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zur Zeit seines Erlasses bestehende Reichs- und
Landesstrafrecht insoweit außer Kraft, als das-
selbe Materien betrifft, welche Gegenstand des
Strafgesetzbuchs sind. Insoweit dürfen auch
neuere Landesgesetze keinerlei Bestimmungen treffen.
Im übrigen bleibt das Landesstrafrecht ergänzend
in Kraft, namentlich soweit es sich um strafbare
Verletzungen der Preßpolizei-, Steuer-, Zoll-,
Fischerei-, Jagd-, Forst= und Feldpolizeigesetze,
über Mißbrauch des Vereins= und Versammlungs-
rechts und über den Holzdiebstahl handelt. Auf
Grund dieser Bestimmungen hat sich eine sehr
umfangreiche Strafgesetzgebung über diese Ma-
terien entwickelt. Dazu treten zahlreiche Straf-
bestimmungen in Reichs= und Landesgesetzen, die
an sich nicht strafrechtliche Materien betreffen, die
aber Strafbestimmungen aufgenommen haben zum
Schutz der von ihnen geregelten Interessen, wie
z. B. die Gewerbeordnung, das Patentgesetz, das
Postgesetz, das Börsengesetz. Auch das Wein-
gesetz, die Seuchengesetze, die Gesetze zum Schutz
des geistigen Eigentums u. a. m. sind hierher zu
zählen. So führen neuere Privatsammlungen in
12 Abteilungen 113 Reichsgesetze und in 5 Ab-
teilungen 107 preußische Gesetze strafrechtlichen
Inhalts der genannten Art auf. In betreff der
Reichsgesetze gilt nichts Besonderes, aber die Lan-
desgesetzgebung ist in betreff der Gesetze dieser Art
in der Richtung eingeengt, daß sie keine andere
Strafart, als eine der vom Strafgesetzbuch zu-
gelassenen Arten und Gefängnis nur bis zum
Höchstbetrag von zwei Jahren, Haft, Geldstrafe,
Einziehung einzelner Gegenstände und die Ent-
ziehung öffentlicher Amter androhen darf.
Was das zeitliche Geltungsgebiet anlangt, so
stellen das Strafgesetzbuch und die übrigen Straf-
rechtssätze sich als die rechtliche Begrenzung der
staatlichen Strafgewalt dar, indem das Straf-
gesetzbuch den gegen Willkür schützenden Grund-
satz aufstellt, daß eine Handlung nur dann mit
Strafe belegt werden kann, wenn diese Strafe ge-
setzlich bereits bestimmt war, bevor die Handlung
begangen wurde. Die Strafgesetze finden also
keine Anwendung auf die vor oder nach ihrer
Geltung begangenen Handlungen. Und nur in-
sofern erleidet diese Vorschrift eine gewisse „juri-
stisch nicht zu begründende, aber dennoch zu bil-
ligende“ Ausnahme, als bei Verschiedenheit der
Gesetze von der Zeit der begangenen Handlung
bis zu deren Aburteilung das mildeste Gesetz an-
zuwenden ist.
In betreff des räumlichen Gellungsgebiets er-
scheint es selbstverständlich, daß die Strafgesetze
des Deutschen Reichs auf alle in den Gebieten des-
selben, der deutschen Schutzgebiete und der Kon-
sulargerichtsbezirke (hier soweit es sich um Reichs-
angehörige und Schutzgenossen handelt) begange-
nen Handlungen Anwendung finden. Der Grund-
satz ist aber nicht ohne Ausnahme gelassen, nament-
lich infolge Einwirkung völkerrechtlicher Prinzipien.
Strafrecht.
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Ausländer wegen der von ihm im Ausland be-
gangenen Verbrechen nach inländischem Recht ver-
folgt werden kann.
Persönlich sind dem Strafrecht unterworfen alle
innerhalb des räumlichen Geltungsgebiets sich auf-
haltenden Personen, mit der Maßgabe, daß auch
hier völkerrechtliche Grundsätze Ausnahmen zu-
gunsten fremder Souveräne, ihrer Angehörigen,
der Gesandtschaften u. a. aufstellen. Aus staats-
rechtlichen Gründen sind von der Herrschaft der
Strafgesetze befreit das Staatsoberhaupt ganz all-
gemein und die Mitglieder der gesetzgebenden Ver-
sammlungen wegen ihrer in Ausübung dieses ihres
Berufs getanen Außerungen.
2. Die Grundprinzipien des Straf-
rechts. a) Allgemeines; b) die Tatbestands-
merkmale des Verbrechens, Handlung, Schuld,
Rechtswidrigkeit, Strafbarkeit, Vollendung und
Versuch, Teilnahme, Verbrechensmehrheit; c) die
Strafe, das Strafensystem, Wegfall der Strafe.
a) Da die Begehung eines Verbrechens die
Voraussetzung für den Eintritt der Strafe ist, so
bildet die Feststellung dessen, was unter Ver-
brechen zu verstehen ist, den Mittelpunkt des Straf-
rechts. Hierbei muß unterschieden werden zwischen
denjenigen allgemeinen Begriffsmerkmalen, welche
bei jeder Handlung zutreffen müssen, um sie zu
einem Verbrechen zu stempeln, den „Tatbestand“
in abstracto ausmachen, und denjenigen beson-
dern, welche das eine Verbrechen von dem andern
unterscheiden (z. B. Diebstahl, Betrug), also den
Tatbestand in concreto ausmachen. Unser
Strafrecht gibt keine Definition des Verbrechens
in jenem abstrakten Sinn, macht sich vielmehr das
französische System zu eigen und nimmt eine
Dreiteilung der verbrecherischen Übeltaten vor
nach Maßgabe der angedrohten Strafe, und zwar
zu dem mit dem materiellen Strafrecht gar nicht
zusammenhängenden Zweck, danach die Zuständig-
keit der Gerichte zu bestimmen (vgl. d. Art. Straf-
prozeß). Nach dem Strafgesetzbuch ist eine mit dem
Tod, mit Zuchthaus oder mit Festungshaft von
mehr als fünf Jahren bedrohte Handlung ein Ver-
brechen (i. e. S.), eine mit Festungshaft bis zu
fünf Jahren, mit Gefängnis oder mit Geldstrafe
von mehr als 150 M bedrohte Handlung ein Ver-
gehen, eine mit Haft oder mit Geldstrafe bis zu
150 M bedrohte Handlung eine Übertretung. In-
dessen lassen sich aus den allgemeinen Bestim-
mungen des Ersten Teils des Strafgesetzbuchs die
Tatbestandsmerkmale des Verbrechens (i. w. S.)
konstruieren. Danach ist für den Begriff eines
Verbrechens erforderlich, daß eine rechtswidrige
schuldhafte Handlung vorliegt, die vom Strafrecht
im besondern mit Strafe bedroht ist. Wenn also
eines dieser vier Tatbestandsmerkmale fehlt, so liegt
kein Verbrechen vor; fehlt insbesondere die Straf-
androhung, so liegt zwar eine unerlaubte Hand-
lung, aber nur ein privatrechtliches Unrecht vor.
D) Als erstes Tatbestandsmerkmal des Ver-
Anderseits ist es nicht ausgeschlossen, daß sogar der brechens wird eine Handlung verlangt, d. h.