Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

  
  
  
  
  
  
  
  
337 Streil usw. 338 
Deutschland Osterreich I Frankreich Belgien England 
Streiks!Streikende Streiks Streikende: Streiks Streikende Streiks Streikende Streiks r Streikende 
1899 1288 99 338 311 54 763 740176 826 104 57 931 719 138 058 
1904 1870 113 480 4144 2271026· 271 097 87 24 460 354 56 060 
1909 1537 96 925 495 60 S24 
  
  
noch nicht gewachsen sind und noch sehr der Ver- 
vollkommnung, insbesondere des allgemeinen Ver- 
ständigungswillens bedürfen. 
Auch die Zahl der Aussperrungen hat von Jahr 
zu Jahr eine Vermehrung erfahren; sie sind eben 
das Echo auf die zunehmenden Streiks. Die Sta- 
tistik für Deutschland und Osterreich gibt folgende 
Zahlen an: 
  
  
  
  
  
  
  
Deutschland Österreich 
Aussper- Aus- Aussper- Aus- 
rungen gesperrte rungen gesperrte 
1899 23 5298 5 3 457 
1904 120 23 760 6 23 742 
1909 115 22922 12 813 
Eine geschichtliche Darstellung der Streiks und 
Aussperrungen hat sich naturgemäß auch mit ihren 
Erfolgen zu befassen. Die Periode der regel- 
losen Ausstände wird mit Friedrich Engels am 
besten bezeichnet als „eine lange Reihe von Nieder- 
lagen, unterbrochen von einzelnen wenigen Siegen“. 
Später sind die Streiks erfolgreicher gewesen, 
wenngleich auch da von stetig wachsenden Erfolgen 
nicht die Rede sein kann. Die Kurve der erfolg- 
reichen Streiks bewegt sich allgemein in derselben 
Richtung wie die wirtschaftliche Lage überhaupt. 
In Zeiten wirtschaftlichen Ausschwungs erreichen 
die Streiks mehr als bei wirtschaftlicher Depres- 
sion, wo die Industrie um Arbeiter nicht verlegen 
ist und wenig gewillt ist, ihnen Konzessionen zu 
machen. 
Über die Erfolge des Streiks geben die Sta- 
tistiken der wichtigsten Länder einigen Aufschluß. 
Sie sprechen von „vollem Erfolg“ (8 = Sieg), 
wenn die Forderungen der Arbeiter sämtlich durch- 
gesetzt werden, „teilweisem Erfolg" (V.— Ver- 
gleich), wenn nur einige Forderungen, meistens 
auf dem Weg des Vergleichs oder Kompromisses, 
erfüllt werden, oder wenn nur in einigen Betrieben 
ein Erfolg erzielt wird, und „keinem Erfolg“ 
(N— Niederlage), wenn an dem alten Arbeits- 
verhältnis nichts geändert wird. Der Ausgang 
der Streiks war nun in den einzelnen Ländern 
folgender: 
  
  
  
  
  
  
Deutsch= Osterreich Belgien Frankreich " England 
1891% %104 190 1899 1904 18991904 
5% % 2% 5% 5% 
8 22,1 19,8 18,8 24,1 26,8 
V82,0 42,5 14,8 38,3 31,3 
N5,9 37,7 63,3 37,6 41,3 
?2?* — — 31 — 0,6 
Hinzugefügt sei zu dieser Tabelle, daß von den 
Aussperrungen durchweg ein Drittel vollen Erfolg 
  
  
  
erzielten, daß also die Aussperrungen erfolgreicher 
waren als die Streiks. 
Auf den ersten Anblick cheint das statistische Re- 
sultat sehr zu Ungunsten des Streiks zusprechen. Nur 
der fünfte, höchstens der vierte Teil aller Streiks 
wurde zu einem durchaus günstigen Ende geführt. 
Wenn nun noch dazu der Lohnausfall und der 
Produktionsverlust, der infolge eines Streiks ein- 
tritt, in Zahlen berechnet wird, die sich auf Mil- 
lionen belaufen, so ist man geneigt, die Arbeiter 
der Torheit und Tollkühnheit zu zeihen, wenn sie 
immer wieder auf den Streik ihre Hoffnung setzen. 
Indes die zahlenmäßige Berechnung des Lohnaus- 
falls ist nicht beweiskräftig; sie beweist ebenso- 
wenig, wie wenn sozialistische Schriftsteller aus- 
rechnen, daß durch einen gesetzlichen Feiertag in 
Deutschland ein größerer Lohn= und Produktions- 
ausfall entsteht als durch die sämtlichen Streiks 
eines Jahrs zusammengenommen. Eine Streik- 
bewegung, auch von geringer Ausdehnung, greift 
in das Wirtschaftsleben eines Landes, in die An- 
schauungen und Entschließungen von Unterneh- 
mern wie Arbeitern viel zu tief ein, als daß Erfolg 
und Mißerfolg ziffernmäßig dargestellt werden 
könnten. Eine momentane Niederlage beweist noch 
nicht die volle Erfolglosigkeit eines Streiks: in den 
Betrieben, in denen er ausbrach und fehlschlug, 
ohne Zweifel; aber wieviel Arbeitgeber infolge 
eines anderwärts ausgebrochenen Streiks sich zur 
Lohnaufbesserung gewillt zeigen, die Arbeitszeit 
kürzen oder andere Erleichterungen eintreten lassen, 
das alles sind Momente, die rechnerisch nicht er- 
faßt werden, aber doch als günstige Wirkung eines 
als Niederlage gebuchten Streiks anzusehen sind. 
Anderseits muß ein Sieg für mehr Arbeiter be- 
wertet werden als für die Zahl der siegreich Strei- 
kenden. Denn an dem Erfolg eines Einzelstreiks 
nimmt meistens die ganze Arbeiterschaft teil; 
steigen die Löhne infolge von Streiks in einer 
Reihe von Betrieben, so steigen sie bald allgemein. 
Auch was von der Statistik als teilweiser Erfolg 
registriert wird, steht doch dem Sieg näher als 
der Niederlage und darf durchaus nicht als quan- 
tité négligeable betrachtet werden. Oft sind es 
ganz ansehnliche Konzessionen, zu denen sich die 
Unternehmer — allerdings gegen Zugeständnisse 
seitens der Arbeiter — herbeilassen. Wer ferner 
weiß, wie schwer die Arbeiter um ihre Gleichstellung 
im Arbeitsverhältnis und um die Anerkennung der 
Organisationen ringen, wird es unter Umständen 
als einen großen Erfolg ansehen, wenn die Unter- 
nehmer überhaupt auf einen Vergleich eingehen, der 
häufig durch die Organisationen vermittelt wird. 
Freilich sollen die großen privaten und sozialen 
Schäden nicht verschwiegen werden, die als un-
	        
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