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gläubigen, welche das Christentum niemals an-
genommen, auf keine Weise zum Glauben zu
zwingen. Und ebenso sollen auch die Kinder der
Ungläubigen, solange sie noch nicht zum Vernunft-
gebrauch gelangt seien und noch unter der Ob-
sorge der Eltern stehen, wider den Willen der
Eltern nicht getauft werden. Thomas hebt hier
mit Nachdruck hervor, daß ein gegenteiliges Ver-
fahren dem Naturrecht widersprechen würde
(repugnat iustitiae naturali; a. a.
a. 12 corp.). Anders äußert er sich über die
Lage der Häretiker und Apostaten. Schon die
christlichen Kaiser des römischen Reichs waren mit
Zwangsmitteln für die Einheit des christlichen
Glaubens eingetreten. Zwar sprach sich eine Reihe
von Kirchenvätern, unter ihnen anfänglich auch
Augustinus, gegen den Gebrauch von Gewalt in
Glaubenssachen aus. Namentlich widerstrebte dem
letzteren die Anwendung der Todesstrafe auf Häre-
tiker. Allein in dem Maß, als der christ-
liche Glaube sich verbreitete, als allgemeine Über-
zeugung sich verfestigte und als höchste und letzte
Norm alle Verhältnisse des gesellschaftlichen Lebens
beherrschte, griff in Praxis und Theorie eine gegen-
teilige Anschauung Platz und fand in den Rechts-
büchern ihren autoritativen Ausdruck. Thomas
spricht daher als Dolmetsch der Anschauungen und
der Praxis seiner Zeit, wenn er behauptet, über
Häretiker und Apostaten könne mit Recht die
Todesstrafe verhängt werden. Denn es sei ein
viel größerer Frevel, den Glauben zu verderben,
welcher die Grundlage des höheren Lebens bildet,
als z. B. das Geld, welches dem zeitlichen Leben
dient, zu fälschen, und darauf ruhe bereits die
Todesstrafe (a. a. O. d. 11, a. 3 corp.) Zu-
dem erfordere eine solche Strafe hartnaler Irr=
gläubigen die Rücksicht auf das Heil der übrigen
Gläubigen. Abgesehen davon erschien der Abfall
vom wahren Glauben als ein Treubruch, der mit
Zwangsmitteln zu verhindern sei. Grundsätzlich
ist Thomas auch gegen die Duldung des Kultes
Andersgläubiger; er gestattet jedoch aus bestimmten
Gründen, namentlich dem jüdischen Kult, eine
Ausnahme von der Regel.
Noch erübrigt hier, den Standpunkt zu fixieren,
welchen Thomas von Aquin dem Eigentum
gegenüber einnimmt. Es sind nur wenige, die
Sache nicht erschöpfende Gedanken, auf die sich
seine ausdrückliche Doktrin beschränkt. An die
selbstverständliche Uberzeugung, daß der Mensch
ein natürliches Recht auf die irdischen Dinge
habe, daß sie von Gott auf ihn hingeordnet und
zu seinem körperlichen Unterhalt bestimmt seien,
knüpft er die Frage, wie sich mit diesem all-
gemeinen Recht der Sonderbesitz vertrage. Thomas
unterscheidet hierbei zwischen dem eigentlichen
Eigentumsrecht und dem Gebrauchsrecht. Was
jenes anlangt, so hält er den Privatbesitz nicht nur
für erlaubt, sondern geradezu für notwendig, und
er stützt sich dabei ganz auf die bereits von Ari-
stoteles (Polit. 1, 3, 5) gegen die Platonische
Thomas von Aquin.
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Gütergemeinschaft ins Feld geführten Gründe.
Im Privatbesitz liege der dem Menschen not-
wendige Sporn zur Arbeit und zu der Sorgfalt,
welche die irdischen Güter erheischen, aber auch
die Garantie eines friedlichen Gebrauchs der-
selben. Anders äußert er sich über das Gebrauchs-
recht. Schon Aristoteles hatte, gewisse liberale
Gewohnheiten der Lazedämonier billigend, als
idealen Zustand hingestellt, daß der Besitz als
O. solcher zwar eigen sei, durch die Nutznießung aber
zum Gemeingut gemacht werde (a. a. O. 2, 5,
1263 a 39). Und der hl. Thomas spricht nun
direkt aus: „Was den Gebrauch betrifft, so soll
der Mensch die äußeren Güter nicht als eigen,
sondern als gemeinsame besitzen, so zwar, daß sie
jemand leicht, wenn andere in Not sind, mitteilt"
(S. theol. 2, 2, d. 66, a. 2 corp.). Diese schroffe
Gegenüberstellung von Besitz und Gebrauch gab
Anlaß zu Mißverständnissen der Thomistischen
Eigentumslehre. Man hat außer acht gelassen,
daß jener Gegensatz nicht im Sinn einer streng
juridischen Betrachtungsweise statuiert wird, son-
dern daß Thomas, wo er vom Gebrauch der
Güter redet, „in Übereinstimmung mit dem ge-
samten Gang seiner ethischen Erörterung in die
Lehre von der Pflicht des Almosengebens abbiegt"“.
Ganz deutlich tritt dies hervor in der S. theol. 2,
2, d. 66, a. 7 corp., wo er ausdrücklich erklärt,
daß die Verfügung über die eignen Güter,
um mit ihnen die Notleidenden zu unterstützen,
dem freien Ermessen jedes einzelnen überlassen sei.
Und so kann weder diese Betonung der Pflicht
des Almosengebens noch die Anerkenntnis des auch
von der Gesetzgebung in alter und neuer Zei)
(ogl. v. Hertling, Zur Beantwortung usw. 181
zugestandenen Rechts, in Fällen dringender Not
eine augenblicklich drohende Gefahr durch Be-
nutzung fremder Güter abzuwehren, für die Tho-
mistische Eigentumstheorie die Konsequenz des
Kommunismus ergeben. Wenn ferner Thomas
an dem zuletzt angeführten Ort die Teilung und
Aneignung des Besitzes aus dem menschlichen
Recht herleitet (per rerum divisionem et ap-
propriationem ex humano iure procedentem),
so benimmt er dem Sonderbesitz anderwärts, wo
er ihn unter das ius gentium rechnet, den
Charakter einer willkürlichen Institution da-
durch, daß er ihn als eine naturgemäße Ergän-
zung des Naturrechts bezeichnet (S. theol. 1, 2,
q. 94, . 5 ad 3; 2, 2, q. 57, a. 3). Wird
hinzugenommen, daß Thomas in bostinmier
Weise das Okkupationsrecht (a. a. O. 2, 2,
d. 66, u. 2 ad 2; a. 5 ad 2) ursprünglich für
die Allemeinheit bestimmten oder herrenlosen
Guts anerkennt, so legt sich die Vermutung nahe,
daß nur Unkenntnis oder Voreingenommenheit
bei ihm die Theorie des sozialistischen Kommu-
nismus finden konnte. Sein Kommunismus ist
kein anderer als derjenige, welchen eine humane
Denkweise und das christliche Sittengesetz zur
Pflicht machen.