Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

549 
Alles bisher Ausgeführte bezog sich auf die 
amerikanischen Trusts. Es ist daher zum Schluß 
noch die Frage zu beantworten, wie es in Bezug 
auf die Vertrustung in Deutschland steht. Hier 
ist die Bewegung zu trustähnlichen großen Gebilden 
am weitesten vorgeschritten im chemischen, Elektri- 
zitäts= und Montangroßgewerbe. Von Trusts nach 
amerikanischem Muster kann man aber noch nicht 
sprechen. Die wichtigsten Firmen des chemischen 
Farbengewerbes (Anilinfarben usw.) haben sich 
zu mehreren großen Interessengemeinschaften ver- 
einigt. Im Elektrizitätsgewerbe herrschen vornehm- 
lich drei große Gruppen, welche längst geheime 
Abmachungen über Preise bei Verdingungen usw. 
getroffen hatten und mit der Zeit ihre Konkurrenten 
aufsaugen oder verdrängen. Im deutschen Eisen- 
und Kohlen-(Montan-)gewerbe spricht man seit 
dem Jahr 1904 von Trusts, nämlich seitdem die 
Gelsenkirchener Bergwerks-Aktiengesellschaft den 
Aachener Hüttenverein und den Schalker Gruben- 
und Hüttenverein mit sich vereinigte. Seitdem sind 
durch Verschmelzungen noch ähnliche Gebilde 
(Aktiengesellschaft Phönix, Deutsch-Luxemburgische 
Bergwerks= und Hütten-Aktiengesellschaftusw.)ent- 
standen, die neben andere Montangrößen (wie 
Friedr. Krupp, Aktiengesellschaft, die Besitzungen 
der Familie Thyssen usw.) traten. Man kann da- 
bei von „trustartigen“ Gebilden sprechen, weil alle 
Stufen der Verarbeitung vom Kohlen= und Erz- 
bergbau bis zu Verfeinerungswerkstätten des Eisen- 
gewerbes, zu Maschinen= und Waggonfabriken in 
einer Hand vereinigt sind. Nichtige Trusts sind 
aber diese Gebilde noch nicht, weil ihrer zu viele 
gleichartige bestehen und keines den Markt so sehr 
beherrscht, wie z. B. in Nordamerika der Stahl- 
trust, obschon auch dieser kaum die Hälfte des ge- 
samten nordamerikanischen Eisengewerbes umfaßt. 
Literatur. P. F. Aschrott, Die amerikan. T. 
als Weiterbildung der Unternehmerverbände (Son- 
derabdruck aus dem Archiv für soziale Gesetzgebung 
u. Statistik II, 1899); E. L. v. Halle, Industrielle 
Unternehmer= u. Unternehmungsverbände in den 
Verein. Staaten von Amerika (Bd LX der Schrif- 
ten des Vereins für Sozialpolitik, 1894), sowie der 
Art. „T.“ dess. Verfassers im Handwörterbuch der 
Staatswissenschaften VII (21901); Cl. Jannet u. 
W. Kämpfe, Die Verein. Staaten Amerikas (1893); 
L. Katzenstein, Die T. in den Verein. Staaten 
(1900); S. Tschierschky, Kartell u. T. Vergleichende 
Untersuchungen über deren Wesen u. Bedeutung 
(1903); Th. Duimchen, Die T. u. die Zukunft der 
Kulturmenschheit (1903); O. v. Brakel u. J. Leis, 
Der dreißigjähr. Petroleumkrieg (1903); E. Har- 
mening, Die notwendige Entwicklung der Industrie 
zum T. (1904); Liefmann, Kartell u. T. (1905); 
H. Levy, Monopole, Kartelle u. T. in ihren Be- 
ziehungen zur Organisation der kapitalistischen In- 
dustrie (1909); Jul. Gutmann, Über den amerikan. 
Stahltrust. Mit Berücksichtigung des deutschen 
Stahlwerksverbands (1906); J. Steiger, T. u. 
