Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

547 
stein, „daß die Trusts sich den außergewöhnlichen 
Anforderungen kritischer Zeiten nicht gewachsen 
gezeigt haben, und daß sie die gewaltigen Preis- 
erhöhungen, die zur Verschärfung der Krisis ge- 
dient haben, nicht verhüten konnten oder wollten“. 
In sozialpolitischer Hinsicht können die 
Trusts sich keiner besondern Verdienste rühmen. 
Zwar sind die Arbeitslöhne vielfach gestiegen; das 
genannte Amt führt z. B. neun Trusts an, in 
welchen nach der Trustbildung der durchschnittliche 
Jahreslohn gelernter Arbeiter um 13,71%, un- 
gelernter um 19,39 % höher war wie vorher. 
Dabei ist aber auch die Steigerung der einzelnen 
Arbeitsleistungen infolge der mit der Vertrustung 
bewirkten rationelleren Gestaltung der Produktion, 
ferner der geschäftliche Aufschwung und nicht zu- 
letzt der Einfluß der Arbeiterorganisationen in 
Rechnung zu ziehen. Was die letzteren anlangt, 
deren Notwendigkeit nirgends zwingender in die 
Erscheinung tritt als angesichts der im Trust ver- 
einigten ungeheuern Macht des organisierten 
Unternehmertums, so haben sich die Trustleiter 
zum Teil offen gegen sie erklärt. Verschiedentlich 
hat sich den Arbeiterorganisationen auch die Anti- 
trustgesetzgebung, obwohl gar nicht gegen diese ge- 
richtet, als gefährlich erwiesen. 
Die Wirkungen der Trusts auf das gewerb- 
liche Leben im allgemeinen, speziell auf die kon- 
kurrierenden kleineren Unternehmer, sind ähnlicher 
Art wie diejenigen der Kartelle; diese Wirkungen 
sind es ja auch, welche alsbald zu der oben bereits 
erwähnten Antitrustbewegung führten. Besonders 
hervorzuheben sind noch die Beziehungen der Trusts 
zu andern wirtschaftlichen Einrichtungen der Ver- 
einigten Staaten, wie zu den großen Eisen- 
bahngesellschaften. Diese engen Beziehungen 
liegen im beiderseitigen Interesse; während den 
Trusts aus besondern Vergünstigungen im Eisen- 
bahnverkehr ein wichtiges, oft vielleicht ausschlag- 
gebendes Hilfemittel zur Uberwindung der Kon- 
kurrenz erwuchs, haben auch die Eisenbahnen aus 
dem Geschäftsverkehr mit den Trusts die dem 
Großbetrieb eigentümlichen Vorteile gezogen. Es 
ist längst erwiesen, daß trotz gesetzlicher Ver- 
bote geheime Vorzugstarife für Trusts bestanden 
haben. 
Im politischen Leben der Vereinigten 
Staaten spielen die Trusts eine große Rolle, vor 
allem in den Wahlkämpfen zwischen Demokraten 
und Republikanern (Schutzzöllnern). Nicht nur 
zur Verstärkung der republikanischen Wahlfonds, 
sondern sogar zu persönlichen Bestechungen käuf- 
licher Politiker und Staatsbeamten haben die 
Trusts große Summen geopfert, sofern von ihnen 
solche nicht geradezu erpreßt wurden. „In vielen 
Staaten“, so charakterisiert L. Katzenstein diesen 
Zustand politischer Korruption, „werden alljährlich 
trustfeindliche Gesetzentwürfe den Legislaturen vor- 
gelegt, um dadurch den Trusts häufiger Gelegen- 
heit zur Betätigung ihrer Freigebigkeit zu bieten; 
und die Trustis sind stets willig, die Väter solcher 
Trusts. 
  
548 
Bills für ihre Kindesopfer zu belohnen. Auch 
etwaige trustfreundliche Gesetzgebung wird nur 
gegen gute Bezahlung durchgelassen. So konnte 
in einem großen Staat der Union die Annahme 
eines Gesetzes, das nicht nur dem Trust, sondern 
auch der Gesamtheit zu nutzen bestimmt war, erst 
erfolgen, nachdem der Führer der in jenem Staat 
herrschenden Partei 600 000 M erhalten hatte."“ 
In den politischen Kampf um die Tlrusts ist 
eine gewisse Unklarheit dadurch hineingetragen 
worden, daß die von den Republikanern gewählten 
Präsidenten Roosevelt und Taft scheinbar dem 
Volkswillen Rechnung trugen und gegen die Trusts 
vorgingen. Insofern fand also der Ruf nach Maß- 
nahmen gegen die unerhörte Verteuerung mancher 
Waren — infolge Ausnutzung der Schutzzölle 
durch die Trusts — wohl Gehör. Doch blieb es 
unklar, inwieweit dieses Vorgehen ernstgemeint 
bzw. nur ein taktisches Manöver war. Die Börse 
bäumte sich gegen Angriffe auf ihre Lieblinge (die 
Trusts) auf und „machte flau“, sobald diesen 
irgend etwas Ernstliches drohte. In den Jahren 
1909 und 1910 ging die Regierung der Ver- 
einigten Staaten gegen Eisenbahngesellschaften 
vor, welche Frachten hatten erhöhen wollen. 
Der Ausschuß für den zwischenstaatlichen Handel 
(Interstate Commerce Commission) verbot 
wiederholt verschiedene Erhöhungen von Frachten. 
Teils fügten sich die Eisenbahnen, teils legten sie 
beim Obersten Gerichtshof Berufung ein, welcher 
das Verbot der Interstate Commerce Commis- 
sion für gewisse Fälle tatsächlich wieder aufhob. 
Die Regierung der Vereinigten Staaten leitete 
ferner in den Jahren 1910/11 gerichtliche Ver- 
fahren gegen den Petroleumtrust und gegen den 
Tabaktrust ein. Beide große Gesellschaften sind 
vom Oberbundesgericht im Mai 1911 für gesetz- 
widrig (als gegen das Shermansche Antitrustgesetz 
verstoßend) erklärt und zur Auflösung verurteilt 
worden. Trotzdem betrachtet man auch diese Maß- 
nahmen gegen die großen Ringe fast nur als 
„einen Schlag ins Wasser“, weil die Geldmächte 
schon wieder Auswege zur Verfolgung ihrer Ziele 
finden dürften. 
Bei diesem Stand der Dinge, die sich also stets 
in Fluß befinden, ist es noch nicht möglich, ein 
abschließendes Urteil über die zur Bekämpfung der 
Auswüchse des Trustwesens in Betracht kommen- 
den bzw. schon zur Anwendung gelangten Mittel 
zu fällen. Mit allen bisher ergriffenen Maßnahmen 
sind jedenfalls keinerlei durchschlagende Erfolge 
erzielt worden. Zum mindesten muß gegenüber 
den Trusts wie auch gegenüber den Kartellen die 
Forderung voller Publizität erhoben wer- 
den. Die Durchführung einer strengen öffent- 
lichen Kontrolle dürfte ein nicht ganz un- 
wirksames Mittel sein und sie erscheint vollauf 
gerechtfertigt angesichts des weitreichenden, zum 
sehr großen Teil schädlichen Einflusses, den die 
Trusts auf das wirtschaftliche, soziale und poli- 
tische Leben ausüben.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.