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Tatbestandsmerkmale eines Verbrechens aufweist,
wird zu einem strafrechtlich zu ahndenden Ver-
brechen in der Regel erst dann, wenn sie, wie oben
schon angedentet, aus dem Willen des Handelnden
hervorgegangen ist. Diese „Vorsätzlichkeit“,
die Handlung zu begehen, wird mit dem Ausdruck
dolus bezeichnet. Waltet diese Vorsätzlichkeit ob,
so ist es einerlei, ob der Handelnde Kenntnis von
dem bestehenden Strafgesetz hatte oder nicht. Auf
die Motive des Handelnden und den Zweck, den
er verfolgte, kommt es ebensowenig an; sie können
indessen bei Ausmessung der Strafe erheblich ins
Gewicht fallen. Der Täter ist jedoch nur strafbar,
wenn er sämtliche Tatbestandsmerkmale kannte;
ein Irrtum in dieser Nichtung ist für die Straf-
barkeit der Handlung von höchster Bedeutung.
Gehört zum Tatbestand einer Straftat, daß ein
bestimmtes Objekt getroffen wird, so muß auch
das Bewußtsein vorhanden sein, daß dieses Objekt
getroffen werden könne; ist der Täter im letzteren
Fall mit diesem Erfolg einverstanden, so liegt
dolus eventualis vor. Gewisse Verbrechen können
nur dolos begangen werden. Andere werden nach
unserem Strafrecht aber auch dann bestraft, wenn
nur culpa, Fahrlässigkeit, vorliegt. Dies ist der
Fall, wenn infolge eines Irrtums, welcher bei ge-
wöhnlicher Aufmerksamkeit hätte vermieden werden
können, ein nicht beabsichtigter verletzender Erfolg
verursacht worden ist; sie wird zur Frevelhaftig-
keit, wenn das Bewußtsein der Möglichkeit des
verletzenden Erfolgs obwaltet.
Die Rechtswidrigkeit einer Handlung im
positiv-strafrechtlichen Sinn besteht darin, daß sie
vom Gesetz mit Strafe bedroht ist. Es lassen sich
jedoch unzählige Umstände denken, unter denen
es durchaus verfehlt wäre, eine an sich verbotene
Handlung zu den rechtswidrigen oder wenigstens
zu den strafbaren zu zählen. Das erstere ist vor
allem dann der Fall, wenn eine an sich verbotene
Handlungdurchgewisseöffentlich-rechtliche Pflichten
(3. B. der Vollstreckungsbeamten usw.) oder durch
das Zivilrecht erlaubt bzw. geboten ist. Insoweit
das Strafrecht auch die privaten Rechtsgüter der
einzelnen zu schützen berufen ist (vgl. oben 1), kann
es zweifelhaft sein, wie weit in dieser Beziehung
der Staat mit Strafandrohungen gehen soll.
Wenn der Inhaber des Rechtsguts selbst dieses
preisgeben will, oder wenn er einwilligt, daß sein
Rechtsgut verletzt werde, so dürfte der Staat in
der Regel keine Veranlassung haben, einer unter
solcher „Einwilligung des Verletzten“ stattfinden-
den Handlung mit einer Stafandrohung entgegen-
zutreten. Selbstmord, Selbstbeschädigung usw. sind
daher straflos; die Konsequenz würde dazu führen,
für die entsprechenden Handlungen an einem an-
dern, wenn sie mit dessen Einwilligung geschehen,
ebenfalls die Strafbarkeit auszuschließen. Allein
manche Rechtsgüter sind so wertvoll im allgemeinen
oder besondern, daß auf sie im öffentlichen Inter-
esse nicht verzichtet werden kann und die gedachte
Konsequenz vom Strafrecht daher nicht gezogen
Staatslexikon. V. 3. u. 4. Aufl.
Strafrecht.
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wird (z. B. wird die Selbstverstümmelung, wenn
sie zum Zweck geschieht, sich der Militärpflicht zu
entziehen, bestraft, ebenso die Tötung eines andern
auf dessen Verlangen). Bei andern privaten Rechts-
gütern macht der Staat die Strafverfolgung von
einem Antrag des Verletzten abhängig (z. B. Ver-
letzungen des Hausfriedens, der Ehre, bei leichten
Körperverletzungen).
Aber noch aus andern Gründen wird von
unserem Recht die Rechtswidrigkeit einer Hand-
lung nicht angenommen, die objektiv eine Rechts-
güterverletzung enthält, und zwar in den drei
Fällen: wenn die Handlung durch unwiderstehliche
Gewalt oder ihr gleich zu achtende Drohung ver-
ursacht, durch Notwehr, d. h. die Verteidigung
gegen einen gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff,
geboten gewesen oder in einem unverschuldeten,
auf andere Weise nicht zu beseitigenden Notstand
zur Rettung aus einer gegenwärtigen Gefahr be-
gangen worden ist.
Wenn oben gesagt ist, daß zur Handlung ein
gewisser äußerer Erfolg hinzutreten müsse, so ist
dies näher dahin zu verstehen, daß eine äußerlich
wahrnehmbare Verwirklichung eingetreten sein
müsse. Nicht notwendig jedoch ist es, daß die ver-
brecherische Absicht auch vollkommen verwirklicht
worden ist. Neben dem „vollendeten“ Verbrechen
bedroht unser Strafrecht auch die teilweise Verwirk-
lichung der verbrecherischen Absicht, den Ver such,
mit Strafe. Die Unterscheidung zwischen Voll-
endung und Versuch ist insofern von Bedeutung,
als der Versuch weit milder als das vollendete
Verbrechen bestraft, ja sogar unter Umständen
(beim freiwilligen Rücktritt, Verhinderung des
Erfolgs) für straflos erklärt wird. Selbst bei Voll-
endung läßt das Strafgesetzbuch in vier Fällen
noch die tätige Reue als Strafermäßigungs= oder
Strafausschließungsgrund gelten. Als Versuch
bestraft unser Strafrecht nur die Betätigung des
Entschlusses, ein Verbrechen oder Vergehen zu
verüben mittels Handlungen, welche einen Anfang
der Ausführung dieses Verbrechens oder Vergehens
enthalten. Daraus ergibt sich, daß sog. Vor-
bereitungshandlungen, wie die Herbeischaffung
und Zubereitung der zur Ausführung erforder-
lichen Mittel, straflos sind. Das gilt indessen für
gewisse Ausnahmen (Hochverrat, Münzverbrechen,
Sprengstoffverbrechen) nicht. Die Lehre vom Ver-
such ist infolge der Dürftigkeit der positiven Be-
stimmungen der Sitz einer Anzahl von Streit-
fragen, unter denen die schwerwiegendste die ist,
inwieweit mit einem untauglichen Mittel bzw.
an einem untauglichen Objekt ein strafbarer Ver-
such statthaben könne (z. B. Versuch der Vergiftung
einer Puppe, die für einen Menschen angesehen
wird, mittels Zuckers, den der Täter für Arsenik
hält). Diese Frage wird vom Reichsgericht be-
jahend beantwortet, von der Doktrin überwiegend
verneint. Als besondere Unterart des Versuchs
sieht das Strafgesetzbuch bei politischen Verbrechen
das sog. „Unternehmen“ an.
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