Kartelle im Ausland u. in der Schweiz (1907); J. 
Singer, Die amerikan. Eisenbahn= u. Industrie- 
papiere (Jahrg. 1910). [O. Thissen.) 
Türkei. 
  
550 
Türkei. I. Geschichte. Mit der Einnahme 
Konstantinopels (1453) erhielt der Staat der Os- 
manen ein natürliches Zentrum. Noch unter Mo- 
hammed II. (145 1/81) kamen Serbien, Bosnien, 
Walachei, Griechenland, Trapezunt, Albanien und 
die Krim hinzu, unter Selim I. (1512/20) Kur- 
distan, Syrien, Palästina, Agypten und damit 
(1517) das Kalifat und die Schutzherrschaft über 
die heiligen Stätten des Islams, unter Soliman 
(1520/66) Rhodos, die barbareskischen Piraten- 
staaren, Mesopotamien, Bessarabien, ein Teil der 
Kaukasusländer und der größte Teil Ungarns, 
später noch Cypern, Südarabien, Kreta und die 
Ukraine. So erstreckte sich das Reich, das das Erbe 
der byzantinischen Kaiser und der Kalifen ange- 
treten hatte, vom Persischen und Roten Meer bis 
jenseits der Karpathen und von der Sahara bis 
zur Krim. Seine Kraft beruhte lang auf der 
Tüchtigkeit des Herrscherhauses, der Armee und 
dem mohammedanischen Fanatismus. 
Das alttürkische Staatswesen, das 
schon von den ersten Sultanen ausgebaut wurde, 
beruhte auf dem Islam. Der Koran und seine 
Ergänzung, die Scheria, sind für den Moham- 
medaner nicht nur religiöses, sondern auch bürger- 
liches Gesetz. Wo es nicht ausreicht, tritt das po- 
sitive weltliche Gesetz kanun) ein, das aber erst 
(seit Soliman durch den Scheichu'l-Islam) auf 
seine Ubereinstimmung mit dem geistlichen Recht 
geprüft werden muß. Das bürgerliche Recht wurde 
unter Mohammed II. kodifiziert (dürer el-ehkam, 
„Perlen der Gebote"), das geistliche unter Soli- 
man (multeqa el-buhur, „Zusammenfluß der 
Meere"). An der Spitze des Staats stand der 
Sultan (Titel seit 1473) als religiöses Ober- 
haupt und despotischer Herrscher. Die Einnahmen 
des Reichs (7/ der Beute, die Kopfsteuer, der Er- 
trag der Domänen und Konfiskationen, die Zölle 
und die Tribute der abhängigen Staaten Sieben- 
bürgen, Moldau, Walachei, Georgien usw.) ge- 
hörten ihm persönlich. Sein Stellvertreter und 
Leiter der Geschäfte war der Großwesir, der das 
Siegel mit der Tughra, dem Namenszug des 
Großherrn, führt. Die Finanzen leitete je ein 
Defterdar für Rum (Europa), Anadol (Asien) 
und Afrika, die Justiz, die von einer halb richter- 
lichen halb theologischen Hierarchie (Molla, Kadi) 
ausgeübt wurde, ebenso drei Kadiasker (Heeres- 
richter), bis Soliman den Scheichu'l-Islam an 
ihre Spitze stellte. Die genannten und einige Hof- 
beamte, die Verwalter der Provinzen, der Jani- 
tscharenaga und der Kapudan Pascha (Admiral) 
bildeten den Diwan oder Staatsrat, der vom 
Sultan selbst oder vom Großwesir in dessen Pa- 
last, der Hohen Pforte, abgehalten wurde. Die 
Einrichtung des Reichs war militärisch-feudal; in 
diesem Erobererstaat bildeten die Türken die 
Kriegeraristokratie. Die Tapfersten erhielten einen 
Teil des eroberten Landes als Lehen (Timar); 
dafür hatten die Lehnsinhaber (Spahis) eine be- 
stimmte Anzahl Reiter zu unterhalten und beim 
18“
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.