Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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da er die Protoplasmasubstanz angreift; zwar will 
Professor Neumann in Heidelberg gefunden haben, 
daß das nur im Anfang geschehe, späterhin wirke 
er Eiweiß ersparend; aber nach Professor Kasso- 
witz ist das lediglich eine Folge der narkotischen 
Herabsetzung der Muskelspannung und Muskel- 
kraft. Er vermehrt zwar die Wärme, ebenso aber 
auch die Wärmeabgabe. Selbst Professor Neu- 
mann betont übrigens, daß er „ein unrationeller, 
sehr teurer und auch gefährlicher Nahrungsstoff“ 
sei (Der Alkoholismus III 87). Der Alkohol gibt 
nur das Gefühl der Kraft, aber nicht diese selbst. 
2) Trinken macht froh. Die sog. euphorische Wir- 
kung des Alkohols (Hebung der Gemütsstimmung) 
wird besonders von solchen betont, die Gegner der 
Abstinenz sind. Die Wirkung ist auch bei ganz 
mäßigem Genuß unbestreitbar. Sie ist jedoch auch 
dann nicht auf eine innere Hebung des Menschen 
zurückzuführen, sondern auf eine narkotische Läh- 
mung feiner Nervenzentren, wodurch lästige Ge- 
sfühle abgestumpft werden. 
II. Die direkten Schädigungen durch Al- 
koholgenuß sind ungeheuer groß; sie beziehen sich 
1. auf die Gesundheit. „Es gibt wenige Organe 
unseres Körpers, denen der Alkohol nicht schweren 
Schaden zufügt. Schon die Kehle, die ihn schlucken 
muß, verdirbt er, sie schmerzt und klingt rauh und 
heiser. Im Magen bewirkt er Entzündungen. Auch 
Leber und Nieren leiden. Die Leber wird bei Bier- 
und Weintrinkern ausgedunsen, bei Schnaps- 
trinkern schrumpft sie zusammen, ähnlich die Nie- 
ren; die Wassersucht hängt oft damit zusammen. 
Sehr gefährdet wird namentlich das Herz. Für 
dieses ist das Biertrinken besonders gefährlich 
wegen der großen Menge der Flüssigkeit, die vom 
Blut ausgenommen wird und vom Herzen durch 
die Adern getrieben werden muß. Die Folge ist 
Verfettung und Erweiterung des Herzens („Bier- 
herz“), die zum Kranksein und Sterben sehr nützlich 
ist“ (Bode). Als direkte Alkoholkranke wurden von 
1895 bis 1904 inpreußische Heilanstalten 133502 
aufgenommen. Die antihygienische Wirkung des 
Alkohols zeigt sich aber noch besonders darin, daß 
er die Widerstandskraft des Körpers schwächt und 
daher den Menschen leichter erkranken und leichter 
der Krankheit erliegen läßt. Ganz besonders gilt 
das gegenüber den Infektionskrankheiten (Lungen- 
entzündung, Tuberkulose, Typhus, Cholera, Tro- 
penkrankheiten usw.). Dafür liegen besonders in 
England Beobachtungen vor, wo man schon 
Krankenkassen hat, die lediglich Abstinenten um- 
fassen. Ein Vergleich der Sons of Temperance- 
Kasse (Abstinenten) mit drei nichtabstinenten Kassen 
für einen 5jährigen Zeitraum zeigt das besonders 
deutlich für die höheren Lebensalter. Während 
die Krankheitszeit für Mitglieder der ersten Kasse 
im Durchschnitt eine Dreiviertelwoche betrug, stieg 
sie für die andern auf 2,5 bis 2,8 Wochen; nach 
dem Alter der Mitglieder waren die Zahlen fol- 
gende: für jene von 18 bis 30 Jahren 0.5 bzw. 
