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setzung des Heimfalls die Berechtigten zu belehnen sich doch in diesem Fall um eine für die Gesamt-
resp. ihnen die Geltendmachung ihres aus der heit hochwichtige Angelegenheit handeln. So könnte
Belehnung erwachsenen Rechts zu sichern versprach. denn die Einführung einer neuen Dynastie in den
Wo nun aber kein Lehnsband mehr besteht, kann Kreis der verbündeten Staatsoberhäupter nicht
auch ein Eintreten in ein solches nicht mehr statt- ohne deren Zustimmung erfolgen.
finden. Etwas anderes ist es dagegen mit den Literatur. H. J. F. Schulze, Das Recht der
aus Gesamtbelehnungen erwachsenden Ansprüchen. Erstgeburt in den deutschen Fürstenhäusern (1851);
Diese bestehen auch gegenwärtig noch zu Recht, Rehm, Modernes Fürstenrecht (1904); Freund,
wenn auch die Gebiete, auf welche sie sich beziehen, Die Regentschaft nach preuß. Recht (1903); La-
-- band, Das Staatsrecht des Deutschen Reichs (4 Bde,
zu allodialen geworden sind. Das ergibt sich aus u190j Kä c
der Natur der Samtbelehnung. Durch diese sind v (Kämpfe, rev. Coermann.]
die Mitbelehnten in die Investitur des Haupt- Thronverzicht s. Abdankung.
einbegriffen worden, es ist ihnen also vpen Tocqueville, Alexis-Charles-Henri-
an bezüglich der Thronfolge in das be--Maurice-Clérel de, französischer Staats-
Territorium derselbe Rechtstitel wie diesem mann, hervorragender Sozialphilosoph und poli-
und dessen Nachkommen verliehen. So tischer Publizist der Neuzeit (180 5/59).
denn die der Samtbelehnung teilhaftig Jugend und Erziehung. Früher Skeptizismus.
Gewordenen als Agnaten, und so kann ihnen denn Studien. In Nordamerika. Reiseeindrücke. An-
auch ihr Recht infolge der Allodifikation des be= derung der Lebensstellung. Erstes Hauptwerk.
treffenden Landes ebensowenig entzogen werden Ansichten über Demokratie und Religion. Offent-
wie diesen, zumal eine derartige Belehnung nicht liches Leben. Parlamentarier. Staatsminister.
ohne Zustimmung des Hauptvassallen erteilt wer-AUmbildung seiner Anschauungen. Zweites Haupt-
den konnte. Durch diese Einwilligung nahm eine werk. Früher Tod. Charakteristik. Kritik seiner
solche auch die Natur eines Erbvertrags an. Es Lehre. Seine Bedeutung. Literatur.])
ist demnach den Nachkommen des Hauptbelehnten Tocqueville wurde geboren auf Schloß Verneuil
nicht gestattet, die Erbfolgerechte der Samt= bei Mantes den 29. Juli 1805 aus altadliger
belehnten ohne deren Zustimmung, etwa zugunsten Royalistenfamilie. Nie erloschen bei Alexis die
der Kognaten, zu beeinträchtigen. Eine Erbfolge glänzenden Erinnerungen an diese Jugendzeit
des Lehnsherrn in die Regierungsrechte des Lehns= unter der Hut einer schwärmerisch verehrten Mutter
trägers, wie sie früher in Ermanglung anderer und eines den historischen Studien über die Zeit
zur Nachfolge Berechtigten Rechtens war und vor= Ludwigs XIV. lebenden Vaters, an Chateau-
kam, ist heutzutage ausgeschlossen, da die Lehns= briand, den geistigen Mittelpunkt des royali-
bande, welche regierende Häuser bis ins 19. Jahrh. stischen Kreises. So sehr Alexis infolge seiner
hinein miteinander verknüpften, gegenwärtig auf= vornehmen und religiösen Erziehung aller Gemein=
gelöst sind. schaft der neurevolutionären Gottlosigkeit fern
Was hat endlich in dem Fall zu geschehen, wo blieb, seine Religiosität hielt beim Übergang ins
bei einer Thronerledigung weder berechtigte Bluts-Metzer Kolleg doch nicht stand. Die Hochflut der
verwandte noch Erbverbrüderte oder Vertrags= Zeitströmung riß auch ihn fort zu Anschauungen,
erben vorhanden sind und auch eine durch testa= welche ihn nach und nach zu jenem Skeptizis=
mentarische Verfügung des letzten Landesherrn mus des politischen und religiösen Lebens und
angeordnete Erbfolge gesetzlich ausgeschlossen ist? Denkens brachten, den er als das größte Unglück
Unter solchen Umständen muß der letztere dazu seines Lebens zu beklagen nie aufgehört hat. Das
schreiten, die Erbfolge auf gesetzlichem Weg, also ruhelose Streben und Hasten nach dem au dela,
unter verfassungsmäßiger Mitwirkung der gesetz= nach dem Unbekannten, der Zukunft im Gegensatz
lichen Vertretungskörper zu regeln. Sollte das zu dem, was ihm das Leben und seine Umgebung
aus irgend welchen Gründen, z. B. deshalb un= bot, sollte ihm zeitlebens anhaften.
möglich sein, weil der letzte Souverän unvorherr Die Vollendung seiner juristischen Studien
gesehenerweise mit Tod abgeht, so wird der Volks= (1826) befriedigte ihn wenig wegen des hier herr-
vertretung das Recht nicht abgestritten werden schenden Formalismus und enggeistigen Spezia-
konnen, zur Wahl eines neuen Staatsoberhaupts listentums, das nicht nach den psychologischen und
zu schreiten und dadurch eine neue Dynastie zur sozialen Endursachen alles Rechtslebens fragte.
Leitung der Geschicke des Landes zu berufen. In Eine große Reise nach Italien und Sizilien, über
den Ländern, welche einem bundesstaatlichen Ver= welche umfassende, aber wenig geordnete und ge-
band angehören, also im Deutschen Reich, kann reifte Berichte vorliegen, brachte ebensowenig wie
natürlich ein Eingreifen der verbündeten Staaten, das von ihm unter Chateaubriands Patronat im
die im Bundesrat ihre verfassungsmäßige Ver= Salon der Frau von Rccamier gepflegte schön-
tretung finden, nicht umgangen werden. Wie geistige Leben Licht in das dunkle Ringen seiner
schon zu den Zeiten des Deutschen Bundes die l Seele; sein hochstrebender scharfer Blick und der
Bundesversammlung als das berufene Organ er= ihn zeitlebens auszeichnende Unabhängigkeitssinn
schien, welches in diesem Fall einzugreifen hätte, verbunden mit der Geradheit und Aufrichtigkeit
so müßte es heutzutage das Reich tun. Würde es? seines ganzen Wesens ließ ihn das zur Mode