Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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zuschwächen, ja zum Teil ganz zu verflüchtigen. 
Jedoch enthalten die Agenden der die heilige Drei- 
faltigkeit nicht leugnenden Bekenntnisse, nach denen 
sich die Religionsdiener zu richten haben, zumeist 
im wesentlichen die allchristliche Form der Tauf- 
spendung, nämlich die dreimalige Aufgießung des 
Wassers unter gleichzeitiger Aussprechung der 
Taufformel: „Ich taufe dich im Namen (auf den 
Namen) des Vaters und des Sohnes und des 
Heiligen Geistes.“ (Abweichungen davon siehe 
bei G. Rietschl, Lehrbuch der Liturgik II (1898) 
125 
f.) 
An der Gültigkeit der Kindertaufe halten die 
meisten Sekten mit Ausnahme der Anabaptisten 
fest. Die reformierte Kirche verwirft mit Calvin 
die Heilsnotwendigkeit der Taufe und erkennt 
darum die Gültigkeit der Nottaufe durch einen 
Laien, der nicht bestellter Religionsdiener ist, nicht 
an. Nach E. Nitze (Verfassungs= und Verwal- 
tungsrecht in der evangelischen Landeskirche in 
Preußen (18951]) kommt es bei der Frage der 
Gültigkeit der Taufe vom evangelischen Stand- 
punkt darauf an, ob unter Zuziehung von Tauf- 
zeugen auf den Namen der heiligen Dreieinigkeit 
getauft worden ist. Jedoch verteidigen viele ratio- 
nalistische Theologen die Ansicht, daß es bei der 
Taufe wesentlich nur auf die Absicht ankomme, 
den Täufling zum Christen zu machen, daß daher 
die Taufformel und das ganze Taufritual von 
unwesentlicher Bedeutung ist (vgl. Joh. Gottschick, 
Die Lehre der Reformation von der Taufe; ein 
theologisches Gutachten zum Bremer Taufstreit 
[1906 
Nach protestantischer Auffassung wird der Mensch 
durch die Taufe Christ und Mitglied der Kirche 
resp. der Religionsgenossenschaft, in welcher er ge- 
tauft ist. Das kirchliche Bürgerrecht wird in der 
evangelischen Kirche indes erst durch die Konfir- 
mation (Erneuerung des Taufbunds) erworben. 
Neuere Gemeindeordnungen verlangen zum Voll- 
besitz aller aktiven Bürgerrechte noch die Erfüllung 
anderer Bedingungen (vgl. Friedberg, Kirchen- 
recht |61909) § 93). 
3. Die modernen Staaten, die, wenn sie 
sich zum Teil auch heute noch christlich nennen, 
doch das Prinzip der Gewissensfreiheit vor allem 
zum Ausdruck bringen, sehen in der Taufe ledig- 
lich einen religiös-rechtlichen Akt, der den Eintritt 
eines Menschen in eine christliche Religionsgemein- 
schaft bewirkt. Die Taufe ist ihnen also vor allem 
ein rechtlicher Akt, dessen Setzung und Unterlassung 
sich im großen ganzen nach den allgemeinen Normen 
der Rechtsgeschäfte richten muß. Als Bestim- 
mungsberechtigte für die Religion der Kinder 
gelten in den staatlichen Gesetzen vor allem die 
Eltern des Kindes. Wird eine Taufe einem Kind 
wider Willen des Bestimmungsberechtigten erteilt, 
so ist der Eintritt in die Religionsgesellschaft auch 
null und nichtig — wenn auch kirchlicherseits eine 
solche Taufe als gültig betrachtet wird. In Deutsch- 
land hat das B.G.B. die Reglung der religiösen 
Taufe usw. 
  
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Erziehung der Landesgesetzgebung überlassen. In 
den einzelnen Ländern herrscht aber bezüglich der 
Berechtigten und bezüglich des Alters der Selbst- 
bestimmung des Kindes noch große Mannig- 
faltigkeit. Es sei nur noch erwähnt, daß in Preußen 
ein Vater, der sein Kind hat taufen lassen, ge- 
zwungen werden kann, es christlich zu erziehen; 
nach bayrischem Recht kann der Vater sein Kind 
aber trotz der Taufe auch konfessionslos oder nicht- 
christlich erziehen. 
Für den Staat ist auch die Unverlierbarkeit des 
Taufcharakters nicht vorhanden: Ein Getaufter 
kann, wenn er seinen Willen gesetzmäßig äußert, 
nicht nur zu jeder andern christlichen Konfession 
übergehen, sondern auch zu einer nichtchristlichen 
Religion, bzw. er kann religionslos werden. 
Solang in verschiedenen Staaten die Kirchen- 
beamten zugleich Standesbeamten waren, hatte 
der Staat ein besonderes Interesse an der Taufe, 
weil nach ihr das Standesregister geführt wurde. 
Aber auch heute noch gelten überall die Taus- 
register und Taufzeugnisse als öffentliche Urkunden, 
weil der Staat in der Taufe das erhebliche Me- 
ment der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kirchen- 
gesellschaft anerkennt (Reichsgerichtsentscheidung 
vom 23./30. Juni 1891). Kirchlicherseits ge- 
winnen die Taufregister in neuester Zeit erhöhte 
Bedeutung durch die Ehegesetzgebung Pius' X., 
weil danach die Eheschließungen in den Tauf- 
registern vermerkt werden müssen. 
4. Eine besondere Bedeutung beanspruchte schon 
seit der Zeit Tertullians und Cyprians die Frage 
nach der Gültigkeit der Häretikertaufe. Das 
Tridentinum entscheidet darüber Sess. 7, can. 4 
de baptismo: Si quis dixerit, baptismum, 
dui etiam datur ab haereticis in nomine 
Patris et Filii et Spiritus Sancti, cum inten- 
tione faciendi, duod facit Ecclesia, non esse 
verum baptismum, anathema sit. Es ist also 
kirchliche Lehre, die schon Papst Stephanus gegen 
Cyprian und später Augustinus nachdrücklich ver- 
teidigt hat, daß auch Häretiker, ja auch Ungläubige, 
mit obiger Formel gültig taufen, wenn sie dabei 
die Intention haben zu tun, was die Kirche tut. 
Diese Intention muß sich nicht nur auf die äußere 
rituelle Handlung erstrecken, sondern auch auf die 
religiöse, übernatürliche Bedeutung des Aktes, 
freilich nur in der allgemeinsten Form: damit zu 
tun, was die Kirche Christi oder was Christus 
mit der Taufe intendiert. Seine Überzeugung 
von dem Wesen der Taufe und noch mehr von 
ihren Wirkungen kann irrig sein; das tut der 
Gültigkeit keinen Eintrag, da das Sakrament er 
opere operato wirkt. 
Ist nun die Gültigkeit einer von einem Häre- 
tiker gespendeten Taufe zu untersuchen, so wird es 
sich hauptsächlich um die Frage handeln, ob die 
Materie (Wasser) in der richtigen Weise, d. h. 
durch Aufgießung unter Aussprechen der Tauf- 
formel angewandt worden ist. Die Untersuchung 
der Intention des Spenders wird nur dann einen
	        
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