigsten die Strafen (das
Strafensystem) einrichtet, welche Strafen und in
welcher Höhe es die Strafen für die verschiedenen
Verbrechen androht und welche Fingerzeige es
gibt für die Ausmessung der Strafe in den ein-
zelnen Fällen. Auch die Beantwortung dieser
Frage fällt in das Gebiet der Kriminalpolitik.
2. Es ist eine allgemeine, so weit rechtsgeschicht-
liche Forschung reicht, bei allen Völkern im großen
und ganzen wiederkehrende Erscheinung, daß zu-
nächst nur solche Handlungen unter staatliche
öffentliche Strafe gestellt werden, die das staat-
liche Gemeinwesen als solches zu gefährden ge-
eignet sind. Nur vereinzelt werden daneben in
den Anfängen staatlichen Lebens auch andere
Handlungen als von Staats wegen strafbare Ubel-
taten betrachtet; geschieht es, so sind es meist
solche Handlungen, welche sich gegen die Grund-
lage jedes Staatswesens, die Familie und die
mit ihr zusammenhängenden Verhältnisse, oder
gegen Einrichtungen, welche mit der Religion im
Zusammenhang stehen, wenden und darum sich
als Beleidigung der Gottheit darstellen. Insoweit
hat das Strafrecht überall anfänglich durchweg
sakralen Charakter. Die Abwehr von Angriffen
auf persönliche Lebensinteressen der einzelnen ist
regelmäßig den davon Betroffenen selbst über-