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Schulden übernahmen oder selbst Anleihen ab-
schlossen, zu deren Verzinsung und Tilgung die
bewilligten Steuern dienen sollten. Seit dem
Ausgang des Mittelalters nahmen die Geldbe-
dürfnisse der Staaten, besonders die außerordent-
lichen, zu Schulden Anlaß gebenden, infolge der
veränderten Art des Heerwesens und der Krieg-
führung in immer steigendem Maß zu. Zugleich
aber wuchs die Macht des Landesherrn gegenüber
den hemmenden Beschränkungen durch kleinere
Machtkreise, in Deutschland freilich nicht zugunsten
des Staatsoberhaupts, sondern zugunsten der ein-
zelnen Reichsfürsten. Es entwickelte sich das un-
umschränkte Regiment der Fürsten, in deren Person
sich die Staatsidee verkörperte. Ihr persönlicher
Kredit floß daher auch mit dem des Staats zu-
sammen. Nur in England führte schon im 17. Jahrh.
eine Revolution, die wesentlich durch die finan-
ziellen Bedrängnisse des Königs hervorgerufen
wurde, zu einer Verfassung, welche die Schaffung
von Staatsschulden ebenso wie den ganzen Staats-
haushalt von der Bewilligung der Volksvertretung
abhängig machte. Mit den Fortschritten der In-
Staatss
chulden.
die Staatsschulden vermehrt, aber auch Gegen-
werte geschaffen wurden. Neue Schuldenlasten
entstanden den europäischen Staaten durch die
Kriege in der zweiten Hälfte des 19. Jahrh.,
besonders durch den Krimkrieg 1854/55, der Ruß-
land, der Türkei, England und Frankreich schwere
Lasten auferlegte.
Die Jahre 1859/60 brachen eine starke Er-
höhung der österreichischen, französischen und italie-
nischen Staatsschuld durch den Krieg in Italien;
während der Krieg zwischen Preußen und Oster-
reich im Jahr 1866 verhältnismäßig geringe
Opfer erforderte. Um so größer war die Ver-
mehrung der Schuldenlast Frankreichs nach dem
Krieg mit Deutschland in den Jahren 1870/71,
weil es außer seinen eignen Kriegskosten auch noch
5000 Mill. Franken Entschädigung an Deutsch-
land zu zahlen hatte. Die russische und ebenso die
türkische Staatsschuld erfuhr eine weitere Stei-
gerung durch den russisch-türkischen Krieg der
Jahre 1877/78.
Dann folgte eine Zeit des Friedens unter den
europäischen Staaten, gleichzeitig aber begann
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dustrie, des Handels und Verkehrs vermehrten sich auch die ungeheure Zunahme der Rüstungen
die Staatseinnahmen und damit die Grundlagen zu Land und zur See, an der alle europäischen
des Staatskredits. In noch größerem Maß wuchsen Großmächte beteiligt waren, und damit auch eine
aber auch durch die häufigen, so kostspielig ge= neue Ursache der Schuldenvermehrung.
wordenen Kriege und zum Teil durch die Ver- Einzelne Staaten, wir nennen hier nur die
schwendung der Höfe die Staatsschulden in ver= deutschen Bundesstaaten, Osterreich-Ungarn, Ita-
schiedenen Formen. Zwangsanleihen mußten häufig lien, die Schweiz, gingen in den letzten Dezennien
aushelfen, wenn der Kredit versagte. des 19. Jahrh. zur Verstaatlichung der
Die welterschütternden politischen Ereignisse, Eisenbahnen über, welche wiederum eine Ver-
welche zu Ende des 18. Jahrh. mit der französischen mehrung der Staatsschulden um viele Milliarden
Revolution begannen, richteten zunächst in Frank= verursachte. Allein diese Art der Schuldenver-
reich den durch die hervorgegangeneschlechte Finanz= mehrung war wenigstens eine volkswirtschaftlich
wirtschaft schon tief gesunkenen Staatskredit voll= berechtigte, indem sie für zinsbringende, werbende
ends zugrunde und führten dort zu einem groß- Anlagen erfolgte, die zum Teil den betreffenden
artigen Staatsbankrott. Nach Wiederherstellung Staaten noch reichen Ertrag über die Verzinsung
geordneter Zustände unter dem Kaiserreich hob sich und Tilgung der Schuldbeträge hinaus erbrachte.
aber der Kredit Frankreichs bald wieder. Die fol-e- Das 20. Jahrh. gab eine neue Veranlassung
genden Kriege, in denen Frankreich so lange Sieger zur Vermehrung der europäischen Staatsschulden
blieb, häuften dagegen die Schuldenlast und zer= durch die kolonialen Unternehmungen
rütteten den Kredit der andern europäischen Staa= Englands, Frankreichs, Italiens, Rußlands und
ten, insbesondere Englands. Die übermäßige des Deutschen Reichs, welche abermals Riesen-
Ausgabe und Entwertung von Papiergeld kam summen verschlangen. Diese Unternehmungen
jetzt fast überall in den größeren Staaten vor, in gingen nicht immer friedlich vor sich, Deutschland
manchen auch teilweiser Staatsbankrott anderer opferte große Summen infolge der Aufstände in
Art. Am Schluß dieser mit der Niederwerfung China und Südwestafrika, England infolge des
der französischen Ubermacht endenden Epoche hatten Burenkriegs, der mit der Annexion des Trans-
die Staatsschulden in Europa eine bis dahin un= vaalstaats endigte, Frankreich in Tonkin, Mada-
erhörte Höhe erreicht. In der folgenden langen gaskar und Nordafrika; am schlechtesten schnitt
Friedensperiode nahm aber der Wohlstand der Spanien ab, welches zu den Kosten der lang-
Völker einen großen Aufschwung. Das Finanz= jährigen Aufstände auf Kuba und den Philippinen
wesen der Staaten wurde geordnet, das System schließlich auch noch seinen Kolonialbesitz durch
der Besteuerung verbessert, die Tilgung der Schul= den Krieg mit den Vereinigten Staaten von
den in Angriff genommen. Wo nicht besondere Amerika verlor. Auch Rußlands Staatsschuld er-
Verhältnisse, wie die bürgerlichen Unruhen in fuhr durch den unglücklichen Krieg mit Japan eine
Spanien, entgegenwirkten, erreichte der Kredit der ganz bedeutende Steigerung. Den Vereinigten
Staaten nach und nach den günstigsten Stand. Staaten von Amerika war durch den Sezes-
Vielfach wurde er nun zu nüttzlichen und frucht= sionskrieg zwischen den Nord= und Südstaaten
bringenden Verwendungen benutzt, wodurch wohl in den Jahren 1861 bis 1865 eine große Schuld
Staatslexikon. V. 3. u. 4. Aufl. 2