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der Verfassung von Mecklenburg-Schwerin (vom
7. Jan. 1876) wird niemand staatlich angestellt,
der seine kirchliche Pflicht bezüglich der Kinder-
taufe nicht erfüllt. Für das Gebiet des preuß.
Allgem. Landrechts bestimmt indes das Gesetz über
die Beurkundung des Personenstands vom 9. März
1874 in § 56: „Alle diesen Gesetzen entgegen-
stehenden Vorschriften treten außer Kraft. Ein
Gleiches gilt von den Bestimmungen, welche
eine staatliche Einwirkung auf die Voll-
ziehung der Taufe anordnen.“ Die Tauf-
register werden daher nun auch unabhängig nur
nach Bestimmungen der kirchlichen Behörden ge-
führt. In manchen Staaten aber, z. B. in Preu-
ßen, wird der christliche Charakter des Staats
noch dadurch zum Ausdruck gebracht, daß auf
Beamte und Offiziere auf dem Verwaltungsweg
ein Druck ausgeübt wird, damit sie ihrer Christen-
pflicht, die Kinder taufen zu lassen, nachkommen.
Ebenso wird in den Volksschulen pflichtmäßig in
den Personalien das Taufdatum der Kinder christ-
licher Eltern geführt.
Literatur. Gihr, Lehre von den Sakramenten
(1902); Hinschius, System des kath. Kirchenrechts
in Deutschland IV (1880); E. Eck, Die Begrün-
dung der kirchlichen Mitgliedschaft nach kanonischem
u. bayrischem Recht (1900, Diss.); Geiger, Die re-
ligiöse Erziehung der Kinder in Deutschland (1903);
Friedberg, Lehrbuch des kath. u. evang. Kirchen-
rechts (631909); Wernz, lus decretalium (Rom
1904; Bd III, 2 u. Bd IV). Negwer.]
Technisches Unterrichtswesen s. Un-
terrichtswesen.
Theater. [Geschichtliches; Ethische und ästhe-
tische Gesichtspunkte; Rechtliche Bestimmungen.]
1. Geschichtliches. Theater (häurpo von
decopuai - ich schaue), ursprünglich Bezeichnung
des Zuschauerraums im altgriechischen Schauspiel-
haus, ging später als allgemeiner Name auf das
Schauspielhaus, das Schauspiel selbst und die
Schauspielkunst über. Ansätze zum Schauspiel und
rohere Formen desselben finden sich bei allen
Völkern. Puppenspiele bei den Javanern, Schatten-
spiele bei den Türken, religiöse Festspiele bei den
Neu-Persern. Singspiele bei den Japanern, eine
mannigfaltige, heute sehr verderbte Bühne bei den
Chinesen. Die Inder besaßen schon im 6. bis
8. Jahrh. n. Chr. eine hochentwickelte Dramatik
und Dramaturgie, doch ohne vollkommene archi-
tektonische und szenische Gestaltung der Bühne.
Eigne Theaterbauten erstanden zuerst bei den
Hellenen, nachdem sich aus den dithyrambischen
Chören an den Dionysosfesten erst das lustige
Satyrspiel, dann die feierliche Tragödie entwickelt
hatte. Die Zuschauer saßen anfänglich auf
Bänken, die im Halbkreis um die Bühne auf
hölzernen Gerüsten errichtet waren. Unglücksfälle
führten die Umwandlung des hölzernen Amphi-
theaters am Abhang der Akropolis in ein steiner-
nes herbei. Der kreisförmige Raum, um welchen
die Sitzreihen konzentrisch emporstiegen, hieß die
Technisches Unterrichtswesen — Theater.
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Orchestra und diente dem Chor als hauptsächlicher
Standort. In der Mitte befand sich ein Altar,
die Thymele. Vor der Orchestra führten Treppen
auf die schmale Bühne oder Szene hinauf, welche
den Halbkreis (oder das Hufeisen) des Zuschauer-
raums abschloß. Diese Gestalt des Theaters ver-
breitete sich von Athen aus, mit unerheblichen Ab-
änderungen, über die ganze antike Welt. Das
Hauptgewicht wurde auf die Poesie selbst, den
Vortrag und besonders den Chor gelegt; die ein-
fache Ausstattung der Szene entfaltete sich nie zu
dem Reichtum der modernen Bühne. Es gab
aber doch Dreh-, Flug= und Erscheinungsmaschi-
nen. Aus religiösen Festakten hervorgegangen,
von großen Dichtern in religiös patriotischem
Sinn aufgefaßt, gestaltete sich das griechische
Theater zu einem eigentlich nationalen Institut.
Durch besondere Archonten sorgte der Staat in
freigebigster Weise für alle materiellen Mittel,
während den Dichtern und Chormeistern die vollste
Freiheit der künstlerischen Leitung verblieb, das
souveräne Volk aber im Wettkampf der Dichter
die Ehrenpreise vergab. Zur Deckung der Kosten
wurde ein kleines Eintrittsgeld (Theorikon) er-
hoben, das, für ärmere Bürger, unter Perikles,
der Staat bestritt. Die Frauenrollen wurden von
Männern gespielt; der Gebrauch von Masken
schloß eine eigentliche Mimik aus. Während die
Tragödie durchweg eine hochideale Richtung be-
hielt, frönte die Komödie von Anfang an einer
argen Ungebundenheit, die sich selbst bei Aristo-
phanes nicht selten in die schlimmsten Schimp-
fereien (axunJopel.) und Obszönitäten (ai#ypo#-
A% U ) verlor.
Die älteren römischen Republikaner erblickten
in dem griechischen Theater wie in der griechischen
Kultur überhaupt einen Keim der Verweichlichung
und des Sittenverfalls und traten seiner Einfüh-
rung stramm entgegen; nach der Unterwerfung
von Hellas wurde dasselbe jedoch durch Plautus,
Terenz u. a. auch nach Rom verpflanzt, in Rom
und den Provinzialstädten prunkvolle Theater er-
richtet. Die römische Dramatik erhob sich nie zur
Höhe der attischen; aber der Theaterbau wurde
künstlicher weiter entwickelt, die Ausstattung
reicher, die Darstellung raffinierter. Neben den
Gladiatorenkämpfen, Tierkämpfen und andern
Schaustellungen, welche nur die Schaulust und
die brutalsten Instinkte reizten, verkam die eigent-
liche Bühne während der Kaiserzeit in Zucht- und
Zügellosigkeit. Die ersten Christen erblickten in
ihr nur einen Schutz der Unzucht und des Ver-
derbens und wandten sich mit Abscheu davon ab.
So ging das römische Theater während der
Völkerwanderung unter; die Uberlieferung des
griechischen lebte nur in Byzanz fort.
Im Anschluß an die kirchliche Festliturgie ent-
standen vom 10. Jahrh. an die christlichen Weih-
nachts-, Passions= und Osterspiele, anfänglich in
den Kirchen aufgeführt, dann wegen Unzukömm-
lichkeiten auf die Kirchen= und Marktplätze ver-