Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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Tatbestandsmerkmale eines Verbrechens aufweist, 
wird zu einem strafrechtlich zu ahndenden Ver- 
brechen in der Regel erst dann, wenn sie, wie oben 
schon angedentet, aus dem Willen des Handelnden 
hervorgegangen ist. Diese „Vorsätzlichkeit“, 
die Handlung zu begehen, wird mit dem Ausdruck 
dolus bezeichnet. Waltet diese Vorsätzlichkeit ob, 
so ist es einerlei, ob der Handelnde Kenntnis von 
dem bestehenden Strafgesetz hatte oder nicht. Auf 
die Motive des Handelnden und den Zweck, den 
er verfolgte, kommt es ebensowenig an; sie können 
indessen bei Ausmessung der Strafe erheblich ins 
Gewicht fallen. Der Täter ist jedoch nur strafbar, 
wenn er sämtliche Tatbestandsmerkmale kannte; 
ein Irrtum in dieser Nichtung ist für die Straf- 
barkeit der Handlung von höchster Bedeutung. 
Gehört zum Tatbestand einer Straftat, daß ein 
bestimmtes Objekt getroffen wird, so muß auch 
das Bewußtsein vorhanden sein, daß dieses Objekt 
getroffen werden könne; ist der Täter im letzteren 
Fall mit diesem Erfolg einverstanden, so liegt 
dolus eventualis vor. Gewisse Verbrechen können 
nur dolos begangen werden. Andere werden nach 
unserem Strafrecht aber auch dann bestraft, wenn 
nur culpa, Fahrlässigkeit, vorliegt. Dies ist der 
Fall, wenn infolge eines Irrtums, welcher bei ge- 
wöhnlicher Aufmerksamkeit hätte vermieden werden 
können, ein nicht beabsichtigter verletzender Erfolg 
verursacht worden ist; sie wird zur Frevelhaftig- 
keit, wenn das Bewußtsein der Möglichkeit des 
verletzenden Erfolgs obwaltet. 
Die Rechtswidrigkeit einer Handlung im 
positiv-strafrechtlichen Sinn besteht darin, daß sie 
vom Gesetz mit Strafe bedroht ist. Es lassen sich 
jedoch unzählige Umstände denken, unter denen 
es durchaus verfehlt wäre, eine an sich verbotene 
Handlung zu den rechtswidrigen oder wenigstens 
zu den strafbaren zu zählen. Das erstere ist vor 
allem dann der Fall, wenn eine an sich verbotene 
Handlungdurchgewisseöffentlich-rechtliche Pflichten 
(3. B. der Vollstreckungsbeamten usw.) oder durch 
das Zivilrecht erlaubt bzw. geboten ist. Insoweit 
das Strafrecht auch die privaten Rechtsgüter der 
einzelnen zu schützen berufen ist (vgl. oben 1), kann 
es zweifelhaft sein, wie weit in dieser Beziehung 
der Staat mit Strafandrohungen gehen soll. 
Wenn der Inhaber des Rechtsguts selbst dieses 
preisgeben will, oder wenn er einwilligt, daß sein 
Rechtsgut verletzt werde, so dürfte der Staat in 
der Regel keine Veranlassung haben, einer unter 
solcher „Einwilligung des Verletzten“ stattfinden- 
den Handlung mit einer Stafandrohung entgegen- 
zutreten. Selbstmord, Selbstbeschädigung usw. sind 
daher straflos; die Konsequenz würde dazu führen, 
für die entsprechenden Handlungen an einem an- 
dern, wenn sie mit dessen Einwilligung geschehen, 
ebenfalls die Strafbarkeit auszuschließen. Allein 
manche Rechtsgüter sind so wertvoll im allgemeinen 
oder besondern, daß auf sie im öffentlichen Inter- 
esse nicht verzichtet werden kann und die gedachte 
Konsequenz vom Strafrecht daher nicht gezogen 
Staatslexikon. V. 3. u. 4. Aufl. 
Strafrecht. 
  
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wird (z. B. wird die Selbstverstümmelung, wenn 
sie zum Zweck geschieht, sich der Militärpflicht zu 
entziehen, bestraft, ebenso die Tötung eines andern 
auf dessen Verlangen). Bei andern privaten Rechts- 
gütern macht der Staat die Strafverfolgung von 
einem Antrag des Verletzten abhängig (z. B. Ver- 
letzungen des Hausfriedens, der Ehre, bei leichten 
Körperverletzungen). 
Aber noch aus andern Gründen wird von 
unserem Recht die Rechtswidrigkeit einer Hand- 
lung nicht angenommen, die objektiv eine Rechts- 
güterverletzung enthält, und zwar in den drei 
Fällen: wenn die Handlung durch unwiderstehliche 
Gewalt oder ihr gleich zu achtende Drohung ver- 
ursacht, durch Notwehr, d. h. die Verteidigung 
gegen einen gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff, 
geboten gewesen oder in einem unverschuldeten, 
auf andere Weise nicht zu beseitigenden Notstand 
zur Rettung aus einer gegenwärtigen Gefahr be- 
gangen worden ist. 
Wenn oben gesagt ist, daß zur Handlung ein 
gewisser äußerer Erfolg hinzutreten müsse, so ist 
dies näher dahin zu verstehen, daß eine äußerlich 
wahrnehmbare Verwirklichung eingetreten sein 
müsse. Nicht notwendig jedoch ist es, daß die ver- 
brecherische Absicht auch vollkommen verwirklicht 
worden ist. Neben dem „vollendeten“ Verbrechen 
bedroht unser Strafrecht auch die teilweise Verwirk- 
lichung der verbrecherischen Absicht, den Ver such, 
mit Strafe. Die Unterscheidung zwischen Voll- 
endung und Versuch ist insofern von Bedeutung, 
als der Versuch weit milder als das vollendete 
Verbrechen bestraft, ja sogar unter Umständen 
(beim freiwilligen Rücktritt, Verhinderung des 
Erfolgs) für straflos erklärt wird. Selbst bei Voll- 
endung läßt das Strafgesetzbuch in vier Fällen 
noch die tätige Reue als Strafermäßigungs= oder 
Strafausschließungsgrund gelten. Als Versuch 
bestraft unser Strafrecht nur die Betätigung des 
Entschlusses, ein Verbrechen oder Vergehen zu 
verüben mittels Handlungen, welche einen Anfang 
der Ausführung dieses Verbrechens oder Vergehens 
enthalten. Daraus ergibt sich, daß sog. Vor- 
bereitungshandlungen, wie die Herbeischaffung 
und Zubereitung der zur Ausführung erforder- 
lichen Mittel, straflos sind. Das gilt indessen für 
gewisse Ausnahmen (Hochverrat, Münzverbrechen, 
Sprengstoffverbrechen) nicht. Die Lehre vom Ver- 
such ist infolge der Dürftigkeit der positiven Be- 
stimmungen der Sitz einer Anzahl von Streit- 
fragen, unter denen die schwerwiegendste die ist, 
inwieweit mit einem untauglichen Mittel bzw. 
an einem untauglichen Objekt ein strafbarer Ver- 
such statthaben könne (z. B. Versuch der Vergiftung 
einer Puppe, die für einen Menschen angesehen 
wird, mittels Zuckers, den der Täter für Arsenik 
hält). Diese Frage wird vom Reichsgericht be- 
jahend beantwortet, von der Doktrin überwiegend 
verneint. Als besondere Unterart des Versuchs 
sieht das Strafgesetzbuch bei politischen Verbrechen 
das sog. „Unternehmen“ an. 
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