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unterscheidet, in derjenigen der Nachlommen des
letzten Inhabers der Krone, die Thronfolge in der
Weise vor sich gehe, wie sie in der ersten Klasse
der Intestaterben nach römischem Recht erfolgt,
nur daß heutzutage, wie schon erwähnt, keine
Länderteilungen mehr vorkommen, da man sich
überall der Erstgeburtordnung zugewendet hat.
Dagegen bestehen hinsichtlich der Thronfolge der
eitenderwandt sch Anschauungen. Dar-
über ist man zwar einig, daß nur solche Seiten-
verwandte zur Nachfolge berufen werden können,
welche zugleich Nachkommen des ersten Thron-
inhabers sind, und daß die volle Geburt (die Ab-
stammung auch von der nämlichen Mutter) kein
Vorzugsrecht vor der halben Geburt begründe;
in anderer Hinsicht bestehen aber Meinungsver-
schiedenheiten. Es sind nämlich bezüglich der
Reihenfolge, in welcher die Seitenverwandten zur
Thronfolge zu berufen sind, beträchtlich vonein-
ander abweichende Grundsätze aufgestellt worden:
die einen wollten die Gradesnähe als einzig aus-
schlaggebend gelten lassen, während andere sich für
die ausschließliche Berücksichtigung der Nähe der
Linien (das sog. reine Linealsystem) ausgesprochen
und noch andere sich dafür erklärt haben, daß die
Nähe der Linien und der Grade zugleich in Be-
tracht gezogen werden müsse, und somit das sog.
gemischte oder Linealgradualsystem zur Anwen-
dung bringen wollen, wonach der dem Grad nach
nächste Erbe der dem Erblasser nächststehenden
linea zur Thronfolge berufen wird. Gegenwärtig
ist in den meisten regierenden Häusern Europas
die linealische Erstgeburtordnung der
Agnaten zum Gesetz erhoben worden; es ist also
das reine Linealsystem in der Art ausgestaltet
worden, daß unter gleich nahen Erbfolgeberech-
tigten die Erstgeburt den Ausschlag gibt. Es ge-
staltet sich demmach die Thronfolge so, daß der
erstgeborne männliche Erbe der nächsten Linie vor
den zu den entfernteren Linien gehörigen Erbbe-
rechtigten den Vorzug hat und daß, gerade so wie
in der Klasse der Nachkommen des Erblassers, bei
der Bestimmung der Person dieses Erben das Re-
präsentationsrecht zur Anwendung gelangt, d. h.
daß der dem Grad nach entferntere Erbe an die
Stelle des verstorbenen rückt. Auf diese Art ist
die Thronfolge durch die einschlägigen gesetzlichen
Bestimmungen Badens, Bayerns, Hessens, Oster-
reichs, Preußens, Württembergs und anderer
Staaten geordnet worden.
In gewissen Staaten ist, wie schon kurz erwähnt
wurde, auch eine weibliche Thronfolge aner-
kannt. In den alten Zeiten war das, soweit die
Regierung eines Landes noch als eine amtliche
Tätigkeit erschien, nicht der Fall, und blieb der
Weibsstamm in solchen Gebieten von der Thron-
solge ganz und gar ausgeschlossen. Dem wurde
aber bald anders. Schon die Mehrzahl der alten
Volksrechte und dann später der Sachsen= und der
Schwabenspiegel schlossen bezüglich der Thron-
solge in die allodialen Stammgüter den Weibs-
vers
Thronfolge.
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stamm nicht mehr unbedingt aus. So geschah es,
daß sich die Anschauung bilden konnte, daß der
letztere auch zur Thronfolge in den Besitz der allo-
dialen Herrschaften, in welchen die Regierung als
eine Folge des vollen Eigentumsrechts an dem Ge-
biet betrachtet wurde, berufen sei. Endlich wurde
in der späteren Zeit des römisch-deutschen Reichs
in den allodialen Gebieten die subsidiäre Thron-
solge des Weibsstammes in allen denjenigen Fällen
anerkannt, in welchen sie nicht durch ausdrückliche
gesetzliche Bestimmungen ausgeschlossen war. Bei
Lehen war indessen dieser Stamm in den reichs-
ständischen Häusern nur dann erbberechtigt, wenn
dieselben Weiber= oder gemeine Erblehen waren,
d. h. solche Lehen, welche nach bürgerlichem Recht
vererbt wurden. Heutzutage sind aber nach Auf-
lösung des alten Reichsverbands alle deutschen
Staaten allodial geworden, und so ist denn der
Weibsstamm in denselben gemeinrechtlich als sub-
sidiär thronfolgeberechtigt zu betrachten. Die
meisten neueren Verfassungen erkennen sogar diese
Berechtigung ausdrücklich an, so die von Baden,
Bayern, Hessen, Sachsen und Württemberg, wäh-
rend andere, wie z. B. die preußische, darüber
schweigen, und noch andere, wie die von Olden=
burg, die weibliche Erbfolge auch nach Erlöschen
des Mannsstammes nicht eintreten lassen.
Was nun die Grundsätze anlangt, nach welchen
sich die weibliche Regierungsnachfolge regelt, so“
gelten diesbezüglich gemeinrechtlich oder laut Ver-
fügung der neueren Verfassungsurkunden im all-
gemeinen die nämlichen Vorschriften, welche in
betreff der Thronfolge des Mannsstammes in
dem betreffenden Staat in Kraft stehen, soweit
sich nicht ausdrücklich entgegengesetzte gesetzliche
Bestimmungen finden. So verordnet z. B. die
bayrische Verfassungsurkunde von 1818, Tit. II,
8 5 wie folgt: „. geht die Thronfolge auf die
weibliche Nachkommenschaft nach eben der Erb-
folgeordnung, welche für den Mannsstamm fest-
gesetzt ist, über.“ Es müssen nämlich die zur
Thronfolge berufenen Frauen und deren Nach-
kommen so betrachtet werden, als wären jene
Männer und diese Agnaten, indem beide ein
Recht der Männer und der Agnaten geltend zu
machen berufen erscheinen. So werden denn, in-
wieweit nicht andere gesetzliche Anordnungen Platz
greisen, die dem letzten Inhaber des Throns
nächste Prinzessin, die sog. Erbtochter (und zwar
unter mehreren gleich nahen die erstgeborne), und
deren Nachkommen vor den bereits in früheren
Thronfolgefällen übergangenen Frauen der Seiten-
linien und deren Nachkommen berufen. Das ist
heutzutage unbestritten. Früher sind aber mitunter
andere Anschauungen geltend gemacht worden und
haben auf Grund derselben erhobene Rechlsan-
sprüche, z. B. nach dem Erlöschen des habsburgi-
schen Mannsstammes im Jahr 1750, zum öster-
reichischen Erbfolgekrieg geführt, indem Bayern
mit Berufung auf die Ansprüche einer Regredient-
erbin den Besitz der österreichischen Erblande an-