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wohnheit; Hilfswissenschaften des Staatsrechts
sind die Staatsgeschichte und die Staatsstatistik,
welche für die allgemeine Staatslehre und für die
Politik ebenso grundlegend sind wie für das
Staatsrecht.
Literatur. I. Allg. S.: die Lehrbücher des
deutschen S.s von Schulze (1. Buch), G. Meyer-
G. Anschütz (61905); sodann Bluntschli, Allg. S.
(61885); v. Gerber, Grundzüge des deutschen S.s
(31880); Gumplowicz, Allg. S. (1897); Allg.
Staatslehre von. R. Schmidt, Rehm (1899), Jel-
linek (1905); M. v. Seydel, Vorträge aus dem
allg. S. (1903); A. Menger, Neue Staatslehre
(1903); Elliot, Die Staatslehre John C. Calhouns
(1903); ferner Handbuch des öffentlichen Rechts von
Marquardsen u. von Seydel (teilweise in 2. Aufl.).
Vgl. auch die Literatur beim Art. Staat.
II. Landesstaatsrecht: s. die Artikel über die ein-
zelnen Länder. [Coermann.)
Staatsrechtliche Garantien s. Garan-
tien, staatsrechtliche (Bd II).
Staatsreligion s. Religion, Staatskirchen-
tum.
Staatsromanec. Staatsromane nennt man
seit Robert v. Mohl Dichtungen, in welchen in der
Form einer konkreten Schilderung das Ideal des
Staats gezeichnet, d. h. dargelegt wird, wie nach
der Ansicht des Dichters ein Staat eingerichtet
sein müsse, damit er seinem Zweck vollkommen ent-
spreche, folglich den Charakter des „besten Staats“
für sich in Anspruch nehmen könne.
Der Staatsroman ist wesentlich verschieden
von der Staatstheorie. Während nämlich diese
auf wissenschaftlichem Weg die leitenden Grund-
sätze über die Grundlagen, über den Zweck und
über die zweckentsprechende Einrichtung des Staats-
wesens zu ermitteln sucht, spielt im Staatsroman
die Phantasie und erdichtet einen utopistischen
Idealstaat. Die Frage, wie denn solche Dichtungen
überhaupt entstehen konnten, läßt sich unschwer
beantworten. Von jeher hat es nicht an Menschen
gefehlt, die mit den bestehenden gesellschaftlichen
und staatlichen Einrichtungen, mit den Grund-
lagen, auf welchen sie beruhten, und mit der Art
und Weise, wie sie sich tatsächlich ausgestaltet
hatten, nicht zufrieden waren, und zwar vielfach,
weil unleugbare Mißstände in den bestehenden ge-
sellschaftlichen und staatlichen Einrichtungen sich
eingebürgert hatten, die nun gleichfalls das Recht
des Bestehens für sich in Anspruch nahmen. Manche
wollten auch bloß ihre persönliche Uberzeugung
geltend machen und übten von diesem Standpunkt
aus mehr oder weniger scharfe Kritik am Staats-
wesen der Gegenwart, oder sie suchten durch ihre
Utopien die Durchführbarkeit gewisser Reformen
zu erweisen. Dabei hätten sie nun allerdings ihre
neuen Ideen und Prinzipien in wissenschaftlicher,
theoretischer Darlegung zur Geltung bringen
können. Aber viele von ihnen mochten glauben,
daß dieser Weg weniger geeignet sei, in weiteren
Kreisen auf die öffentliche Meinung einzuwirken
und diese für jene neuen Ideen zu gewinnen. Auch
Staatsrechtliche Garantien — Staatsromane.
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mochte manchen die Furcht, sie könnten dadurch
mit der herrschenden Mächten in gefährlichen Kon-
flikt geraten, die Form einer harmlos aussehenden
Dichtung annehmbarer erscheinen lassen. So finden
wir denn zu allen Zeiten derartige Utopien, die
einzig und allein in der Phantasie ihrer Verfasser
vorhanden waren.
Den ersten Ansatz zu einem Staatsroman
treffen wir bereits im Altertum an. In den zehn
Büchern der klassischen Schrift lleot #
(De republica) zeichnet Platon eine politisch-
soziale Idealverfassung. Er konstruiert diese nach
dem Vorbild des Menschenwesens. Wie der Mensch
nach seinem psychischen Sein dreigegliedert ist in
J%% Hos#s und enhos#la, so besteht auch der
„beste“ Staat aus drei Ständen: dem Stand der
Ackerbauern, Handwerker und Kaufleute (Nähr-
stand), welcher der amhopla, dem Stand der
Krieger (Wehrstand), welcher dem Do##us, und dem
Stand der Herrscher, welcher dem entspricht.
Und wie die Vollkommenheit des Menschen auf
der Tugend beruht, die sich in die vier Haupt-
tugenden: Weisheit, Tapferkeit, Mäßigkeit und
Gerechtigkeit, gliedert, so beruht auch die Voll-
kommenheit dieses Staats darauf, daß der Nähr-
stand durch Mäßigkeit, der Kriegerstand durch
Tapferkeit, der Herrscherstand durch Weisheit sich
auszeichnet, und daß endlich das Ganze von der
Gerechtigkeit durchdrungen ist, d. h. daß jeder
Stand nach der Stellung, die er im Ganzen des
Staats einnimmt, die ihm gewordene Aufgabe
treu und vollkommen erfüllt und sich keine Ein-
griffe in die Rechte des andern erlaubt. Im Schoß
des Kriegerstands herrscht Gütergemeinschaft. Kei-
ner der Krieger besitzt Eigentum; Tisch, Wohnung
und Nahrung sind gemeinschaftlich; Geld gibt es
überhaupt nicht. Ebenso finden Ehe und Familie
im Kriegerstand keinen Platz. Die Herrscher über-
weisen bestimmten Männern bestimmte Weiber,
die zu ihnen passen, auf bestimmte Zeit; die Kinder
aber werden, sobald sie entwöhnt sind, den Müt-
tern genommen und an einem abgesonderten Ort
gemeinschaftlich von Staats wegen erzogen, und
zwar Knaben und Mädchen in gleicher Weise.
Die Erziehung beruht auf dem Prinzip einer stufen-
weisen Heranbildung zur Erkenntnis der Ideen
und zu der entsprechenden Tüchtigkeit, so daß zu
den obersten Stufen nur die Begabtesten gelangen.
Sie beginnt mit den Elementarfächern, mit Musik
und Dichtkunst sowie mit gymnastischen und krie-
gerischen Ubungen. Nach Verlauf einer bestimmten
Zeit werden jene, die durch hervorragendere Fähig-
keiten sich auszeichnen, ausgeschieden und widmen
sich den Wissenschaften, während die übrigen ge-
meine Krieger bleiben. Das Studium der Wissen-
schaften dauert wiederum eine bestimmte Zeit, und
dann erfolgt eine neue Ausscheidung: die Fähigsten
wenden sich der Philosophie zu, während die übri-
gen zu niedern Staatsämtern ausersehen werden.
Haben jene ihr Studium beendet, dann treten sie
in den Stand der Herrscher ein. Der Herrscher-