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Alles bisher Ausgeführte bezog sich auf die
amerikanischen Trusts. Es ist daher zum Schluß
noch die Frage zu beantworten, wie es in Bezug
auf die Vertrustung in Deutschland steht. Hier
ist die Bewegung zu trustähnlichen großen Gebilden
am weitesten vorgeschritten im chemischen, Elektri-
zitäts= und Montangroßgewerbe. Von Trusts nach
amerikanischem Muster kann man aber noch nicht
sprechen. Die wichtigsten Firmen des chemischen
Farbengewerbes (Anilinfarben usw.) haben sich
zu mehreren großen Interessengemeinschaften ver-
einigt. Im Elektrizitätsgewerbe herrschen vornehm-
lich drei große Gruppen, welche längst geheime
Abmachungen über Preise bei Verdingungen usw.
getroffen hatten und mit der Zeit ihre Konkurrenten
aufsaugen oder verdrängen. Im deutschen Eisen-
und Kohlen-(Montan-)gewerbe spricht man seit
dem Jahr 1904 von Trusts, nämlich seitdem die
Gelsenkirchener Bergwerks-Aktiengesellschaft den
Aachener Hüttenverein und den Schalker Gruben-
und Hüttenverein mit sich vereinigte. Seitdem sind
durch Verschmelzungen noch ähnliche Gebilde
(Aktiengesellschaft Phönix, Deutsch-Luxemburgische
Bergwerks= und Hütten-Aktiengesellschaftusw.)ent-
standen, die neben andere Montangrößen (wie
Friedr. Krupp, Aktiengesellschaft, die Besitzungen
der Familie Thyssen usw.) traten. Man kann da-
bei von „trustartigen“ Gebilden sprechen, weil alle
Stufen der Verarbeitung vom Kohlen= und Erz-
bergbau bis zu Verfeinerungswerkstätten des Eisen-
gewerbes, zu Maschinen= und Waggonfabriken in
einer Hand vereinigt sind. Nichtige Trusts sind
aber diese Gebilde noch nicht, weil ihrer zu viele
gleichartige bestehen und keines den Markt so sehr
beherrscht, wie z. B. in Nordamerika der Stahl-
trust, obschon auch dieser kaum die Hälfte des ge-
samten nordamerikanischen Eisengewerbes umfaßt.
Literatur. P. F. Aschrott, Die amerikan. T.
als Weiterbildung der Unternehmerverbände (Son-
derabdruck aus dem Archiv für soziale Gesetzgebung
u. Statistik II, 1899); E. L. v. Halle, Industrielle
Unternehmer= u. Unternehmungsverbände in den
Verein. Staaten von Amerika (Bd LX der Schrif-
ten des Vereins für Sozialpolitik, 1894), sowie der
Art. „T.“ dess. Verfassers im Handwörterbuch der
Staatswissenschaften VII (21901); Cl. Jannet u.
W. Kämpfe, Die Verein. Staaten Amerikas (1893);
L. Katzenstein, Die T. in den Verein. Staaten
(1900); S. Tschierschky, Kartell u. T. Vergleichende
Untersuchungen über deren Wesen u. Bedeutung
(1903); Th. Duimchen, Die T. u. die Zukunft der
Kulturmenschheit (1903); O. v. Brakel u. J. Leis,
Der dreißigjähr. Petroleumkrieg (1903); E. Har-
mening, Die notwendige Entwicklung der Industrie
zum T. (1904); Liefmann, Kartell u. T. (1905);
H. Levy, Monopole, Kartelle u. T. in ihren Be-
ziehungen zur Organisation der kapitalistischen In-
dustrie (1909); Jul. Gutmann, Über den amerikan.
Stahltrust. Mit Berücksichtigung des deutschen
Stahlwerksverbands (1906); J. Steiger, T. u.
Kartelle im Ausland u. in der Schweiz (1907); J.
Singer, Die amerikan. Eisenbahn= u. Industrie-
papiere (Jahrg. 1910). [O. Thissen.)
Türkei.
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Türkei. I. Geschichte. Mit der Einnahme
Konstantinopels (1453) erhielt der Staat der Os-
manen ein natürliches Zentrum. Noch unter Mo-
hammed II. (145 1/81) kamen Serbien, Bosnien,
Walachei, Griechenland, Trapezunt, Albanien und
die Krim hinzu, unter Selim I. (1512/20) Kur-
distan, Syrien, Palästina, Agypten und damit
(1517) das Kalifat und die Schutzherrschaft über
die heiligen Stätten des Islams, unter Soliman
(1520/66) Rhodos, die barbareskischen Piraten-
staaren, Mesopotamien, Bessarabien, ein Teil der
Kaukasusländer und der größte Teil Ungarns,
später noch Cypern, Südarabien, Kreta und die
Ukraine. So erstreckte sich das Reich, das das Erbe
der byzantinischen Kaiser und der Kalifen ange-
treten hatte, vom Persischen und Roten Meer bis
jenseits der Karpathen und von der Sahara bis
zur Krim. Seine Kraft beruhte lang auf der
Tüchtigkeit des Herrscherhauses, der Armee und
dem mohammedanischen Fanatismus.
Das alttürkische Staatswesen, das
schon von den ersten Sultanen ausgebaut wurde,
beruhte auf dem Islam. Der Koran und seine
Ergänzung, die Scheria, sind für den Moham-
medaner nicht nur religiöses, sondern auch bürger-
liches Gesetz. Wo es nicht ausreicht, tritt das po-
sitive weltliche Gesetz kanun) ein, das aber erst
(seit Soliman durch den Scheichu'l-Islam) auf
seine Ubereinstimmung mit dem geistlichen Recht
geprüft werden muß. Das bürgerliche Recht wurde
unter Mohammed II. kodifiziert (dürer el-ehkam,
„Perlen der Gebote"), das geistliche unter Soli-
man (multeqa el-buhur, „Zusammenfluß der
Meere"). An der Spitze des Staats stand der
Sultan (Titel seit 1473) als religiöses Ober-
haupt und despotischer Herrscher. Die Einnahmen
des Reichs (7/ der Beute, die Kopfsteuer, der Er-
trag der Domänen und Konfiskationen, die Zölle
und die Tribute der abhängigen Staaten Sieben-
bürgen, Moldau, Walachei, Georgien usw.) ge-
hörten ihm persönlich. Sein Stellvertreter und
Leiter der Geschäfte war der Großwesir, der das
Siegel mit der Tughra, dem Namenszug des
Großherrn, führt. Die Finanzen leitete je ein
Defterdar für Rum (Europa), Anadol (Asien)
und Afrika, die Justiz, die von einer halb richter-
lichen halb theologischen Hierarchie (Molla, Kadi)
ausgeübt wurde, ebenso drei Kadiasker (Heeres-
richter), bis Soliman den Scheichu'l-Islam an
ihre Spitze stellte. Die genannten und einige Hof-
beamte, die Verwalter der Provinzen, der Jani-
tscharenaga und der Kapudan Pascha (Admiral)
bildeten den Diwan oder Staatsrat, der vom
Sultan selbst oder vom Großwesir in dessen Pa-
last, der Hohen Pforte, abgehalten wurde. Die
Einrichtung des Reichs war militärisch-feudal; in
diesem Erobererstaat bildeten die Türken die
Kriegeraristokratie. Die Tapfersten erhielten einen
Teil des eroberten Landes als Lehen (Timar);
dafür hatten die Lehnsinhaber (Spahis) eine be-
stimmte Anzahl Reiter zu unterhalten und beim
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