Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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Hergenröther, daß die Verurteilungen des Sylla- 
bus wahre iudicia dogmatica, wenn auch keine 
regula fidei im strengen Sinn enthalten. Die 
Geschichte der Entstehung des Syllabus zeigt, daß 
die Absicht des Papstes zunächst auf eine allge- 
meine Verurteilung der zeitgenössischen Irrtümer 
gerichtet war. Schon bald nach dem Antritt seines 
Pontifikats (1846) wurde Pius IX. der Gedanke 
nahegelegt, nach dem Beispiel früherer Päpste, 
Damasus, Innozenz II., Gregor XI., Martin V., 
Gregor XIII., Alexander VII., Innozenz XI., 
Klemens XlI., Pius VI. (vgl. Tosi a. a. O. 8 ff), 
die hauptsächlichsten der damals verbreiteten Irr- 
tümer über die Religion und die übernatürliche 
Ordnung zusammenzustellen und zu verurteilen. 
Zuerst scheint dieser Gedanke auf dem Provinzial- 
konzil zu Spoleto (1849) zur Sprache gekommen 
zu sein, an dem auch Leo XIII. als Erzbischof von 
Perugia in hervorragender Weise teilnahm. Die 
Dreiteilung der Irrtümer: gegen den Glauben, die 
Autorität und das Eigentum (Collectio Lacensis 
VI 743) kehrt im Eingang der Enzyklika „Quanta 
cura“ wieder. In der Civilta cattolica 1851 
wurde empfohlen, mit der Bulle über die unbefleckte 
Empfängnis eine Verdammung der Irrtümer zu 
verbinden. Pius IX. beauftragte im Jahr 1852 
den Kardinal Fornari, eine Reihe von Bischöfen 
und andern Gelehrten darüber zu befragen. Die 
zur Vorbereitung für die Bulle über die unbefleckte 
Empfängnis eingesetzte Kommission wurde nach 
Vollendung dieser Aufgabe mit dem Studium 
der modernen Irrtümer und der Ausarbeitung 
eines Aktenstücks zu ihrer Verurteilung betraut. 
Diese bestand bis zum Jahr 1860. Da am 
23. Juli 1860 der Bischof Gerbet von Per- 
pignan in einer Instruktion an seinen Klerus 
85 moderne Irrtümer zusammengestellt hatte, so 
befahl Pius IX., dieses Verzeichnis zur Grund- 
lage des vorzubereitenden päpstlichen Erlasses zu 
nehmen. Die neue Kommission begann im Jahr 
1861 unter dem Vorsitz Caterinis ihre Arbeiten. 
Anfangs nur fünfgliedrig wurde sie noch in dem- 
selben Jahr erweitert. Die nunmehr zwölfgliedrige 
Kommission bestand zur Hälfte aus Weltpriestern, 
zur Hälfte aus Ordensgeistlichen; von diesen 
waren Mitglieder zwei Benediktiner, ein Kapu- 
ziner, ein Servit, ein Augustinerchorherr und ein 
Jefuit (Perrone). Die Frucht der Arbeiten dieser 
Kommission war ein Syllabus von 61 Thesen, 
deren jede ihre theologische Zenfur beigesetzt er- 
halten hatte. Pius IX. ließ diese Arbeit den im 
Jahr 1862 in Rom versammelten Bischöfen vor- 
legen und verwarf in der Allokution „Maxima 
duidem“ (9. Juni 1862) im voraus die neuen 
Thesen des genannten Verzeichnisses. Aber zur 
Promulgation kam es nicht, und zwar wohl aus 
folgendem Grunde. Im Okt. 1862 erfolgte 
eine vorzeitige Veröffentlichung des ganzen Ver- 
zeichnisses in einem kirchenfeindlichen Wochenblatt 
in Turin (II Mediatore), die großes Aufsehen 
erregte. Deshalb wollte Pius IX. den Plan in 
Syllabus. 
  
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einer andern Form durchführen. Man kam auf 
den Gedanken, ein Verzeichnis der modernen Irr- 
tümer aus den bisherigen Akten Pius' IX. her- 
zustellen. Pius IX. setzte zu diesem Zweck eine 
neue Kommission ein, deren hervorragendstes Mit- 
glied der Barnabit Bilio war. Ihr Werk war 
der jetzige Syllabus von 80 Sätzen, ohne eine 
besondere theologische Zensur, weil eben Pius IX. 
in seinen Erlassen auch nur eine allgemeine Ver- 
urteilung derselben ausgesprochen hatte. Ubrigens 
sind von den im Fornarischen Fragebogen auf- 
gestellten 28 Sätzen 22, von den im Jahr 1862 
den Bischöfen zu Rom vorgelegten 61 Thesen 30 
übernommen. Die Absicht war also zweifellos, 
ein Verzeichnis der grassierenden Irrtümer herzu- 
stellen und deren Verurteilung durch den Papst 
ohne Angabe der besondern Note, also in globo, 
auszusprechen. Die Wichtigkeit dieser Publikation 
besteht demgemäß darin, daß die sonst in einer 
fortlaufenden Allokution verloren gehenden Sätze 
scharf formuliert herausgestellt sind und durch die 
Vollständigkeit der Sammlung eine Gesamtdoktrin 
für die katholische Weltanschauung geboten wird. 
Es war eine Entscheidung der höchsten kirchlichen 
Autorität beabsichtigt. 
Die 1862 zu Rom versammelten Bischöfe haben 
Pius IX. am 8. Juni zugestimmt. „Wir ver- 
urteilen die Irrtümer, welche du verurteilt hast; 
wir verabscheuen und verwerfen die neuen und 
fremden Lehren, welche zum Schaden der Kirche 
da und dort verbreitet werden; wir mißbilligen 
und verdammen die Sakrilegien, Räubereien, Ver- 
letzungen der kirchlichen Immunität und andere 
Schandtaten, welche gegen die Kirche und den 
Stuhl Petri begangen worden sind“ (Recueil 
526). In der Allokution „Maxima quidem“ 
(9. Juni 1862) sagt Pius IX. zu den versammelten 
Bischöfen: „Wir verwerfen und verdammen na- 
mentlich alle die oben genannten Irrtümer, welche 
nicht nur dem katholischen Glauben und der katho- 
lischen Lehre, den göttlichen und kirchlichen Ge- 
setzen, sondern auch dem ewigen und natürlichen 
Gesetz, der natürlichen Gerechtigkeit und der ge- 
sunden Vernunft durchaus widersprechen und aufs 
höchste entgegen sind.“ Am 16. Juni 1867 er- 
klärte Pius IX. vor den versammelten Bischöfen: 
„Gott hat mich aufgestellt, um die Gesellschaft zu 
leiten und zu erleuchten, um sie zu der Erkenninis 
des Ubels zu befähigen, und offen dafür das Heil- 
mittel zu bezeichnen. Um diese Pflicht zu erfüllen, 
habe ich vor wenigen Jahren eine Erklärung, 
welche eurem Andenken noch gegenwärtig ist, den 
Syllabus, veröffentlicht. Diese Erklärung bekräf- 
tige ich in eurer Gegenwart. Hinfort sollte sie die 
Richtschnur all eurer Lehre sein. Die Erklärung, 
welche ich veröffentlicht habe, wird diese Lichtsäule 
(in der Wüste) sein.“ Erzbischof Manning be- 
zeugt in seinem nach der Rückkehr vom Zentena- 
rium veröffentlichten Hirtenbrief: „(Die in Rom 
versammelten 500 Bischöfe) erneuerten vor dem 
Grab des Apostels ihre Gesinnung, welche sie
	        
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