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lische Theologie (Günther, Frohschammer, 9/12)
und die anscheinende Nichtbeachtung der kirchlichen
Autorität in der Wissenschaft (Katholische Ge-
lehrtenversammlung 1863 in München 13. 14)
haben dabei ihren Einfluß ausgeübt. Ebenso hat
die Anwendung der absoluten Glaubens= und
Gewissensfreiheit zugunsten protestantischer Be-
strebungen auf ganz katholische Staaten (Italien,
Neu-Granada, Mexiko), welche nicht undeutlich
politischen Zielen dienen sollte, zu den Sätzen über
den Indifferentismus Anlaß gegeben und die Ab-
wehr der Irrtümer über die Verfassung der Kirche
und über das Verhältnis von Staat und Kirche
notwendig gemacht. Die Sätze 19 (Leo XIII.,
„Immortale Dei“ 1. Nob. 1885. „Satis cogni-
tum" 29. Juni 1896) und 39 zeigen hier den
Grund des Irrtums. Die Proklamierung der
Staatsomnipotenz in autokratischer oder demo-
kratischer Form, als Quelle des Rechts und der
Autorität, ist ebenso unverträglich mit der gött-
lichen Stiftung einer selbständigen Kirche als das
absolute Recht der Vernunft mit einer geoffen-
barten Wahrheit. Die Kirche lehrt, daß jede Ge-
walt von Gott ist, und fordert ihre Angehörigen
zum Gehorsam gegen die von Gott gesetzte Ge-
walt auf, aber sie verwirft ebendeshalb die Be-
hauptung Rousseaus und des modernen Liberalis-
mus, daß der Staat nur der Kollektivwille der
Gesellschaft, das Werkzeug der Majorität sei, und
daß, wie in der Natur die Summe der Kräfte,
so im Staat die Summe der Zahl die Autorität
begründe und der Erfolg der „vollendeten Tat-
sachen“ die Gerechtigkeit der Sache beweise
(Leo XIII., „Diuturnum“ 29. Juni 1881;
„Humanum genus“ 20. April 1884. Schneider
a. a. O. 74 ff 98 ff 117 ff 351 ff). Die all-
gemeinen Grundlagen des Rechts und der Sitte
stammen von Gott, und dieses „Naturrecht“ hat
auch der Staat zu respektieren. Der Materialis-
mus in der Natur und in der Gesellschaft ist gleich
verwerflich. Die Kirche hat aber neben dem Natur-
recht der religiösen Anlage ein positives göttliches
Recht in ihrer Stiftung und in ihrem Zweck. Sie
ist innerhalb und im Gegensatz zum jüdischen und
heidnischen Staat als eine selbständige Gesellschaft
gestiftet und organisiert worden. Daher bean-
sprucht sie auch für sich diejenigen Rechte und
Freiheiten, welche zur Ausübung ihrer Aufgabe,
die Menschen für den Himmel zu gewinnen und
zu erziehen, notwendig sind. Insbesondere übt sie
die Jurisdiktion über die Untergebenen aus und
muß zu diesem Zweck auch äußerliche Strafen an-
wenden können wie jede organisierte Gesellschaft.
Da das übernatürliche Ziel höher steht als das
irdische, so müssen die religiösen Angelegenheiten
im Unterricht und im Leben den irdischen voran-
gehen und diese in den Dienst der Religion ge-
dogen werden. Soweit es zu diesem Zweck er-
forderlich ist, muß es der Kirche auch gestattet
sein, frei, ohne Belästigung und Einmischung des
Staats, den Verkehr zwischen den leitenden Or-
Syllabus.
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ganen zu ordnen und zu unterhalten, so gut wie
jede andere Gesellschaft, Eigentum zu erwerben
und zu verwalten und in zeitlichen Dingen ein
indirektes Recht auszuüben, weil die Verwendung
der irdischen Güter auch den Gesetzen der Religion
und Moral unterworfen ist. Ein direktes oder in-
direktes Recht über die weltliche Herrschaft der
Fürsten und Völker folgt hieraus nicht, wenn auch
die mittelalterliche Auffassung nach den besonders
gearleten Verhältnissen hierin der Kirche ein
höheres Recht zugestanden hat (Sägmüller, Lehr-
buch des katholischen Kirchenrechts (11909) 42F).
Die Sorge für das ewige Heil bildet den Haupt-
zweck der Kirche, und deshalb sollen die Gläu-
bigen alles Gott zu Ehren vollbringen und im
Streitfall Gott mehr gehorchen als den Men-
schen, wie es bereits die Apostel und Märtyrer
getan haben (Schneider a. a. O. 141 ff), und die
Diener der Kirche den Dienst Gottes und das
Heil der Seele als ihre einzige Aufgaben betrachten.
Zu diesem Zweck müssen sie von den weltlichen
Geschäften, besonders von dem Kriegshandwerk
möglichst befreit werden, wie es durch die Immu-
nitäten des Klerus nach Vorgängen in der heid-
nischen Priesterschaft schon durch die Kaiser zur
Geltung gebracht worden ist. Wie weit dies im
einzelnen auszudehnen sei, hängt von den je-
weiligen Verhältnissen ab und wird durch gegen-
seitiges Ubereinkommen zwischen Kirche und Staat
geregelt, kann aber da, wo feierliche Verträge
(Konkordate) vorliegen, wie dies Sätze 30/32
vorausgesetzt ist, ohne daß die Frage über die
Quelle dieses Rechts entschieden wird, nicht ein-
seitig vom Staat aufgehoben werden. Dies gilt
auch bezüglich der Erneuerung und der Befugnisse
der Bischöfe, welche durch Verträge mit katho-
lischen Staaten verschiedentlich geregelt wurden,
aber nicht aus staatlicher Machtvollkommenheit
abgeleitet werden können. Der Unterricht und die
Erziehung des Klerus können gleichfalls nur eine
Aufgabe der Kirche sein, denn die Lehrgewalt ist
ein Teil der kirchlichen Gewalt. Je mehr der
Staat selbst von den Grundsätzen der katholischen
Religion sich leiten läßt und für das religiöse und
sittliche Wohl seiner Bürger besorgt ist, desto
nachdrücklicher wird er die Kirche in ihrem
Streben unterstützen, und wenn notwendig auch
den weltlichen Arm leihen. Da aber häufig die
Interessen der Gesellschaften und die Bestrebungen
der Regierenden zueinander in Widerstreit kommen
(ius circa sacra), so konnten Konflikte nicht aus-
bleiben. Dadurch wurde in katholischen Staaten
das Band zwischen Kirche und Staat gelockert, in
akatholischen Staaten zerschnitten, in paritätischen
erst allmählich wieder angeknüpft. Vom Stand-
punkt der allgemeinen Gewissensfreiheit aus,
welche im Widerspruch mit allen bestehenden
Kirchen keine religiösen Glaubenssätze und Gesetze
und sittlichen Grenzen anerkennt und daher nicht
bloß praktische, sondern auch dogmatische Toleranz
fordert, wurde daher die Trennung von Staat