Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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gläubigen, welche das Christentum niemals an- 
genommen, auf keine Weise zum Glauben zu 
zwingen. Und ebenso sollen auch die Kinder der 
Ungläubigen, solange sie noch nicht zum Vernunft- 
gebrauch gelangt seien und noch unter der Ob- 
sorge der Eltern stehen, wider den Willen der 
Eltern nicht getauft werden. Thomas hebt hier 
mit Nachdruck hervor, daß ein gegenteiliges Ver- 
fahren dem Naturrecht widersprechen würde 
(repugnat iustitiae naturali; a. a. 
a. 12 corp.). Anders äußert er sich über die 
Lage der Häretiker und Apostaten. Schon die 
christlichen Kaiser des römischen Reichs waren mit 
Zwangsmitteln für die Einheit des christlichen 
Glaubens eingetreten. Zwar sprach sich eine Reihe 
von Kirchenvätern, unter ihnen anfänglich auch 
Augustinus, gegen den Gebrauch von Gewalt in 
Glaubenssachen aus. Namentlich widerstrebte dem 
letzteren die Anwendung der Todesstrafe auf Häre- 
tiker. Allein in dem Maß, als der christ- 
liche Glaube sich verbreitete, als allgemeine Über- 
zeugung sich verfestigte und als höchste und letzte 
Norm alle Verhältnisse des gesellschaftlichen Lebens 
beherrschte, griff in Praxis und Theorie eine gegen- 
teilige Anschauung Platz und fand in den Rechts- 
büchern ihren autoritativen Ausdruck. Thomas 
spricht daher als Dolmetsch der Anschauungen und 
der Praxis seiner Zeit, wenn er behauptet, über 
Häretiker und Apostaten könne mit Recht die 
Todesstrafe verhängt werden. Denn es sei ein 
viel größerer Frevel, den Glauben zu verderben, 
welcher die Grundlage des höheren Lebens bildet, 
als z. B. das Geld, welches dem zeitlichen Leben 
dient, zu fälschen, und darauf ruhe bereits die 
Todesstrafe (a. a. O. d. 11, a. 3 corp.) Zu- 
dem erfordere eine solche Strafe hartnaler Irr= 
gläubigen die Rücksicht auf das Heil der übrigen 
Gläubigen. Abgesehen davon erschien der Abfall 
vom wahren Glauben als ein Treubruch, der mit 
Zwangsmitteln zu verhindern sei. Grundsätzlich 
ist Thomas auch gegen die Duldung des Kultes 
Andersgläubiger; er gestattet jedoch aus bestimmten 
Gründen, namentlich dem jüdischen Kult, eine 
Ausnahme von der Regel. 
Noch erübrigt hier, den Standpunkt zu fixieren, 
welchen Thomas von Aquin dem Eigentum 
gegenüber einnimmt. Es sind nur wenige, die 
Sache nicht erschöpfende Gedanken, auf die sich 
seine ausdrückliche Doktrin beschränkt. An die 
selbstverständliche Uberzeugung, daß der Mensch 
ein natürliches Recht auf die irdischen Dinge 
habe, daß sie von Gott auf ihn hingeordnet und 
zu seinem körperlichen Unterhalt bestimmt seien, 
knüpft er die Frage, wie sich mit diesem all- 
gemeinen Recht der Sonderbesitz vertrage. Thomas 
unterscheidet hierbei zwischen dem eigentlichen 
Eigentumsrecht und dem Gebrauchsrecht. Was 
jenes anlangt, so hält er den Privatbesitz nicht nur 
für erlaubt, sondern geradezu für notwendig, und 
er stützt sich dabei ganz auf die bereits von Ari- 
stoteles (Polit. 1, 3, 5) gegen die Platonische 
Thomas von Aquin. 
  
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Gütergemeinschaft ins Feld geführten Gründe. 
Im Privatbesitz liege der dem Menschen not- 
wendige Sporn zur Arbeit und zu der Sorgfalt, 
welche die irdischen Güter erheischen, aber auch 
die Garantie eines friedlichen Gebrauchs der- 
selben. Anders äußert er sich über das Gebrauchs- 
recht. Schon Aristoteles hatte, gewisse liberale 
Gewohnheiten der Lazedämonier billigend, als 
idealen Zustand hingestellt, daß der Besitz als 
O. solcher zwar eigen sei, durch die Nutznießung aber 
zum Gemeingut gemacht werde (a. a. O. 2, 5, 
1263 a 39). Und der hl. Thomas spricht nun 
direkt aus: „Was den Gebrauch betrifft, so soll 
der Mensch die äußeren Güter nicht als eigen, 
sondern als gemeinsame besitzen, so zwar, daß sie 
jemand leicht, wenn andere in Not sind, mitteilt" 
(S. theol. 2, 2, d. 66, a. 2 corp.). Diese schroffe 
Gegenüberstellung von Besitz und Gebrauch gab 
Anlaß zu Mißverständnissen der Thomistischen 
Eigentumslehre. Man hat außer acht gelassen, 
daß jener Gegensatz nicht im Sinn einer streng 
juridischen Betrachtungsweise statuiert wird, son- 
dern daß Thomas, wo er vom Gebrauch der 
Güter redet, „in Übereinstimmung mit dem ge- 
samten Gang seiner ethischen Erörterung in die 
Lehre von der Pflicht des Almosengebens abbiegt"“. 
Ganz deutlich tritt dies hervor in der S. theol. 2, 
2, d. 66, a. 7 corp., wo er ausdrücklich erklärt, 
daß die Verfügung über die eignen Güter, 
um mit ihnen die Notleidenden zu unterstützen, 
dem freien Ermessen jedes einzelnen überlassen sei. 
Und so kann weder diese Betonung der Pflicht 
des Almosengebens noch die Anerkenntnis des auch 
von der Gesetzgebung in alter und neuer Zei) 
(ogl. v. Hertling, Zur Beantwortung usw. 181 
zugestandenen Rechts, in Fällen dringender Not 
eine augenblicklich drohende Gefahr durch Be- 
nutzung fremder Güter abzuwehren, für die Tho- 
mistische Eigentumstheorie die Konsequenz des 
Kommunismus ergeben. Wenn ferner Thomas 
an dem zuletzt angeführten Ort die Teilung und 
Aneignung des Besitzes aus dem menschlichen 
Recht herleitet (per rerum divisionem et ap- 
propriationem ex humano iure procedentem), 
so benimmt er dem Sonderbesitz anderwärts, wo 
er ihn unter das ius gentium rechnet, den 
Charakter einer willkürlichen Institution da- 
durch, daß er ihn als eine naturgemäße Ergän- 
zung des Naturrechts bezeichnet (S. theol. 1, 2, 
q. 94, . 5 ad 3; 2, 2, q. 57, a. 3). Wird 
hinzugenommen, daß Thomas in bostinmier 
Weise das Okkupationsrecht (a. a. O. 2, 2, 
d. 66, u. 2 ad 2; a. 5 ad 2) ursprünglich für 
die Allemeinheit bestimmten oder herrenlosen 
Guts anerkennt, so legt sich die Vermutung nahe, 
daß nur Unkenntnis oder Voreingenommenheit 
bei ihm die Theorie des sozialistischen Kommu- 
nismus finden konnte. Sein Kommunismus ist 
kein anderer als derjenige, welchen eine humane 
Denkweise und das christliche Sittengesetz zur 
Pflicht machen.
	        
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