Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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es aber unmittelbar wieder auflebende Rechtspflicht 
des Staats, der Kirche das entzogene Gut wieder 
zurückzugeben. Da aber der Staat das säkulari- 
sierte Kirchengut unmöglich alles herausgeben kann, 
elbst wenn er wollte, so geht der Prozeß ohne die 
schwersten materiellen Verluste für die Kirche nicht 
ab. So wird die Trennung von Kirche und Staat 
zum Raub an der Kirche, zu einer Frivolität, 
zur Lockerung des Vertrauens in den Staat, zu 
einer Erschütterung in seinen Grundfesten. 
Daher hat sich die kirchliche Autorität, der Apo- 
stolische Stuhl sowohl als die Bischöfe, wiederholt 
gegen die Trennung ausgesprochen. So Gre- 
gor XVI. gegen Lamennais in der Enzyklika 
„Mirari vos“ vom 15. Aug. 1832 (Denzinger- 
Bannwart, Enchiridion 11 n. 1615), Pius IX. 
im 55. Satz des Syllabus vom 8. Dez. 1864 
durch Verwerfung der Forderung: Ecclesia a 
statu statusque ab ecclesia seiungendus 
est. Leo XIII. hat die beiden Sätze seiner Vor- 
gänger wiederholt in der Enzyklika „Immortale 
Dei“ vom 1. April 1885 (Denzinger-Bannwart 
a. a. O. n. 1718). Wiederholt mußte sich Pius X., 
wie bereits bemerkt, gegen die Trennung von 
Staat und Kirche in Frankreich aussprechen in 
den Enzykliken „Vehementer Nos"“ vom 11. Febr. 
6 „Gravissimo officiü#“ vom 10. Aug. 1906 
und „Une fois encore“ vom 6. Jan. 1907. 
Ebenso bestimmt hat derselbe Papst durch Enzyk- 
lika „lam modo“ vom 21. Mai 1911 sich gegen 
das ganz ungerechte portugiesische Trennungsgesetz 
ausgesprochen. Ebenso haben sich gegen die Tren- 
nung erklärt die zu Würzburg im Herbst 1848 
versammelten deutschen Bischöfe (Archiv für kathol. 
Kirchenrecht XXI (1869] 229). Ahnlich sprach 
sich Bischof Ketteler gegen die Trennung aus (Frei- 
heit, Autorität und Kirche [1862) 182). So steht 
der italienische Bischof Bonomelli allein mit seiner 
bereits erwähnten Befürwortung der Trennung 
von Kirche und Staat. 
Soll nach dem Gesagten die Trennung nicht 
sein, so kann sie auch nicht sein, wenigstens nicht 
als vollkommene. Das geht schon daraus hervor, 
daß die beiden obersten Gewalten es fortwährend 
mit dem einen Individnum zu tun haben. Da 
  
können sie ohne Berührung bzw. Reibung nicht 
aneinander vorbeikommen. An allerklarsten leuchtet 
das ein, wenn man bedenkt, daß der oberste In- 
haber der staatlichen Gewalt selbst wieder ein Mit- 
her viel zu gewaltige Mächte, als daß sie „mit 
einem Privatverein, mit einer Aktien-, wissen- 
Wohltätigkeits- oder politischen Verein identifi- 
Trennung von Kirche und Staat. 
  
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bis er etwa bei Differenzen in und zwischen den 
physischen und juristischen Persönlichkeiten inner- 
halb der Kirche oder auch zwischen solchen ver- 
schiedener Kirchen seine Rechtshilfe auf Anrufen 
gewährt, sondern er muß oft im Interesse seiner 
eignen Wohlfahrt von sich aus einschreiten. Da- 
her besteht, wie bereits bemerkt wurde, diese voll- 
ständige Trennung so gut wie nirgends, so nicht 
in den Vereinigten Staaten von Amerika, Bel- 
gien, Italien. Und am allerwenigsten in Frank- 
reich. Bereits wurde darauf hingewiesen, daß 
viele aus der Trennung von Kirche und Staat 
die Oberherrschaft der Kirche über den Staat be- 
fürchten, „die freie Kirche im unfreien Staat“. 
Deswegen ist die Trennung von Kirche und Staat 
in Frankreich nicht zur Freilassung, sondern zur 
Knebelung der Kirche geworden. Das führt Papst 
Pius X. in der Enzyklika „Vehementer Nos“ 
bestens aus. „Wenn Wrr jetzt“, so schreibt der 
Papst nach den prinzipiellen Ausführungen gegen 
die Trennung weiter, „das Gesetz in sich selbst 
einer Prüfung unterwerfen, so finden Wir darin 
einen neuen Grund, um Uns noch viel energischer 
zu beklagen. Da der Staat die Bande des Kon- 
kordats zerriß und sich von der Kirche trennte, so 
hätte er die natürliche Schlußfolgerung ziehen, ihr 
ihre Unabhängigkeit lassen und ihr gestatten müssen, 
in Freiheit das gemeine Recht zu genießen. Nun 
ist tatsächlich in Wahrheit nichts weniger ge- 
schehen als das. Vielmehr sehen Wir eine Reihe 
von Bestimmungen, welche in gehässiger Weise 
einschränkend sind und die Kirche unter die Herr- 
schaft der bürgerlichen Gewalt stellen. So war es 
für Uns ein bitterer Schmerz zu sehen, daß der 
Staat in Gebiete einbreche, welche ausschließlich 
in den Bereich der kirchlichen Behörde fallen. Und 
Wir beklagen das um so mehr, als er unter Außer- 
achtlassung der Billigkeit und Gerechtigkeit da- 
durch der Kirche eine äußerst niederdrückende Lage 
bereitet hat, wobei ihre heiligsten Rechte unter- 
drückt werden.“ Diese Eingriffe aber beständen 
näherhin darin, daß das Trennungsgesetz die Ver- 
waltung und den Schutz des öffentlichen Kultus 
nicht den verfassungsmäßigen kirchlichen Organen, 
nämlich den Bischöfen überlasse, sondern sie einer 
Vereinigung von weltlichen Personen zuweise, den 
Kultusvereinen, die in einer solchen Abhängig- 
keit von der bürgerlichen Autorität sein würden. 
daß die kirchliche Behörde offenbar über sie keine 
glied der Kirche, in den protestantischen Kirchen 
vielfach das membrum praecipuum der Kirche 
ist. Sodann sind die Kirchen die Vertreter von 
viel zu wichtigen öffentlichen Interessen und da- 
Gewalt haben werde. Als weitere Eingriffe führt 
der Papst an, daß das Gesetz die Predigt des 
Glaubens und der katholischen Moral hemme, 
gegen den Klerus strenge Ausnahmeverordnungen 
einführe, namentlich aber die Gerechtigkeit umstürze 
und die Rechte des Eigentums, welche die Kirche auf 
schaftlichen oder Vergnügungsgesellschaft, einem 
mit Füßen trete (Acta S. Sedis JXXXIX 8 ff). 
ziert"“ werden könnten (Kahl, Lehrsystem des 
Grund verschiedener Rechtstitel erworben habe, 
Wenn so die Trennung von Kirche und Staat in 
Kirchenrechts und der Kirchenpolitik 305; vgl. der Regel Knechtschaft für die Kirche bedeutet — 
auch Hinschius a. a. O. 262). Unter diesen Um- nur die Vereinigten Staaten von Amerika, Bel- 
ständen kann der Staat oftmals nicht warten, 
gien und Brasilien machen eine Ausnahme —, so
	        
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