Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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bieten. Eine deutsche Übersetzung des Ancien Ré- 
gime erschien in Leipzig 1857 u. 1867. Souvenirs 
de A. de T., behandelnd das Revolutionsjahr 
1848 u. seine Ministerzeit 1849, gab zu Paris 
1893 der Enkel seines Bruders heraus. Von T.s 
Briefwechsel erschien in vollständiger Sonder- 
ausgabe der mit Graf Gobineau aus den Jahren 
1843°59, hrsg. von L. Schemann (Par. 1909); 
Fragmente aus den Unterredungen mit Nassau- 
Senior aus den Jahren 1848/58 sind beigegeben 
dem Werk von E. d'Eichthal, A. de T. et la démo- 
cratie liberale (Par. 1873). Vgl. ferner R. P. 
Marcel, Essai politique sur A. de T. (mit zahl- 
reichen, bisher unveröffentlichten Dokumenten; 
ebd. 1910). 
[Weinand, rev. Ettlinger.] 
Todesstrafe. [Geschichtliches; Theorie; Ge- 
setzgebung; Strafrechtsreform.) 
I. Geschichtliches. In Rom wurde die Todes- 
strafe, die in der ältesten Zeit sehr häufig Anwen- 
dung gefunden hatte, zur Zeit der XII Tafeln bei 
den cives romani fast verdrängt durch die aquse 
et ignis interdictio; sie fand dann aber mwieder 
mehr Anwendung in der sullanischen Reform der 
Strafgesetzgebung. Ihr Anwendungsgebiet wurde 
noch erweitert in der Zeit des republikanischen und 
des absoluten Cäsarentums. Bei den Germanen 
war in ältester Zeit der öffentliche Charakter des 
Strafrechts verhältnismäßig weniger ausgebildet; 
es überwog bei gemeinen Verbrechen die Blutrache, 
die der Sippe des Verletzten oblag. In der all- 
mählichen Weiterentwicklung des Strafrechts aber 
kommt der Todesstrafe eine erhebliche Bedeutung 
zu. In der Karolinger Zeit wurde sie wesentlich 
eingeengt, und zwar unter dem Einfluß des Christen- 
tums. Späterhin nahm das Strafrecht wieder einen 
härteren Charakter an. Die Peinliche Gerichts- 
ordnung Karls V. (Carolina) von 1532 kennt 
solgende Todesstrafen: a) qualifizierte (vierteilen, 
lebendig begraben und pfählen, Feuertod und 
Rad), b) einfache (Ertränken, Galgentod, Ent- 
hauptung mit dem Schwert). Ein Umschwung im 
Sinn einer wesentlichen Milderung der Straf- 
rechtspflege trat erst in der sog. Aufklärungsperiode 
ein. An Stelle der Todesstrafe gelangte allmäh- 
lich die Freiheitsstrase zu einer herrschenden Stel- 
lung im Strafensystem. 
Was die Stellung der Kirche zu der Todes- 
strafe anlangt, so stellt Pohle (Lehrbuch der Dog- 
matik II (71909) 236 f) als tatsächlich fest, daß 
die Kirche weder jemals ein Todesurteil gefällt, 
geschweige denn ausgeführt, noch daß sie sich je- 
mals selbst das Recht der Todesstrafe oder das 
ius gladi# beigelegt habe. Wo immer die Kirche 
im Mittelalter ein Verbrechen abzuurteilen hatte, 
welches nach dem weltlichen Strafrecht des „Glau- 
bensstaats“ mit dem Tod geahndet wurde, wie 
z. B. die freigewollte und bewußte Häresie, über- 
gab sie jedesmal den Verbrecher dem „weltlichen 
Arm“ zur Bestrafung. Unter dem prinzipiellen 
Gesichtspunkt betrachtet, erscheint das jus gladii 
als eine rein akademische Frage, die von den Ka- 
Todesstrafe. 
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nonisten verschieden beantwortet wird. Doch ver- 
tritt wohl die überwiegende Mehrzahl die Ansicht, 
daß die Kirche ein Recht zur Verhängung der 
Todesstrafe überhaupt nicht besitzt, was allerdings 
einzelne neuere Kanonisten bestritten haben, wie 
z. B. Tarquini und De Luca. Dagegen führt 
der Kanonist Cavagnis in UÜbereinstimmung mit 
den meisten romanischen und deutschen Kirchen- 
rechtslehrern aus, daß sich das kirchliche „Recht 
des Schwertes“ schlechterdings nicht beweisen 
lasse, denn es habe weder in der Schrift noch in 
der Tradition die geringste Stütze. Papst Niko- 
laus I. tat den Ausspruch: Sancta Dei Eeclesia 
gladium non habet nisi spiritualem; non oc- 
cidit, sed vivificat. Ihren Klerikern hat die 
Kirche ausdrücklich verboten, an der Fällung oder 
Vollziehung eines Todesurteils teilzunehmen 
(Cc. 29. 30, C. XXIII, q. 8; c. 5. 9 X 3, 50). 
Das Recht der weltlichen Gewalt, zum Schutz der 
gesellschaftlichen Ordnung die Todesstrafe zu ver- 
hängen, ist anderseits durch die Kirche nicht in 
Frage gestellt worden. 
II. Cheorie. In der neueren Strafrechts- 
wissenschaft wurden Berechtigung, Notwendig- 
keit und Zweckmäßigkeit der Todesstrafe vielfach 
umstritten. Die wichtigsten Einwände, die man 
gegen die Todesstrafe erhoben hat, lassen sich 
etwa folgendermaßen zusammenfassen: die Todes- 
strafe überschreite die menschliche Machtvollkommen- 
heit; sie sei nicht nur als roh und kulturwidrig zu 
verwerfen, sondern sie stelle auch, im Gegensatz zu 
den andern möglichen Strafmitteln, ein dem Ver- 
brecher angetanes Übel dar, dessen Tragweite sich 
nicht übersehen lasse; es fehle ihr ferner die Teil- 
barkeit und die Individualisierbarkeit; sie sei für 
alle Verbrechen, auf die sie gesetzt ist, gleich, ob- 
wohl diese Verbrechen sich alle voneinander unter- 
chieden und es niemals vorkomme, daß eine ver- 
brecherische Tat sich mit einer andern vollständig 
decke; die Unschädlichmachung lasse sich regelmäßig 
auch durch lebenslängliche Freiheitsstrafe er- 
reichen; die Besserung des Schuldigen aber werde 
durch die Todesstrafe nicht nur nicht befördert, 
sondern möglicherweise — bei solchen, die sich bis 
zuletzt der Bekehrung widersetzen — geradezu ver- 
eitelt. Endlich macht man der Todesstrafe (neben 
dem letztgenannten wohl einer der beachtlichsten 
Einwände) ihre Irreparabilität zum Vorwurf: 
bei allen andern Strafen könne im Fall der Ver- 
urteilung eines Unschuldigen das Unheil, bis zu 
einem gewissen Grad wenigstens, wieder gut ge- 
macht werden, so bei der Geldstrafe durch Wieder- 
erstattung, bei der Freiheitsstrase durch Entlassung 
und Entschädigung, bei Ehrenstrafen durch Reha- 
bilitation; an der einmal vollzogenen Hinrichtung 
eines Unschuldigen dagegen sei nichts mehr zu än- 
dern. Die Gefahr eines Justizirrtums und seiner 
Konsequenzen aber werde durch einen guten Straf. 
prozeß und durch eine angemessene Handhabung 
des Begnadigungsrechts zwar abgeschwächt, aber 
nie gänzlich ausgeschaltet. 
  
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