Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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fang der 1890er Jahre in zahlreichen Einzel- 
staaten der nordamerikanischen Union Antitrust- 
gesetze. Manche gerichtliche Entscheidungen fielen 
zu ungunsten der Trusts aus; u. a. erklärte der 
Berufsgerichtshof des Staats Neuyork den Zucker- 
trust für ungesetzlich. 
Die Folge war indes nicht ein Verschwinden 
der Trusts, sondern nur eine Anderung ihrer ur- 
sprünglichen Organisationsform. Zucker- 
und Whiskytrust z. B. wandelten sich in je eine 
einzige große Aktiengesellschaft um, deren Aktionäre 
die bisherigen Inhaber der Trustzertifikate und 
deren Direktoren die bisherigen Trustees wurden. 
Im übrigen blieb alles beim alten; lediglich Or- 
ganisationsform und Name hatten eine äußerliche 
Anderung erfahren. Die Standard Oil COompany 
löste sich zunächst in 20 Gesellschaften auf. Da 
indes die neuen Trustees bereits im Besitz der 
Mehrheit aller Aktien waren und infolge eines 
Aktienaustausches auch in jeder einzelnen Gesell- 
schaft die Mehrheit gewannen, so blieb tatsächlich 
ebenfalls alles beim alten. Später vollzog sich 
dann auch hier die Bildung einer einzigen großen 
Aktiengesellschaft, indem die Aktien von 19 Ge- 
sellschaften nach und nach gegen die Aktien der 
bedeutendsten, der New Jersey Oil Company, 
umgetauscht werden. In der Erkenntnis, daß die 
Anderung nur formaler Art war, ist der Name 
Trust gewohnheitsmäßig auch für die neuen Or- 
ganisationsformen beibehalten worden. 
Nach einer Mitteilung der statistischen Zentral- 
behörde in Washington (Zensusamt) zählte man 
im Jahr 1903 405 Trusts, welche aus mehr 
als 5000 Einzelunternehmungen zusammengesetzt 
waren. Hatte die Trustbewegung um die 
Wende des Jahrhunderts auch ihren Höhepunkt 
erreicht — Gründung des Stahltrusts 1901 —, 
so ist sie seitdem doch keineswegs zum Abschluß 
gelangt, wenn auch Rückschläge nicht ausgeblieben 
sind. Zum weitaus größten Teil hat sich die 
Trustbildung auf die Vereinigten Staaten be- 
schränkt. Nur in wenigen Fällen ist die Gründung 
internationaler Trusts versucht worden 
und erfolgreich gewesen. Der bedeutendste und be- 
kannteste internationale Trust ist der Petroleum- 
trust, der auch den deutschen Markt beherrscht. 
Für den Uneingeweihten sind die für Deutschland 
zunächst in Betracht kommenden Importfirmen, 
die Deutsch-Amerikanische Petroleum-Gesellschaft 
in Bremen, die Mannheim-Bremer Petroleum- 
Mkiiengesellschaft, die American Petrol Compan) 
in Rotterdam, zwar voneinander unabhängig, 
führen scheinbar sogar einen lebhaften Konkurrenz- 
kampf, tatsächlich sind sie aber nur Untergesell- 
schaften der Standard Oil Company. 
Von den Trusts im engeren Sinn, d. h. den 
industriellen Riesenunternehmungen, unterscheidet 
man gewöhnlich die Verschmelzungen der großen 
Verkehrsunternehmungen und gewisser Monopol- 
unternehmungen zum Zweck kommunaler Wasser- 
Gas- und Elektrizitätsversorgung. Zu unter- 
Trusts. 
  
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scheiden sind von den Trusts im engeren Sinn 
ferner die sog. englischen Trusts (Investment 
trusts, trust Companies), Gesellschaften, welche 
sich unter Leitung erfahrener Börsenmänner zu 
dem Zweck bildeten, große Kapitalien in Wert- 
papieren anzusammeln, um die sichere und mög- 
lichst nutzbringende Anlage derselben zu vermitteln. 
Außerdem suchten die Investment trusts durch 
Kauf und Verkauf von Wertpapieren in großem 
Maßstab die Börse zu beeinflussen. 
Die eigentlichen, d. h. die industriellen Trusts 
unterscheiden sich von den Industrie- 
kartellen zunächst dadurch, daß sie im Gegen- 
satz zu den auf vertragsmäßiger Grundlage be- 
ruhenden und zeitlich begrenzten Kartellen auf der 
Basis von Besitz ausgebaut und unkündbar sind. 
Während das Kartell die wirtschaftliche Selbstän- 
digkeit der Einzelunternehmung in gewissem Grad 
bestehen läßt, sich auch vorwiegend auf die Reg- 
lung des Absatzes beschränkt und nur vorüber- 
gehend und teilweise in die Produktion selbst ein- 
greift, vernichtet der Trust die Selbständigkeit der 
Einzelwerke gänzlich und schafft eine einheitliche, 
zentralisierte Leitung der gesamten Produktions- 
tätigkeit der im Trust vereinigten Betriebe. Dazu 
kommt, daß das Kartell, weil es eben die Absatz- 
reglung bezweckt, im allgemeinen nur gleichartige 
Produktionszweige zusammenfassen kann, der Trust 
dagegen auch verschiedene industrielle Produktions= 
stufen von der Gewinnung des Rohprodukts bis 
zur Fertigstellung des gebrauchsreifen Fabrikats 
zu umschließen vermag. Die United States Steel 
Corporation (Stahltrust) z. B. setzt sich zusam- 
men aus Eisenbergbau-, Dampfschiffahrts-, Eisen- 
bahn-, Brückenbau-, Stahl- und Draht-, Stahl- 
röhren-, Weißblech= und andern Gesellschaften. 
Wenn auch formell der amerikanische Trust in 
dieser Hinsicht sich kaum unterscheidet von der auch 
in andern Ländern vorkommenden Zusammen- 
fassung (Fusion) mehrerer verwandter Industrie- 
unternehmungen (Aktiengesellschaften) unter einer 
Generaldirektion, so bildet doch einen sehr wesent- 
lichen materiellen Unterschied die gewaltigere im 
Trust vereinigte Kapitalmacht, welche für diesen 
besonders charakteristisch ist. 
Das kapitalistische Moment ist über- 
haupt wohl als das bedeutsamste in der ganzen 
Trustentwicklung anzusehen. Fremdes, nach An- 
lage suchendes Kapital ist an dieser Entwicklung 
in hervorragendem Maß beteiligt, und es kommt 
hinzu, daß die Riesenkapitalien eines bestehenden 
Trusts oft selbst wieder nach neuer Betätigung 
suchen und deshalb auf andere Gebiete hinüber- 
greisen. E. v. Halle weist auf die weitreichenden 
Bank- und Börsenspekulationen hin, welche an 
den Hauptplätzen, namentlich Neuyork, eine Klasse 
von Kapitalisten geschaffen, die angesichts des 
raschen Wachsens ihrer Einnahmen und ihres Ver- 
Mögens stets darauf bedacht sein müßten, sich neue 
Gebiele der Kapitalanlage zu erschließen. „Zu 
den durch Eisenbahn= und Grundstück-, Bank-
	        
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