0. 75 bis 0,86; von 31 bis 40: 0,86 bzw. 1,02 
  
Trunksuchtsbekämpfung. 534 
bis 1,10; von 41 bis 50: 0,91 bzw. 1,54 bis 
1,61; von 51 bis 60: 0,81 bzw. 2,83 bis 2,94; 
von 61 bis 70: 0,73 bzw. 5,79 bis 6,90. Wie 
sehr der Alkohol die Sterblichkeit beeinflußt, wird 
am besten dadurch illustriert, daß die meisten 
schottischen und englischen Lebensversicherungs- 
gesellschaften eigne Abteilungen für Abstinenten 
mit billigeren Prämien eingerichtet haben; ja der 
Rechabitenorden (s. unten) ist nur deshalb ins 
Leben getreten, um Lebensversicherungskassen le- 
diglich für Abstinenten zu gründen; er hat fest- 
gestellt, daß die Sterblichkeit der Rechabiten in 
allen Lebensaltern nur 60 bis 88% jener der 
Nichtabstinenten beträgt. Nach amtlichen englischen 
Sterberegistern über 6464 8 Personen starben von 
Spirituosenverkäufern je 240 % an Leber= und 
Nerven= 140 %%# an Herzkrankheiten und 55 % # 
an Alkoholismus, während im allgemeinen die 
Zahlen betrugen 39, 119, 120, 10 % 0 (Hoppe). 
2. auf das geistige Leben. „Biertrinken macht 
dumm.“ Hierüber haben besonders Professor 
Kraepelin-München und seine Schüler bedeutende 
Versuche angestellt, indem sie von den Versuchs- 
personen Zahlen auswendig lernen, addieren und 
Assoziationen (innere, äußere, Klangassoziationen) 
bilden ließen. An den fünf ersten alkoholfreien 
Tagen ergaben sich 46,8% wertvolle Assozia- 
tionen; vom 6. bis 11. (bei täglich 40 gr Alkohol= 
genuß) nur noch 20,6% ; vom 12. bis 17. (täglich 
80 gr) nur 11,3 % z an den folgenden alkohol- 
freien Tagen stiegen sie wieder auf 40,6 %. 
Privatdozent Hecker-München untersuchte die Lei- 
stungen von 4662 Schulkindern in 111 Klassen; 
von ihnen tranken 638 keinen Alkohol, 1380 zu- 
weilen, 1920 täglich einmal, 659 täglich öfter, 211 
waren Trinker; im allgemeinen standen die Ab- 
stinenten am besten. Vor allem zeigt sich bei trin- 
kenden Kindern außerordentlich häufig Schläfrig- 
keit und Zerstreuung. 
3. auf das sittliche Leben. Der Alkoholgenuß 
befördert Kriminalität und Unzucht. Auf ersteres 
hat schon Dr Bär 1878 aufmerksam gemacht auf 
Grundeiner Enquete an 120 deutsche Strafanstalten 
mit 7392 Gefängnis= und 16 855 Zuchthaus- 
sträflingen; von ersteren waren 3324 = 45% 
Trinker (/“4 Gelegenheits-, ¼ Gewohnheits- 
trinker), von letzteren 8817 = 52,3% (53% 
Gelegenheits= und 47% Gewohnheitstrinker); be- 
sonders waren diese an Gewalttätigkeiten, Dieb- 
stählen und Sittlichkeitsverbrechen stark beteiligt. 
Hierhin gehören auch die Feststellungen (u. a. 
von Professor Aschaffenburg für 723 Fälle, vom 
Bezirksamt Heidelberg für 1115 Fälle), daß 
sonntags die meisten Roheitsdelikte und Ver- 
letzungen vorkommen (½— ½ sämtlicher Fälle). 
Die Trinker stellen auch ein größeres Kontingent 
zu den Rückfälligen. In San Francisco fiel 1906 
die Zahl der Verhaftungen, als die saloons für 
eine Zeit geschlossen wurden, sofort von 120 auf 
2/6 wöchentlich. Noch auffälliger ist die Beförde- 
rung der Unzucht. Die Verführung der Mädchen
	        
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