Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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Dekret der provisorischen Regierung vom 7. Jan. 
1890, durch Verfassung vom 24. Febr. 1891 
und durch Vereinsgesetz vom 10. Sept. 1893, in 
Kuba seit Errichtung der Republik am 20. Mai 
1902, in Ecuador durch Gesetz vom 28. Olt. 
1902 und durch Verfassung vom 23. Dez. 1906, 
in den schweizerischen Kantonen Genf durch Ge- 
setz vom 15. bzw. 29./30. Juni 1907 und Basel- 
Stadt durch Gesetz vom 30. Jan. bzw. 5./6. März 
1910, in Portugal durch Gesetz vom 21. April 
1911. Dagegen wurde die Trennung im Kanton 
Neuenburg vom Volk abgelehnt (vgl. zum Ganzen 
Rothenbücher a. a. O. 116 ff 187 ff 398 ff 93 ff 
354 ff 362 ff 370 f 371 ff 387 ffl. 
Nicht können zu den Ländern wenigstens mit 
voller Trennung von Kirche und Staat gerechnet 
werden Kanada, die britischen Kolonien Austra- 
lien, Neuseeland und Kapkolonie, Italien, Nieder- 
lande, Irland. In Italien läßt es schon das 
Garantiegesetz vom 13. Mai 1871 nicht zur vollen 
Trennung kommen. In den Niederlanden stehen 
neben vielen zur Trennung gehörigen Zügen an- 
derseits viele Momente einer sehr engen Verbin- 
dung von Kirche und Staat. Ahnliches gilt von 
Irland (vgl. Rothenbücher a. a. O. 429 ff 177 ff 
409 ff 373 ff 425 ffö. 
III. Grundzüge der Trennung von Kirche 
und Staat. Wenn so in vielen Staaten volle 
Trennung von Kirche und Staat besteht, so 
herrscht doch, abgesehen von den Ländern mit un- 
vollständiger Trennung keineswegs inhaltliche 
Gleichheit. Die Differenz zwischen freundlicher 
Nachbarschaft und feindseliger Befehdung samt 
dazwischenliegenden Nuancierungen läßt sich am 
besten illustrieren durch die Vereinigten Staaten 
von Amerika und Frankreich. 
1. Wenn in den Vereinigten Staaten 
auch durch Bundesrecht weiteste Gewissens-, Re- 
ligions= und Kultusfreiheit besteht, so sind die 
religiösen Verhältnisse durch Bundes= und Einzel- 
staatenrecht doch vielfach gesetzlich normiert. So ist 
den Mormonen die Vielweiberei verboten, können 
Atheisten da oder dort kein Staatsamt erhalten. 
Als allgemeine Grundzüge solcher Berührung von 
Kirche und Staat lassen sich herausheben: 
In den meisten Verfassungsurkunden findet sich 
ein Hinweis auf Gott und die Notwendigkeit der 
Religion. Die Sitzungen des Bundeskongresses 
und vieler Einzelkongresse werden mit Gebet er- 
öffnet. Es bestehen strenge staatliche Normen über 
die Sonntagsheiligung. Der Präsident und die 
Regierungen ordnen Dank- und Bußtage an. 
Religiöse Versammlungen sind gegen Störungen 
strafrechtlich geschützt. Ebenso wird die Gottes- 
lästerung kriminell geahndet. Im Heer, in der 
Marine, in andern staatlichen Instituten und An- 
stalten ist für die Pflege des religiösen Lebens und 
die Befriedigung religiöser Bedürfnisse durch An- 
stellung von Geistlichen verschiedener Konfession 
gesorgt. Die Ehe lann mit staatlicher Traulizenz 
in staatlich gültiger Weise auch in rein kirchlicher 
Trennung von Kirche und Staat. 
  
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Form geschlossen werden. Bei der Eidesform wird 
auf etwaige religiöse Bedenken Rücksicht genommen. 
Solche werden auch respektiert bei Personen, die 
es mit ihrem Gewissen nicht vereinbaren können, 
Waffen zu tragen. 
Aber eine Berührung zwischen dem Staat und 
der Kirche als solcher findet nicht statt. Der 
Staat kennt keine Kirche als solche. Er leiht daher 
auch der kirchlichen Jurisdiktion als solcher seine 
Exekution nicht. Was er allein kennt, das ist der 
einzelne religiöse Verein, dementsprechend daß in 
Amerika von Anfang an eine Menge Sekten vor- 
handen war. Zur juristischen Person wird der 
einzelne religiöse Verein unter irgend einer der 
vom Staat hierfür vorgesehenen allgemein gül- 
tigen Formen. Es bestehen aber da oder dort, 
entsprechend der besondern Qualifizierung der 
katholischen Kirche, noch sonderrechtliche Formen; 
so bilden nach Neuyorker Recht der Erzbischof oder 
der Bischof und der Generalvikar der Dihzese, zu der 
eine inkorporierte römisch-katholische Kirche gehört, 
der Rektor einer solchen Kirche und deren Nach- 
folger im Amt mit zwei von diesen kirchlichen 
Würdenträgern oder deren Mehrheit gewählten 
Laien die rechtliche Vertretung der Kirche, die 
trustee. Neben dem Trustsystem besitzt aber die 
katholische Kirche noch in vielen Staaten in dem 
Institut der corporation sole die Möglichkeit, 
stiftungsgemäß Kirchengut zu erhalten. Unter der 
corporation sole wird die mit juristischer Per- 
sönlichkeit ausgestattete Einheit der aufeinander 
solgenden Träger eines Amts, hier des bischöf- 
lichen Amts verstanden. Das Vermögen dieser 
juristischen religiösen Vereine ist von den Steuern, 
ihre Geistlichen sind vom Geschworenen= und 
Militärdienst befreit. Anderseits bestehen allent- 
halben Amortisationsgesetze. Uber vermögensrecht- 
liche Streitigkeiten entscheiden die bürgerlichen 
Gerichte. Für sie ist aber bei Ausschluß eines 
Mitglieds aus der Church, bei Disziplinierung 
eines Geistlichen und etwaiger vermögensrechtlicher 
Klage aus dessen Anstellungsvertrag die Entschei- 
dung der Kirche maßgebend. Spaltet sich die 
Gemeinde in eine strengere und freiere Richtung, 
so bleibt nach gerichtlichem Herkommen diejenige 
im Eigentum des Kirchenvermögens, welche nach 
der Entscheidung des Gerichts die alte Lehre bei- 
behalten hat. Eine exekutive Gewalt aber leiht der 
Staat der kirchlichen Jurisdiktion als solcher nicht. 
Er greift nur da ein, wo eine Klage aus Ver- 
letzung der Rechte Dritter an ihn kommt (ogl. 
Nothenbücher a. a. O. 131 ff; Kahl, Aphorismen 
zur Trennung von Staat und Kirche (Rektorats- 
rede], in Internationale Wochenschrift Nr 16, 
24. Olt. 1808, 1359 s). 
2. Der Hauptinhalt des französischen Tren- 
nungsgesetzes ist solgender: 
Titel I enthält die allgemeinen Grundsätze. Da- 
nach sichert die Republik die Gewissensfreiheit und 
die freie Üübung der Kulte zu (Art. 1). Die Repu- 
blik anerkennt und unterstützt keinen Kult mehr.
	        
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