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Natur und solchen, die weltlichen und politischen
Charakter haben, und ist auf Erreichung eines
rein weltlichen Guts gerichtet. 12) Die Kirche
darf nichts bestimmen, was die Gewissen der
Gläubigen bezüglich des Gebrauchs zeitlicher Güter
verpflichten kann. 13) Die Kirche hat kein Recht,
die Verletzer ihrer Gesetze mit zeitlichen Strafen
in Zucht zu halten. 14) Es entspricht den Grund-
sätzen der Theologen und des öffentlichen Rechts,
das Eigentumsrecht an den Gütern der Kirchen,
der religiösen Genossenschaften und anderer from-
men Stiftungen der Staatsregierung zuzusprechen.
15) Die kirchliche Macht ist nicht nach göttlichem
Recht von der bürgerlichen verschieden und unab-
hängig, und eine solche Unterscheidung und Unab-
hängigkeit kann nicht aufrecht erhalten werden,
ohne daß die Kirche in die wesentlichen Rechte der
bürgerlichen Gewalt eingreift und sie usurpiert.
16) Den Urteilssprüchen und Dekreten des Apo-
stolischen Stuhls, welche das allgemeine Wohl
der Kirche, ihre Rechte und ihre Disziplin zum
Gegenstand haben, kann man, solang dieselben
nicht die Dogmen des Glaubens und der Sitten
berühren, die Zustimmung und den Gehorsam
versagen, ohne sich zu versündigen und ohne
irgendwie seine katholische Gesinnung zu beein-
trächtigen.
Eine Vergleichung mit den Sätzen des Sylla-
bus zeigt, daß zwar für die prinzipiellen Gesichts-
punkte eine Voraussetzung gegeben ist, aber eine
Sanktion der einzelnen Sätze nicht daraus ge-
folgert werden kann. Der Syllabus bezieht sich
aber auch nirgends auf die Enzyklika, sondern
fügt jedem Satz eine entsprechende frühere Kund-
gebung des Papstes bei, aus welcher derselbe ent-
nommen wurde. Die drei wichtigsten (der 32),
auch in der Enzyklika erwähnten und in der
Kölner Ausgabe der Enzyklika und des Syllabus
(1865) abgedruckten sind die Enzyklika „Qui
pluribus“ (9. Nov. 1846 (4/7. 16. 40. 63.)),
die vor den Kardinälen, Erzbischöfen und Bischöfen
nach der Verkündigung des Dogmas von der un-
befleckten Empfängnis Marias, gehaltene Allokution
„Singulari qguadam“" (9. Dez. 1854 I8. 17. 191)
und die bei der Kanonisation der japanischen Mär-
tyrer gehaltene Allokution „Maxima quidem“
(9. Juni 1862 (1/7. 15. 19. 27. 39. 44. 49.
56/600).. Außerdem und außer den oben ge-
nannten Schreiben an den Erzbischof von Köln
und den Fürstbischof von Breslau werden allegiert
(Recueil des Allocutions consistoriales, En-
Cycliques et autres Lettres Apostoliques des
souverains Pontifes Clement XllI, Benoit XIV,
Pie VI, Pie VII, Léon XII, Grégoire XVI
et Pie IX citées dans I'Encyelique et le Spyl-
labus du 8. Déc. 1864 (Par. 21865.): „Quis-
due vestrum“ (4. Okt. 1847 (630), „Ubi pri-
mum" (17. Dez. 1847 (16)0), „Quibus quantis-
due“ (20. April 1849 140. 64. 76)), „Nostis“
(8. Dez. 1849 (18. 63)), „In consistoriali“
(1.Nov. 1850 (43/45.), „Multiplices" (10. Juni
Syllabus.
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1851), eine Verurteilung des sechsbändigen spa-
nischen Werkes: Defensa de la autoridad de
los gobiernos y de los obispos contra las
pretenciones de la Curia Romana por Fr.
G. Vigil, Lima 1848 (15. 21. 23. 30. 51.
54. 68), „Ad Apostolicae“ (22. Aug. 1851),
eine Verurteilung des Werks: luris eccle-
siastici institutiones loannis Nepomuceni
Nuytz, in regio Taurinensi Athenaeo pro-
fessoris, Turin 1844. Itemque: In ius eccle-
siasticeum universum tractationes, Turin
1846%3 (24. 25. 34/36. 38. 41. 42. 65/67.
69/75), „Quibus luctuosissimis“ (5. Sept.
1851 (45|]), Lettera a Sua Maesta Vittorio
Emmanuele (19. Sept. 1852 I73)), „Acerbis-
simum“ (27. Sept. 1852 I(31. 51. 53. 55. 67.
73. 74. 780, „Probe memineritis“ (22. Jan.
1855 1530, „Nemo vestrum“ (26. Juli 1855
177)0), „Cum saepe“ (27. Juli 1855 (53.)),
„Singulari quidem“" (17. März 1856 (4. 16)),
„Nunquam fore" (15. Dez. 1856 (26. 28. 29.
31. 46. 50. 52.79, „Cum catholica“ (26. März
1860 (63), „Novos“" (28. Sept. 1860 (62),
„Multis gravibusque“ (17. Dez. 1860 (19. 37.
43. 73)), „Iamdudum“ (18. März 1861 (37.
61. 80)), „Meminit unusquisque“ (30. Sept.
1861 (20|), „Gravissimas inter“ (11. Dez.
1862 (9/110, „Quanto conficiamur“ (10. Aug.
1863 (17. 580)), „Incredibili“ (17. Sept. 1863
[26)), „Tuas libenter" (21. Dez. 1863 (9. 10.
12/14. 22. 33)), „Quum non" (14. Juli 1864
47. 480), „Singularis“ (29. Sept. 1864 (32.).
Den einzelnen Sätzen kommt daher jedenfalls
diejenige Autorität zu, welche den Erlassen ein-
wohnt, aus welchen sie genommen sind. Doch ist
nicht ganz zu bestreiten, daß die aus dem Zu-
sammenhang gerissenen und selbständig zusammen-
gestellten Sätze im Syllabus eine weitere, all-
gemeine Geltung beanspruchen, und der Syllabus
dadurch den Charakter einer dogmatischen Ent-
scheidung oder doch einer lehramtlichen Bestätigung
der früheren Erlasse erhalten hat. Der Vorwurf
der Verallgemeinerung wurde auch vielfach er-
hoben (Rönneke, Pius' IX. Enzyklika und Sylla-
bus als ein Beitrag zum Verständnis der kirch-
lichen Lage der Gegenwart für evangelische Christen
verdeutscht und erklärt (1891)), ja dies wird ge-
radezu als die Absicht des Syllabus bezeichnet
(Friedrich, Das Papsttum von JI. v. Döllinger.
Neubearbeitung von Janus „Der Papst und das
Konzil“ im Auftrag des inzwischen heimgegangenen
Verfassers (/1892) 272. 525), während Ketteler
(Deutschland nach dem Krieg von 1866 (18671
132 ff), Tosi (Vorlesungen über den Syllabus
Errorum der päpstlichen Enzyklika vom 8. Dez.
1864 (1865] 11 ff) und Hergenröther (Anti-
Janus [1870. 20) für die geschichtliche Erklärung
eintreten. In seiner späteren Schrift: Katholische
Kirche und christlicher Staat in ihrer geschicht-
lichen Entwicklung und in Beziehung auf die
Fragen der Gegenwart (1872) 809f., erklärt jedoch